Begriff „Ehrenmord“ ohne Anführungszeichen
Nachrichtenagentur hatte Distanz schaffende Version gewählt
In einer Regionalzeitung erscheint ein Bericht unter der Überschrift „Ehrenmord in …: 20-Jährige getötet“. Es geht in dem Agenturbeitrag um die Motive für den Mord an einer jungen Frau. Im Beitrag heißt es: „Der brutale Tod der 20 Jahre alten Deutsch-Kurdin Gülsüm S. vor einem Monat war ein Ehrenmord“. Eine Leserin der Zeitung kritisiert, dass die Redaktion den Begriff „Ehrenmord“ übernommen habe, ohne diesen in Anführungszeichen zu setzen. Dadurch werde impliziert, es handele sich um etwas Ehrenhaftes und könne als Irreführung vor der Wahrheit gelten. Die Passage „Doch dann erfuhr die Familie, dass sie keine Jungfrau mehr war und schon einmal abgetrieben hatte“ verletze nach Ansicht der Beschwerdeführerin in unerträglicher Weise die Würde, Privat- und Intimsphäre der Person – auch über den Tod hinaus. Die Veröffentlichung dieser Details heiße, die Denkweise des Täters zu übernehmen und quasi das Opfer ins Unrecht zu setzen. Um die Öffentlichkeit über das Motiv der Tat angemessen zu informieren, hätte die Information ausgereicht, dass die Familie der jungen Frau verwehre, ihre elementaren Freiheits- und Menschenrechte in Anspruch zu nehmen. Die Nachrichtenagentur nimmt als Beschwerdegegnerin in diesem Fall Stellung. Sie habe den Begriff „Ehrenmord“ mit Anführungszeichen verwendet und im Text des ersten Absatzes die Tat als „so genannten Ehrenmord“ bezeichnet. Die angegebenen Details (keine Jungfrau mehr, Abtreibung) sei für das Verständnis des Falles von entscheidender Bedeutung. Es hätte nach Auffassung der Agentur nicht ausgereicht mitzuteilen, dass die Familie der Getöteten der jungen Frau verweigere, ihre elementaren Freiheits- und Menschenrechte in Anspruch zu nehmen. Den Vorwurf der Leserin, Agentur und Zeitung würden durch die Erwähnung der Abtreibung die Denkweise des Täters übernehmen, weist die Rechtsabteilung entschieden zurück. Dies werde als neutrale Tatsache dargestellt, und zwar als Tatsache, die den Hintergrund der Tat erkläre. (2009)