Entscheidungen finden

Trennung von Funktionen

Chefredakteur weckt den Eindruck widerstreitender Interessen

Unter der Überschrift „Knabenchor entläßt Professor“ berichtet eine Regionalzeitung über die Entlassung eines Stimmausbilders wegen einer zehn Jahre zurück liegenden Beziehung des Mannes zu einem damals 17-jährigen Chorknaben. Die Berichterstattung beruht auf einem Brief, in dem die Chorleitung die Mitglieder des Chores über die Kündigung informierte. Der Brief ging auch an die Eltern sowie an den Chefredakteur der Zeitung, der Kuratoriumsmitglied des Knabenchores ist. Chormitglieder, Eltern, Vorstand und Kuratorium erhielten zugleich auch einen Brief des Stimmausbilders, in dem dieser sein Verhalten schildert und bedauert, dass man sein Ausscheiden aus dem Chor zu dessen Schutz ohne Angabe von Gründen nicht ermöglicht hat. Die Rechtsvertretung des betroffenen Professors schaltet den Deutschen Presserat ein. Sie hält es für bedenklich, dass der Chefredakteur sich weigert, für ihren Mandanten positive Leserbriefe abzudrucken. Dadurch schaffe er in der Öffentlichkeit das Bild, dass Chormitglieder sich überhaupt nicht zur Sache äußern würden. Es gebe mittlerweile einen Leserbrief mit 123 Unterschriften der Eltern von Chormitgliedern, die sich gegen die Chorleitung wenden und sich für den Professor aussprechen. Der Beschwerdeführer kritisiert, dass der Chefredakteur einseitig über die Chorbelange berichte und damit journalistische Maßstäbe verletze. Der Chefredakteur der Zeitung betont in seiner Stellungnahme, dass eine Verquickung von Journalismus und Vereinsinteressen nicht vorliege. Er habe durch zwei Briefe von dem Vorgang erfahren. In dem einen habe ihm der Vorstand des Knabenchores mitgeteilt, dass er sich von dem Stimmbildner fristlos getrennt habe, weil es zwischen dem Betroffenen und einem minderjährigen Mitglied des Knabenchores eine sexuelle Beziehung gegeben habe. Sie sei erst jetzt bekannt geworden, weil der ehemalige Chorknabe dem Vorstand nach Jahren von dem Verhältnis berichtet habe. Der zweite Brief stamme von dem Betroffenen. Darin räume der Professor ein, dass er in einem schwachen Moment den zahlreichen Liebesbeteuerungen des jungen Sängers nachgegeben habe. Dieser Brief sei an alle Chormitglieder, Eltern, Vorstand und das Kuratorium gegangen. Er selbst habe die Briefe dem Ressortleiter der Lokalredaktion gegeben und diesen gebeten, über den Fall sachlich und unspektakulär zu berichten. Dies sei auch geschehen. An diesem Bericht gebe es wohl auch nach Meinung des Beschwerdeführers offensichtlich nichts auszusetzen. Man habe an keiner Stelle von Missbrauch geschrieben oder dem Professor ein strafbares Verhalten vorgeworfen. Man sehe auch kein Fehlverhalten darin, dass man zum Schutz der Betroffenen keine ausführliche Auseinandersetzung in Leserbriefen zugelassen habe, die zu dem Sachverhalt keine wesentlichen neuen Aspekte beigetragen hätten. (2002)