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Beschwerdeflut wegen Gaddafi-Fotos

Großflächiges Foto zeigt den lybischen Diktator blutverschmiert

Eine Boulevardzeitung berichtet über den Tod von Muammar Al-Gaddafi. Sie druckt ein Foto des getöteten Diktators ab. Das etwas unscharfe Bild zeigt Gaddafi blutverschmiert. Seine Augen scheinen noch halb geöffnet zu sein. Im Inneren der Zeitung werden weitere Fotos der Leiche des früheren lybischen Machthabers gezeigt. Den Presserat erreichen 30 Beschwerden gegen die Printausgabe, neun gegen die Online-Ausgabe und sechs Beschwerden, die sich gegen beide Veröffentlichungsformen richten. Fast alle Beschwerdeführer beziehen sich auf Verstöße gegen die Ziffern 1 und 11 des Pressekodex (Achtung der Menschenwürde bzw. Sensationsberichterstattung, Jugendschutz). Sie kritisieren, dass ein sterbender und leidender Mensch, auch wenn er ein mutmaßlicher Tyrann und Mörder war, aus Sensationsgier großflächig gezeigt werde. Es sei eine Verletzung der Menschenwürde, Gaddafi so darzustellen. Viele Beschwerdeführer beziehen sich insbesondere auch darauf, dass die Titelseite der Printausgabe das Foto blatthoch präsentiert. Auch auf der Startseite der Online-Ausgabe seien die blutigen Bilder abgedruckt worden. Sie sehen einen Verstoß gegen den Jugendschutz nach Ziffer 11. Die Rechtsabteilung des Verlages gibt zu allen Beschwerden eine Stellungnahme ab. Diese enthält das Gutachten eines Experten, das sich der Verlag vollinhaltlich zu eigen macht. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die Abbildung des toten Gaddafi nicht gegen den Pressekodex verstößt. Der langjährige Diktator werde an keiner Stelle zu einem bloßen Objekt herabgewürdigt. Die Zeitung habe ein historisches Dokument der Zeitgeschichte gedruckt bzw. ins Netz gestellt. An diesem Dokument bestehe ein herausragendes öffentliches Interesse, so dass eine ungefilterte Berichterstattung gerechtfertigt sei. Die Veröffentlichung der Aufnahmen verstoße nicht gegen die Menschenwürde. Auch sei die Darstellung nicht unangemessen sensationell. Die Redaktion habe lediglich ihre Chronistenpflicht erfüllt und zeige die zugegebenermaßen brutale Realität. (2011)