Voyeurismus ist nicht die Triebfeder
Journalisten dürfen Trauerfeiern und Beerdigungen nicht stören
Die Online-Ausgabe einer überregionalen Zeitung berichtet über einen offenen Brief, in dem die Familie des Amokläufers von Winnenden die Hinterbliebenen der Opfer um Entschuldigung bittet und ihnen ihr Mitgefühl ausspricht. Der Beitrag enthält eine achtteilige Fotostrecke, die Motive der Beisetzungen, der Trauerfeiern und der Gedenkstätten zeigt. Grundlage ist die Beschwerde eines Lesers. Dieser sieht durch die Fotostrecke die Persönlichkeitsrechte der Opfer verletzt. Mit erheblichem Aufwand sei versucht worden, die Opfer ohne Presse beizusetzen. Dennoch seien auf dem Weg von der Kirche zum Friedhof Bilder gemacht worden. Zum einen hätten die meisten Anwesenden nicht fotografiert werden wollen, zum anderen sei durch die dauernd betätigten Aufnahmegeräte ein Geräuschpegel entstanden, der besser zu einem Presseempfang als zu einer würdigen Trauerfeier gepasst hätte. Die so entstandenen Bilder seien für die Berichterstattung verwendet worden. Da bei mehreren Fotos eine bestimmte Agentur als Quelle angegeben worden ist, leitet der Presserat gegen diese ein Beschwerdeverfahren ein. Der Chefredakteur der Nachrichtenagentur hält die veröffentlichten Bilder insgesamt für zulässig. Grundsätzlich könne Trauer in der Presse abgebildet werden. Das Interesse der Presse und der Öffentlichkeit sei in der Regel nicht von Voyeurismus getrieben. Die Abbildung an sich verletze die Privatsphäre Trauernder nicht. Dies gelte auch für die Fotos in diesem Fall. Im Einzelfall könne allerdings eine Trauerfeier durch die Arbeit von Journalisten erheblich gestört werden. Das dürfe nicht passieren. Trauer, so der Chefredakteur weiter, sei von jeher nicht nur ein individueller, sondern ein gesellschaftlicher Akt. Das Wesen einer Trauerfeier sei öffentlich. Trauern sei ein archaisches Bedürfnis des Nachfühlens und des Mitleidens. Dessen Befriedigung sei geeignet, die Gemeinschaft in sich selbst zu bestärken. Der Chefredakteur ist vor diesem Hintergrund der Meinung, dass die Bilder zulässig waren, da es sich um die Trauer nicht nur einer Familie, sondern hunderter oder tausender Menschen gehandelt habe. (2009)