Der Leser ist beim Sterben eines Mannes dabei
Persönlichkeitsrecht wiegt schwerer als das Informationsinteresse
Unter der Überschrift „Mann stirbt vor den Augen seiner Frau“ berichtet eine Regionalzeitung über ein Unglück am Strand einer Ostseeinsel. Die Zeitung schildert, wie ein Mann vor den Augen seiner Ehefrau untergeht. Freiwillige Helfer und Rettungskräfte können ihm nicht mehr helfen. Drei Fotos sind dem Text beigestellt. Auf einem ist das spätere Opfer im Wasser zu sehen und seine Frau am Strand. Beide Personen sind rot eingekreist; eine rote Linie verbindet die beiden. Auf einem weiteren Foto ist zu sehen, wie der leblose Mann aus dem Wasser gezogen wird. Auf dem dritten Bild winken Ersthelfer, die bei dem Körper des Verunglückten stehen, Sanitäter herbei. Ein Leser der Zeitung sieht in der Überschrift und in der szenischen Dokumentation des Unfallhergangs vom Leben bis zum Tode Verstöße gegen die Ziffern 1 (Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde) und 11 (Sensationsberichterstattung/Jugendschutz) des Pressekodex. Nicht die sachliche Berichterstattung über den tödlichen Badeunfall in der Ostsee, sondern das möglichst unmittelbare Dabeisein des Lesers beim Sterben vor Publikum stehe im Mittelpunkt der Berichterstattung. Der Chefredakteur der Zeitung sieht den Fall anders. Er weist den Vorwurf der Sensationsberichterstattung zurück. Der Beitrag sei im Kontext mit der zu diesem Zeitpunkt unverhältnismäßig hohen Zahl von Badeunfällen in der Ostsee zu sehen. Die Berichterstattung gehe nicht über ein begründetes öffentliches Interesse hinaus und beleuchte die Gefahren unachtsamen Verhaltens beim Baden in der Ostsee. Im Artikel werde auch beschrieben, wie leichtfertig manche Gäste das zuweilen ausgesprochene Badeverbot missachten. Die Redaktion habe nicht unangemessen sensationell berichtet. Es gehe einzig und allein um die Warnung und Sensibilisierung sowohl der Einheimischen als auch der Gäste. Auch der bearbeitende Redakteur nimmt Stellung. Die Redaktion habe sich nach eingehender Diskussion für die Veröffentlichung entschieden, diese aber auf eine küstennahe Ausgabe beschränkt. Es sei das Ziel gewesen, die Leser, die als Anlieger unmittelbar von dem Thema berührt seien, mit der Eindringlichkeit zu erreichen, die das Thema verdiene.