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„Lehrer half nicht, sondern rannte weg“

In Wirklichkeit wollte der Zeuge einer Bluttat Hilfe holen

Die Print- und die Online-Ausgabe einer Boulevardzeitung berichten unter der Überschrift „Amok-Mädchen. Weil er nicht eingriff! Opfer Anna belastet Lehrer“ über ein Mädchen, das in einer Fernsehsendung Vorwürfe gegen einen ehemaligen Lehrer seiner Schule erhoben hat. Der habe tatenlos zugesehen, wie es von einer Mitschülerin (von der Zeitung als „Amok-Mädchen“ bezeichnet) verletzt worden sei. Die Zeitung berichtet, dass der Lehrer mittlerweile im Ruhestand sei. Die Staatsanwaltschaft habe gegen ihn wegen unterlassener Hilfeleistung ermittelt, doch habe sich ein anfänglicher Tatverdacht nicht erhärtet. Die Zeitung druckt ein gepixeltes Bild des Lehrers und stellt die Amok-Szene in einer Zeichnung nach. Die Schuldirektorin ist in diesem Fall Beschwerdeführerin. Sie sieht die Persönlichkeitsrechte des ehemaligen Kollegen verletzt. Er sei durch die Berichterstattung erkennbar, obwohl er keine Person der Zeitgeschichte sei. Die Beschwerdeführerin bemängelt auch, dass das Schulgebäude ohne ihre Einwilligung abgebildet worden sei. Die Rechtsabteilung der Zeitung hält zunächst fest, dass alle in der Berichterstattung wiedergegebenen Fakten korrekt dargestellt worden seien. Sie seien von niemandem bestritten oder dementiert worden. Der Vorwurf, die Persönlichkeitsrechte des Lehrers verletzt zu haben, sei schon deshalb unhaltbar, da dieser nicht erkennbar dargestellt worden sei. Gerade zum Schutz der Persönlichkeitsrechte des Lehrers habe sich die Redaktion entschlossen, diesen so weit wie irgend möglich unkenntlich zu machen. Selbst wenn der Lehrer im vorliegenden Fall für einzelne Bekannte oder andere Lehrer erkennbar sein sollte, könne dies keineswegs allein der Zeitung angelastet werden. Bekannte, Lehrer und Schüler wüssten ohnehin von den Vorwürfen. Unabhängig davon, ob die Vorwürfe des Mädchens gegen den Lehrer zutreffend seien oder nicht, habe an dem Thema ein überragendes öffentliches Interesse bestanden. Dies gelte umso mehr, als sich Amokläufe an Schulen in letzter Zeit häuften, so dass letztlich die Schüler, Lehrer und Eltern aller Schulen ein großes Interesse am richtigen Verhalten in derartigen Situationen hätten. (2009)