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Mutter klagt an: Sohn in den Selbstmord gemobbt

Mit drastischen Worten auf Gefahren durch Netzwerke hingewiesen

„Mutter überzeugt: Sohn wurde in den Selbstmord gemobbt“ titelt die Online-Ausgabe einer Boulevardzeitung. Es geht um einen 13-Jährigen, der sich vor einen Zug geworfen hatte, nachdem er von Klassenkameraden auf Facebook als schwul bezeichnet worden war. Gegenüber der Redaktion äußert sich die Mutter. Detailliert beschreibt die Zeitung die Umstände des Suizids. Ein Leser des Blattes sieht in der ausführlichen Beschreibung der Umstände des Selbstmordes Ziffer 8, Richtlinie 8.5, des Pressekodex (Selbsttötung) und 11 (Sensationsberichterstattung) verletzt. Textprobe: „Welche Gedanken müssen ihm in diesem Minuten durch seinen Kopf gegangen sein? Wie einsam und verzweifelt muss er durch die Dunkelheit gelaufen sein? Bei diesen Fragen versagt auch heute noch die Stimme seiner Mutter. (…) legt sich auf die Gleise. Er hört noch das Rattern der Lok. Er spürt das Vibrieren der Gleise. Und sieht nicht auf. Zu schwer ist ihm das Leben geworden. Es ist 21.30 Uhr.“ Die Schilderung des Geschehens durch die Redaktion widerspreche – so der Beschwerdeführer – allen Empfehlungen von Psychiatern zur Suizid-Berichterstattung. Die Rechtsabteilung der Zeitung sieht den Pressekodex nicht verletzt. Der Beitrag gebe auf sachliche Weise eine genaue Beschreibung der Selbsttötung und beachte die gebotene Zurückhaltung. Die Öffentlichkeit habe einen Anspruch darauf, über die Hintergründe dieser besonders tragischen Selbsttötung informiert zu werden. Es müsse möglich sein, die Lebensgeschichte des Mobbing-Opfers und die Umstände des Suizids publik zu machen. Es sei ein Anliegen der Mutter gewesen, diese Geschichte zu erzählen. Sie habe sich bewusst drastisch geäußert, um so andere Familien wachzurütteln. Anhand des tragischen Einzelfalls weise die Redaktion auf die Gefahren sozialer Netzwerke für Jugendliche hin. Die kritisierte Textpassage ändere nichts an dieser Beurteilung. Sie diene dazu, den Lesern das Ausmaß der Verzweiflungstat vor Augen zu führen. (2011)