Redaktion wehrt sich gegen harte Vorwürfe
Leser wirft Zeitung Sensationsgier und Pietätlosigkeit vor
Eine überregionale Zeitung berichtet in ihrer Online-Ausgabe, der Amokläufer von Winnenden habe seine Tat in einem Chatroom angekündigt. Zum Beitrag gehören fünf Fotos, die einige Opfer zeigen. Ein Nutzer der Internetausgabe sieht in der Veröffentlichung keine journalistische Notwendigkeit, sondern reine Sensationsgier. Den Abdruck der Opferbilder hält er für pietätlos. Die Chefredaktion der Zeitung verweist auf die Richtlinie 8.1 des Pressekodex. (Nennung von Namen/Abbildungen). Danach seien die Nennung von Namen und die Abbildung von Opfern in der Regel nicht gerechtfertigt. Winnenden sei nicht die Regel, sondern eine Ausnahme, von deren Existenz Richtlinie 8.1 implizit ausgehe. Die Redaktion habe, wie etliche Medien auch, es nicht nur als gerechtfertigt, sondern geradezu als geboten betrachtet, in der Abwägung zwischen Persönlichkeitsrechten und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit im Fall Winnenden auch dessen Opfer zu zeigen. Die Entscheidung, die Bilder einiger Opfer zu zeigen, habe nichts mit Sensationslust, mit Zynismus oder mangelndem Anstand zu tun. Vielmehr verberge sich dahinter der Wunsch, einer breiten Öffentlichkeit das Ausmaß der Tragödie wenigstens ansatzweise zu vermitteln. Der Vorwurf des Voyeurismus verdränge oft den Wunsch der Öffentlichkeit, Anteil nehmen zu können. Zugegeben – so die Chefredaktion in ihrer Stellungnahme – die schlichte Nachricht von 15 Todesopfern könne Mitgefühl erzeugen. Diese Nachricht allein jedoch hätte niemals die wahre Dimension des Schmerzes vermitteln können, die mit ihr verbunden ist. Fünfzehn Tote seien anonym, fremd und weit entfernt. Fotos, wie sie die Redaktion gezeigt habe, nähmen den Opfern diese Anonymität. Vor allem zeigten sie das Verbrechen in seiner unfassbaren Konsequenz. (2009)