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„Dem Leid ein Gesicht geben“

Im Einzelfall ist zwischen konkurrierenden Gütern abzuwägen

„Bundeswehr auf verlorenem Posten“ titelt eine Boulevardzeitung nach dem Anschlag im nordafghanischen Kunduz. Damals waren drei Bundeswehrsoldaten getötet und mehrere verletzt worden. Der Artikel ist mit dem Foto eines der verletzten Soldaten illustriert. Reinhold Robbe, Wehrbeauftragter des Bundestages, wendet sich als Beschwerdeführer an den Deutschen Presserat. In der identifizierenden Abbildung sieht er eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen und seiner Angehörigen. Es hätte den publizistischen Wert des Fotos nicht gemindert, wenn die Redaktion das Gesicht des Soldaten verfremdet hätte. Robbe moniert auch eine unangemessen sensationelle Darstellung und vermisst eine Abwägung zwischen der Publikation und den Gefühlen der Angehörigen. Die Rechtsabteilung des Verlags hält die Veröffentlich für presseethisch zulässig. Der berichtete Anschlag habe neun Menschenleben gefordert und 22 Verletzte auf dem Markt von Kunduz hinterlassen. Durch dieses Ereignis werde erneut die Gefahr deutlich, in der sich Soldaten bei ihrem Einsatz in Krisengebieten täglich befänden. Damit komme dem Anschlag eine zeitgeschichtliche Bedeutung zu. Ein öffentliches Informationsinteresse sei zweifellos gegeben. Gerade durch die Individualisierung werde eine besondere Aufmerksamkeit erregt, die dazu führe, dass dieser Terroranschlag in der politischen Debatte über den Afghanistan-Einsatz eine angemessene Beurteilung findet. Nach Auffassung der Zeitung sei es auch Aufgabe der Presse, dem Elend und der Gefahr in Kriegen „ein Gesicht zu geben“. (2007)