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„Was für eine glorreiche Zeit für Euch“

Kolumnist einer Boulevardzeitung tritt eine Beschwerdelawine los

Eine überregionale Zeitung veröffentlicht gedruckt und online einen Kurzkommentar, in dem es um den Gesetzentwurf des Justizministeriums zur Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften mit der Ehe geht. Der Autor schreibt unter anderem: „Ich fühle mich dabei nicht wohl. Homosexuelle kriegen biologisch keine Kinder. Früher wurden Homosexuelle in Deutschland zu Gefängnis verurteilt. Was für eine glorreiche Zeit für Euch. Niemand steckt Euch ins Gefängnis. Ihr liebt Eure Partner. Ihr dürft sie lieben.“ 72 Leser beschweren sich beim Presserat. Darunter sind viele Privatpersonen, aber auch Kirchengemeinden und Verbände. Die Beschwerden stützen sich vorwiegend auf die Ziffern 1 (Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde), 9 (Schutz der Ehre) und 12 (Diskriminierungen) des Pressekodex. Die Hauptargumente: Der Kommentar diskriminiert Homosexuelle und verletzt sie in ihrer Ehre. Er verletzt die Menschenwürde Homosexueller. Der Autor verweigert gleichgeschlechtlich lebenden Menschen die Gleichbehandlung mit heterosexuell lebenden Menschen und degradiert sie dadurch zu Menschen zweiter Klasse. Homosexuelle Eltern werden diskriminiert, indem ihnen per se die biologische Fortpflanzungsmöglichkeit abgesprochen wird. Der Kommentar suggeriert, dass Lesben und Schwule gesellschaftspolitisch minderwertig sind, da sie für die Fortpflanzung nicht von Bedeutung sind. Der Autor verhöhnt die Opfer des früheren Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches, die immer noch nicht rehabilitiert sind. Die Aussage des Textes lässt darauf schließen, dass Homosexuelle froh sein können, in Zeiten zu leben, in denen sie nicht mehr ins Gefängnis müssten. Einige Beschwerdeführer sehen die Grenze der Meinungsfreiheit überschritten. Die Rechtsabteilung des Verlages bringt das ausdrückliche Bedauern der Redaktion zum Ausdruck, dass sich die Beschwerdeführer durch die Kolumne angegriffen fühlen. Seit vielen Jahren sorge die Kolumne für gesellschaftlichen Diskurs, der ausdrücklich erwünscht sei. Unbeabsichtigt sei jedoch die Missverständlichkeit des so heftig kritisierten Beitrages. Zahlreiche Leserbriefe hätten die Chefredaktion erreicht. Der Chefredakteur habe sie selbst beantwortet und in seinen Schreiben das Missverständnis bedauert. Weder die Redaktion noch der Kolumnist hätten Homosexuelle diskriminieren wollen.