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Einem Menschen den Tod gewünscht

Zeitungs-Beitrag verletzt den Grundsatz, die Menschenwürde zu achten

Die Online-Ausgabe einer überregionalen Zeitung beschäftigt sich in einer Kolumne mit der Funktion und den Aufgaben eines Ausländerschutzbeauftragten. Hier eine Passage aus dem Beitrag: „So etwa die oberkruden Ansichten des leider erfolgreichen Buchautors Thilo S., den man, und das nur in Klammern, auch dann eine lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur nennen darf, wenn man weiß, dass dieser infolge eines Schlaganfalls derart verunstaltet wurde und dem man nur wünschen kann, der nächste Schlaganfall möge sein Werk gründlicher verrichten.“ Die Kolumne schließt mit diesem Hinweis: „Korrektur: Die halbseitige Gesichtslähmung des erfolgreichen Buchautors Thilo S. ist nicht auf einen Schlaganfall zurückzuführen, sondern die Folge einer Operation, bei der ihm ein Tumor am Ohr entfernt wurde.“ 25 Beschwerdeführer kritisieren in erster Linie eine Verletzung der Ziffer 1 des Pressekodex (Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde). Einige von ihnen begründen ihre Beschwerde mit der von ihnen vermuteten Verletzung weiterer Ziffern des Pressekodex. Tenor der meisten Beschwerden: Der Autor verletze die Menschenwürde eines namentlich genannten Menschen dadurch, dass er diesem einen tödlichen Schlaganfall wünsche. Das sei menschenverachtend. Die Berichterstattung sei zudem beleidigend, ehrverletzend und diskriminierend. Einige Beschwerdeführer kritisieren auch einen Verstoß gegen das sittliche Empfinden. Der Justitiar der Zeitung weist darauf hin, dass in dem Beitrag von einem Thilo S. die Rede gewesen sei und nicht von Dr. Thilo Sarrazin. Sofern man in diesem anonymisierten Namen unbedingt Thilo Sarrazin erkennen möchte, habe dieser grundsätzlich kein Problem damit, dass seit Jahren fortgesetzt über seine Erkrankung berichtet werde. In einer Berichtigung habe die Zeitung klargestellt, dass Sarrazin keinen Schlagfanfall erlitten habe. Vielmehr sei seine rechte Gesichtshälfte aufgrund der Entfernung eines Tumors gelähmt. Diesen Fehler bitte die Zeitung zu entschuldigen. In einer ergänzenden Stellungnahme teilt der Autor des kritisierten Beitrages mit, dass es sich bei der von den Beschwerdeführern geäußerten Deutung, er wünsche einem gewissen Thilo S. den Tod, um „eine fernliegende Auslegung“ seines Beitrages handele. Die Redaktion hält im Übrigen an ihrer Auffassung fest, dass – sofern Thilo S. nach Auffassung einiger Leser identisch mit Thilo Sarrazin sein sollte – dieser sich die Berichterstattung gefallen lassen müsse. Dies deshalb, da er zunächst seine körperlichen Leiden der Öffentlichkeit präsentiert und anschließend seine berufliche Existenz darauf aufgebaut habe, abenteuerliche Theorien zu entwickeln, in denen er breite Bevölkerungsgruppen vornehmlich aufgrund ihres ethnischen oder religiösen Hintergrundes diffamiere. Mit der sprachlich drastischen, aber in diesem Fall zulässigen Zuspitzung sollte ein bei Thilo Sarrazin zutage tretender Widerspruch verdeutlicht werden. Einerseits habe dieser quasi gottgewollte Eigenschaften willkürlich geschaffener Minderheiten herbeigeschrieben. Andererseits gehöre er als seinerzeit schwer Erkrankter und davon dauerhaft Gezeichneter selbst einer Minderheit an. Er fordere vorurteilslose Rücksichtnahme ein, die er anderen gegenüber nicht zu üben bereit ist.