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Opfer überlebt im Musical-Theater nur knapp

Beschuldigte durften in Berichten nicht identifizierbar dargestellt werden

Zweimal berichtet eine Boulevardzeitung über die Vorwürfe bzw. die Gerichtsverhandlung gegen zwei junge Männer. Diesen – einer davon ehemaliger Spieler der Fußball-Reserve-Mannschaft eines renommierten Bundesligavereins – wirft die Staatsanwaltschaft versuchten Totschlag vor. Sie sollen in einem Musical-Theater einen jungen Mann über die Balustrade fünf Meter in die Tiefe geworfen haben. Das Opfer überlebte knapp. Name und Foto des ehemaligen Fußball-Spielers werden abgedruckt. Im Bericht stehen Formulierungen wie „werfen ihn“, „die Täter“ und „die Angeklagten werfen das Opfer“. Die Rechtsvertretung des Ex-Fußballers betont, dass ihr Mandant keine Person der Zeitgeschichte und der Vorgang nicht von so hohem öffentlichem Interesse sei, das eine identifizierende Berichterstattung rechtfertigen könnte. Die Veröffentlichung des Namens und des Fotos des Beschuldigten verletze deshalb dessen Persönlichkeitsrechte. In einem der Artikel seien zudem vorverurteilende Behauptungen enthalten. Die Rechtsabteilung der Zeitung räumt ein, dass die Redaktion in den Beiträgen die Grenzen der Verdachtsberichterstattung möglicherweise nicht vollständig eingehalten habe. Auch wenn die Redaktion den Fehler einsehe, so sei sie dennoch der Auffassung, dass es gravierendere Fälle einer Vorverurteilung geben könnte. Der Presserat habe bei bedeutend stärkeren Verstößen lediglich Hinweise oder Missbilligungen ausgesprochen. Die Rechtsvertretung spricht im vorliegenden Fall von verhältnismäßig milden Fällen der Vorverurteilung. (2010)