Recherche in einem sozialen Netzwerk
Betroffene ist für erweiterten Personenkreis nicht identifizierbar
Eine Regionalzeitung berichtet online unter der Überschrift „Strandfeier wurde ihr zum Verhängnis“ über die Vergewaltigung einer jungen Frau in der Türkei. Die Zeitung berichtet, dass das 17-jährige Opfer aus einem kleinen Ort im Verbreitungsgebiet stamme und eine Ausbildung zur Justizangestellten absolviere. Sie habe auf der Seite eines sozialen Netzwerks folgenden Statusbericht abgegeben: „Stimmung: geliebt. Zwei Tage später: Stimmung: zugeknallt“. Wenige Wochen später sei sie an die türkische Riviera gereist, um dort Urlaub zu machen. Zum Thema Alkohol gebe sie im Internet ein klares Bekenntnis ab: „Nein“. Ein Leser der Zeitung kritisiert, dass die Redaktion für den Artikel in einem sozialen Netzwerk recherchiert habe. Dies verstoße gegen Ziffer 8 des Pressekodex (Persönlichkeitsrechte). Bei einem sozialen Netzwerk handele es sich um einen geschützten Bereich, in dem sich auch Minderjährige frei äußern können. Es sei keine Datenbank für Journalisten. Durch die Recherche sei die Privatsphäre der jungen Frau verletzt worden. Der stellvertretende Chefredakteur bestätigt, dass der Redakteur bei der Recherche zu dem Fall tatsächlich auch auf Einträge der jungen Frau in sozialen Netzwerken zurückgegriffen habe. Dafür sei keine Anmeldung oder Verwendung eines Passwortes erforderlich gewesen. Die betreffenden Internetseiten seien für jedermann zugänglich gewesen. Es gehöre heute fraglos zum journalistischen Handwerk, auch im Internet zu recherchieren. Der Sorgfaltspflicht sei der Autor nachgekommen, indem er sich durch Rückfrage bei der Staatsanwaltschaft vergewissert habe, dass der Name der Betroffenen von ihm korrekt recherchiert und der Eintrag im Internet zweifelsfrei dieser Person zuzuordnen sei. Im Übrigen habe die Redaktion die Anonymität des Opfers gewahrt, indem bei der Berichterstattung zu dem Fall kein Foto des Mädchens gezeigt und der Nachname abgekürzt worden sei. (2010)