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„Vergeltungsorgie der Genossen“

An Säuberungen in kommunistischen Parteien erinnert

„Rachsucht“ überschreibt eine Regionalzeitung einen Kommentar zum Umgang der hessischen SPD mit den vier „abtrünnigen“ Landtagsabgeordneten. Sie hatten die Wahl von Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin verhindert. Wörtliche Passage: „Die Vergeltungsorgie der Genossen, ihre Sprache und Werturteile erinnern in übler Weise an den Ungeist der Säuberungsorgien, wie sie in kommunistischen Parteien gepflegt wurden.“ Ein hessischer SPD-Landtagsabgeordneter sieht die Ziffern 1 und 9 des Pressekodex verletzt. Er hält den Vergleich zwischen der SPD und den Säuberungen in kommunistischen Parteien für unzulässig. Die Säuberungen, auf die der Kommentator anspiele, hätten ihren Höhepunkt in Verfolgung und Staatsterror unter stalinistischer Herrschaft gefunden. Der Vergleich sei unzulässig und widerspreche der Ziffer 1 des Pressekodex. (Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde). Mit dem Vorwurf der Säuberungsorgien werde die SPD der terroristischen Verfolgung bezichtigt. Der Beschwerdeführer beklagt eine Verrohung der Sprache im kritisierten Kommentar und sieht einen Verstoß gegen Ziffer 9 (Schutz der Ehre). Der Chefredakteur der kritisierten Zeitung weist die Behauptung zurück, in dem Kommentar werde die SPD der terroristischen Verfolgung bezichtigt. Davon könne keine Rede sein. Im Kommentar werde das Verhalten der hessischen SPD gegen Abweichler als kleinliche Rachsucht kritisiert. Dem Beschwerdeführer sei offensichtlich nicht bekannt, wie die SED, die Vorgängerin der Partei „Die Linke“, in der DDR entstanden sei – nämlich 1946 durch „Säuberungen“ in der SPD und dem erzwungenen Zusammenschluss von KPD und SPD. Auch habe der Kommentator keinen direkten historischen Vergleich gezogen, sondern lediglich darauf hingewiesen, dass das Verhalten der hessischen SPD „an den Ungeist der Säuberungsorgien“ erinnere. Die scharfkantige Aussage als Bewertung eines politischen Vorgangs in einem Kommentar sei grundsätzlich von der Freiheit der Meinungsäußerung gedeckt. Es liege auch keine unangemessene Darstellung vor, die geeignet sein könnte, Menschen in ihrer Ehre zu verletzen. (2008)