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Anonymer Zeuge: Es war ein „Privat-Bordell“

Zeitung hätte vage Behauptungen ohne Prüfung nicht abdrucken dürfen

Die Online-Ausgabe einer Regionalzeitung berichtet über die Wiederaufnahme des Mordprozesses im Fall der neunjährigen Peggy. Der Titel des Beitrages lautet: „Neue Hinweise auf Missbrauch“. Die Zeitung berichtet, dem Anwalt des seinerzeit als Mörder des Mädchens verurteilten Mannes sei ein Foto zugespielt worden, auf dem angeblich das bis heute vermisste Mädchen zu sehen sei – nackt vor einem Spiegel posierend. Die Ermittlungsbehörden hätten das Bild zu 90 Prozent als Fälschung eingestuft. Der Anwalt des Verurteilten wolle im Wiederaufnahmeverfahren die namentlich genannte Mutter des Mädchens zu Indizien befragen, die darauf hindeuteten, dass Peggy vor ihrem Verschwinden regelmäßig Opfer von sexuellen Übergriffen gewesen sei. Schon vor seinem Verschwinden habe das Mädchen Anzeichen gezeigt, die auf einen Missbrauch hindeuteten. Ein Zeuge, der anonym bleiben wolle, spreche von einem Privat-Bordell in der ehemaligen Familienwohnung. Auch Peggy sei dort angeboten worden. Zu den Kunden des vermeintlichen Bordells – so zitiert die Zeitung den Zeugen weiter – hätten auch „höher gestellte Personen aus der Region“ gehört. Die Mutter von Peggy wendet sich über ihren Anwalt mit einer Beschwerde an den Presserat. Der fragliche Artikel sei nicht ausreichend recherchiert und verstoße gegen presseethische Grundsätze. Die bis heute nicht nachgewiesenen Vorwürfe würden von manchen Medien immer wieder thematisiert. Die Behauptungen über ein Privat-Bordell seien nicht neu, doch handele es sich um haltlose Vermutungen. Das in dem Artikel angesprochene Foto sei kein Beweis für einen Missbrauchsvorwurf. Durch die Berichterstattung, in der ihr vollständiger Name genannt werde, seien ihre Persönlichkeitsrechte verletzt worden. Die Chefredaktion der Zeitung weist darauf hin, dass der kritisierte Artikel den aktuellen Stand des Wiederaufnahmeverfahrens aufgreife und auf neue Rechercheergebnisse eingehe. Die Beschwerdeführerin werde durch den Artikel nicht als Verdächtige eingestuft. Es sei nach Aussage belastbarer Zeugen allerdings auch nicht abwegig, dass die familiären Umstände etwas mit dem Verschwinden Peggys zu tun haben könnten. Der Beitrag sei nicht abgedruckt worden, um der Beschwerdeführerin zu schaden. Der Autor habe die journalistische Sorgfaltspflicht beachtet. Alle Behauptungen seien verifiziert. Durch die Verwendung des Konjunktivs und die Wiedergabe von Aussagen in Zitatform entstehe auch nicht der Eindruck einer Vorverurteilung. Der im Artikel zitierte Zeuge, dem von Dritten die Zustände im Haus der Familie detailliert geschildert worden seien, sei von der Redaktion als glaubwürdig eingestuft worden.