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Begehrte Liste zum Großen Zapfenstreich

Boulevardzeitung spricht von vorbildlicher Ausübung des Wächteramtes

März 2012. Christian Wulff ist als Bundespräsident zurückgetreten. Die Bundeswehr verabschiedet ihn mit einem Großen Zapfenstreich. Die Gästeliste ist zunächst geheim. Deutschlandweit werden diese Fragen diskutiert: Wer steht – außer denen, die von Amts wegen quasi automatisch dazugehören – noch auf der Liste? Wer kommt, wer kommt nicht? Wer sagt zu, wer sagt ab? Wer sind die Leute, die Wulff auch nach dem Rücktritt so verbunden sind, dass er sie dabei haben will? Wer distanziert sich so von ihm, dass er oder sie beim Zapfenstreich gar nicht mehr dabei sein will? Die Online-Redaktion einer Boulevardzeitung schafft es, an die Liste heranzukommen. Sie veröffentlicht die Namen der Eingeladenen. Ein Leser der Zeitung sieht die Persönlichkeitsrechte der Genannten nach Ziffer 8 des Pressekodex verletzt. Er vermutet, dass die Eingeladenen nicht um die Einwilligung zur Veröffentlichung ihrer Namen gebeten worden seien. Die Rechtsabteilung der Zeitung kontert die Beschwerde mit der Anmerkung, die Redaktion habe das ihr obliegende Wächteramt geradezu vorbildlich ausgeübt. Auch und gerade durch die beharrlichen Recherchen der Zeitung seien Vorgänge aufgedeckt worden, die letztlich zur Aufhebung der Immunität des damaligen Bundespräsidenten und damit zu dessen Rücktritt geführt hätten. Dabei habe es sich – so die Zeitung weiter – um einen einmaligen Vorgang in der Geschichte der Bundesrepublik gehandelt. Die beanstandete Berichterstattung habe in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Abgang Wulffs und dem Großen Zapfenstreich gestanden. Diese Veranstaltung habe in Deutschland eine rege öffentliche Diskussion ausgelöst. „In Folge einer investigativen Leistung“ sei die Redaktion an die im Bundespräsidialamt geführte Liste der Teilnehmer gelangt. Eine der Redaktion vorgeworfene Verletzung von Persönlichkeitsrechten scheide schon deshalb aus, weil durch die zahlreichen Medienvertreter vor Ort ohnehin bekannt geworden wäre, wer anwesend gewesen sei. Die Zeitung habe daher entsprechend der Chronistenpflicht über ein zeitgeschichtliches Ereignis berichtet.