Fotos von Menschen in Panik
Die furchtbare Realität darf auch im Bild dargestellt werden
Die Online-Ausgabe einer Boulevardzeitung veröffentlicht nach der Loveparade-Katastrophe von Duisburg immer wieder Fotostrecken, auf denen Menschen in Panik zu sehen sind. Es sind Bilder von abgedeckten Leichen und von Verletzten dabei. Insbesondere die Strecke „Die Bilder des Todesdramas – Panik am Eingang"hat zu Beschwerden geführt. Insgesamt 179 Nutzer des Online-Portals wandten sich an den Presserat. Fast alle Beschwerdeführer kritisieren Fotos, die notdürftig abgedeckte Leichen zeigen. In einigen Fällen sind Details zu erkennen, so etwa eine besonders auffällige Uhr. In anderen Fällen werden Menschen gezeigt, die in Panik sind und nach Luft ringen. Hierin erkennen die Beschwerdeführer Verstöße gegen die Ziffern 1 (Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde) und 11 (Sensationsberichterstattung und Jugendschutz) des Pressekodex. Sie sehen eine unangemessen sensationelle Darstellung sowie einen Verstoß gegen die Menschenwürde. Einige Beschwerdeführer nennen die Ziffer 9 als Beschwerdegrund, da die Ehre von Menschen verletzt worden sei. Auch einige Bildtexte erzeugen bei Lesern Widerspruch, so etwa diese: „Die Leiche eines jungen Ravers liegt abgedeckt im Müll", „Ein Foto, das Gänsehaut vermittelt – zwei Tote am Haupteingang" oder „Die Hand im Tode verkrampft. Auch dieser Mann wurde bei der Panik vermutlich zerquetscht". Die Rechtsabteilung des Verlags nimmt Stellung. Bei Geschehnissen von besonderem öffentlichem Interesse und herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung habe die Presse eine umfassende Informations- und Chronistenpflicht. Dies bedeute für den Journalisten immer wieder eine schwierige Gratwanderung zwischen zurückhaltender und nicht zu drastischer, gleichzeitig jedoch vollständiger und ungefilterter Darstellung des zeitgeschichtlichen Moments. In ihrer umfangreichen Stellungnahme geht die Rechtsvertretung des Verlags auf die einzelnen Vorwürfe der Beschwerdeführer ein. Fazit: Der Zeitung sei presseethisch kein Vorwurf zu machen. Auch beim zentralen Punkt der einzelnen Beschwerden – die Abbildung leidender Menschen – ist sich der Verlag keines Fehlverhaltens bewusst. Auf den Fotos würden die abgebildeten Personen weder systematisch öffentlich herabgewürdigt, noch sei mit ihnen in unerträglicher Weise umgegangen worden. Die Zeitung habe vielmehr ein Ereignis von überragendem öffentlichem Interesse dokumentiert. Dieses sei grausam und in der Betrachtung unangenehm. Jedoch gelte, dass nicht die Darstellung, sondern die ihr zu Grunde liegende Realität brutal sei. In diesem Kontext Angst und Panik darzustellen, kollidiere nicht mit der Menschenwürde der abgebildeten Personen. Die Fotos dokumentierten auf einzigartige Weise die dramatischen Momente, die authentische Informationen über das Geschehen beinhalteten. Keine der dargestellten Personen sei in irgendeiner Weise herabgewürdigt oder aus voyeuristischen Zwecken zum bloßen Objekt degradiert worden. Ein Verstoß gegen die Persönlichkeitsrechte der abgebildeten Personen liege nicht vor. Die Bilder seien aufgrund der herausragenden Bedeutung presseethisch nicht zu beanstanden. Dies ergebe die gemäß Richtlinie 8.1, Absatz 1, Satz 3, vorzunehmende Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Persönlichkeitsinteresse der Betroffenen. (2010)