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Enden Persönlichkeitsrechte mit dem Tod?

Fünffacher Kindermord wirft grundsätzliche Fragen auf

In einer Boulevardzeitung und deren Online-Ausgabe erscheint ein Artikel mit der Überschrift „Die toten Kinder von Darry – Von der Mutter erstickt, vom Vater wieder ausgegraben“. Das Blatt berichtet über die Umbettung dreier Kinder von einem Berliner Friedhof nach Schleswig-Holstein. Diese Kinder – und zwei weitere - waren von ihrer Mutter getötet worden. Die Bilder zeigen Nahaufnahmen der Särge und der Gruft. In den Printbeitrag eingeblockt ist ein Familienfoto, auf dem die Gesichter der Erwachsenen gepixelt sind. Bei der Beschwerde geht es sowohl um die Umstände der Recherche als auch um den Inhalt der Veröffentlichungen. Der Beschwerdeführer – ein leitender Notfallseelsorger aus Schleswig-Holstein – ist mit dem fünffachen Kindermord von 2007 von Berufs wegen befasst. Er berichtet, die Umbettung der drei Kinder habe unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden sollen. Mit allen Firmen und den Friedhöfen sei Stillschweigen und absolute Vertraulichkeit vereinbart worden. Zu Beginn der Exhumierung in Berlin hätten mehrere Journalisten fotografieren und filmen wollen. Die Friedhofsverwaltung habe vergeblich versucht, sie davon abzuhalten. Im Gegensatz zu anderen Medien habe das Boulevardblatt Nahaufnahmen der Särge, der Gruft und des gesamten Vorgangs veröffentlicht. Zudem sei in der Online-Ausgabe ein „abscheuliches Video“ mit Nahaufnahmen abrufbar gewesen. Der Geistliche sieht einen Missbrauch der Pressefreiheit und eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte der verstorbenen Kinder und des trauernden Vaters. Er legt Wert darauf, dass der Videobeitrag aus dem Netz genommen wird. Im Übrigen sieht er den Pressekodex in den Ziffern 1, 8, 9, 11 und 15 verletzt. Die Rechtsabteilung der Zeitung ist der Auffassung, dass die Vorwürfe im juristischen Sinne nicht begründet sind, weil das Bundesverfassungsgericht die Fortwirkung des Persönlichkeitsrechts nach dem Tode verneine und nur ein Fortwirken der Menschenwürde im Sinne des allgemeinen Achtungsanspruchs anerkannt habe. Weder die Berichterstattung selbst noch die Bilder würdigten die Kinder herab oder erniedrigten sie. Da der Vater keine Scheu gezeigt habe, selbst per TV in die Öffentlichkeit zu gehen, könne von einer Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte nicht ausgegangen werden. Die Berichterstattung über die Umbettung sei mitfühlend und nicht sensationsheischend. Die Rechtsabteilung räumt ein, dass die im Internet gezeigten Bewegt-Bilder allerdings religiöse Gefühle verletzen könnten. Dies habe der Chefredakteur in einem Brief an den Seelsorger bedauert. Das fragliche Video sei nicht mehr abrufbar. Die bei der Exhumierung anwesenden Reporter hätten im Übrigen versichert, dass sie zu keiner Zeit am Fotografieren der Umbettung gehindert worden seien. (2008)