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Verdeckte Recherche

“Das erlebte ich bei der Eheberatung” gesteht eine Journalistin in ihrem Beitrag in einer Frauenzeitschrift. In der Reportage schildert sie ihre Erfahrungen beim Besuch dreier Einrichtung der Eheberatung. Zwei der Gespräche werden positiv, eines eher negativ bewertet. Die Autorin hat ihre Erkenntnisse verdeckt recherchiert. Die negativ beurteilte Beratungsstelle beschwert sich beim Deutschen Presserat. Sie ist der Ansicht, dass das Gespräch erschlichen wurde, da die Journalistin sich anfangs nicht als solche zu erkennen gegeben habe. Im Laufe des Gesprächs seien der Eheberaterin jedoch Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Anliegens gekommen, worauf die Frau zugegeben habe, dass sie als Journalistin arbeitet. Daraufhin habe die Eheberaterin das Gespräch abgebrochen und sich die journalistische Auswertung verbeten. Die Enttarnung der Journalistin hätte zu einer tendenziell negativen Berichterstattung geführt. Moniert werden die Recherchemethoden. Die Zeitschrift erklärt, Ausgangspunkt der Reportage sei nicht die Recherche für ein Thema gewesen, sondern das persönliche Problem der Journalistin, die sich von ihrem Mann trennen wollte. Erst im Verlauf der Beratung hätte die Kollegin festgestellt, wie schwierig es ist, in einer derartigen Situation schnell Hilfe zu finden. Daraus ist der Gedanke entstanden, auch anderen Frauen die Erfahrung mit Eheberatungsstellen zu vermitteln. Im Verlauf des Gesprächs habe die Journalistin die Eheberaterin darauf hingewiesen, dass sie Redakteurin sei. Dabei habe sie anklingen lassen, dass das Thema Eheberatung für einen journalistischen Beitrag geeignet sei. Trotzdem habe sie keine Irritation bei der Beraterin feststellen können. Das Gespräch sei fortgesetzt worden und hätte noch mindestens eine halbe Stunde gedauert. (1996)