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Zurückhaltung in Fällen von Selbsttötung

Anteilnahme als Triebfeder für Berichterstattung abwegig

Über den Doppel-Selbstmord in einem Hotel einer Großstadt berichtet eine Boulevardzeitung. Sie schildert Details aus den letzten Lebensstunden des Paares. Die Journalistin wird mit vollem Namen genannt; ein Porträt wird abgedruckt. Ihr Lebensgefährte wird mit seinem Vornamen, dem abgekürzten Nachnamen, jedoch mit Alter und Beruf dargestellt. Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, sowohl die Namensnennung als auch der Abdruck des Fotos der Journalistin seien zu Unrecht erfolgt. Sie hätte in der Berichterstattung anonymisiert werden müssen. Die Berichterstattung sei respektlos und verletze die Journalistin in ihrer Würde. Sie wenden sich an den Deutschen Presserat. Die Rechtsabteilung der Zeitung steht auf dem Standpunkt, die Veröffentlichung verletze die Würde und die Privatsphäre der Journalistin und ihres Lebenspartners nicht. Die Journalistin habe durch ihre Fernsehtätigkeit mehr im öffentlichen Leben gestanden als der so genannte “Normalbürger”. Hintergrund des Artikels sei nicht, wie vermutet, gieriges Sensationsinteresse, sondern Anteilnahme. Der Tod der beiden habe die Öffentlichkeit in besonderem Maße berührt. Es werde die Geschichte eines noch jungen Paares erzählt, das offenbar in tiefer Liebe miteinander verbunden war und das sich, wie die Umstände vermuten ließen, aufgrund der tödlichen Erkrankung der Frau dazu entschlossen habe, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden. Das Foto der Journalistin unterstreiche die Tragik des Ereignisses, da es eine besonders aufgeschlossene und positiv wirkende junge Frau zeige. Die Tatsache, dass das Paar für seinen Tod ein Hotel mitten in einer Großstadt gewählt habe, lasse darauf schließen, dass die beiden erwartet hätten, die Tat würde rasch entdeckt und dringe schnell an das Licht der Öffentlichkeit. Angehörige und Freunde des Paares hätten in ergreifender Weise durch zwei Todesanzeigen die Öffentlichkeit über das tragische Geschehen unterrichtet. Das identische Todesdatum in den Anzeigen lasse darauf schließen, was geschehen sei. (2006)