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Mumifizierte Leiche als „Kunstwerk“

Beschwerdeführer: Toter von der Zeitung verhöhnt und beleidigt

Eine überregionale Tageszeitung berichtet gedruckt und online unter den Überschriften „Einsamer Segler“ und „Feingefühl unter Wasser“ über einen Leichenfund. Die sterblichen Überreste eines deutschen Seglers waren in mumifiziertem Zustand auf seiner Yacht in philippinischen Gewässern aufgefunden worden. Dem Artikel ist ein Foto beigestellt, auf dem die Leiche – am Kartentisch des Bootes sitzend – zu sehen ist. Die Zeitung berichtet über das Thema unter der Rubrik „Alte Meister“ und interpretiert die Aufnahme von der Leiche als Kunstwerk. Die Redaktion meint, die Haltung des Toten, die bedrohliche Stimmung und die Perspektive erinnerten an das Gemälde „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ von Francisco de Goya. Über den Verstorbenen schreibt sie, die Mumie heiße Manfred, sei 59 Jahre alt geworden und komme aus dem Ruhrgebiet. Zwei Leser der Zeitung sehen in der Berichterstattung gleich mehrere Verstöße gegen publizistische Grundsätze. Im Text werde der Verstorbene verhöhnt und beleidigt. Es handele sich bei ihm nicht um eine Person des öffentlichen Lebens. Das Bild habe keinen Nachrichtenwert. Die Veröffentlichung sei geeignet, die Hinterbliebenen des Mannes zu traumatisieren. Die im Text angegebenen Details zur Person (Vorname, Alter, Beruf und Herkunft) machten den Segler für das gesamte weitere soziale Umfeld identifizierbar. Nach Auffassung der Beschwerdeführer sei der Umgang der Zeitung mit den Gefühlen der Hinterbliebenen skrupellos und ungeheuerlich. Die Veröffentlichung verletze schließlich den Konsens darüber, dass nicht nur die Würde eines Lebenden, sondern auch die eines Verstorbenen zu respektieren sei. Der Justiziar der Zeitung spricht von einem kunsthistorisch-ikonografischen Duktus, der der Veröffentlichung zugrunde liege. Die Zeitung verzichte bei ihrer Darstellung auf jegliche Form sensationsheischender Berichterstattung. Der Rechtsvertreter widerspricht der Meinung der Beschwerdeführer, dass der tote Segler durch die genannten Details auch für einen mehr oder weniger großen Bekanntenkreis identifizierbar sei. Die Autorin des Beitrages ergänzt die Stellungnahme des Juristen mit dem Hinweis, dass die Redaktion zunächst davon ausgehen musste, dass der Segler schon vor sieben Jahren den Tod gefunden habe. Erst später habe sich herausgestellt, dass der Mann erst kürzlich verstorben sei und die Familie deshalb erst dann von dem Ableben des Seglers erfahren habe. Die Journalistin kann die Verärgerung der Hinterbliebenen nachvollziehen. Der Beitrag sei gelöscht worden.