Zeitung begründet Nennung des vollen Täternamens
Leser sieht postmortales Persönlichkeitsrecht verletzt
Eine überregionale Zeitung berichtet über den fünfzehnfachen Mord von Winnenden. Im Beitrag werden der Name des Täters und sein Wohnort genannt. Textpassage: „Der Täter, Tim Kretschmer aus dem Dorf Weiler zu Stein in der Nähe von Winnenden im Raum Stuttgart, war nach Augenzeugenberichten (…).“ Kurz darauf setzt sich die Redaktion unter der Überschrift „In eigener Sache“ mit der vorangegangenen Veröffentlichung des vollen Namens von Tim Kretschmer auseinander und legt dar, warum sie sich so und nicht anders entschieden hat. Ein Leser der Zeitung kritisiert die Nennung des Namens von Tim Kretschmer in den beiden Artikeln. Er sieht durch die volle Namensnennung das postmortale Persönlichkeitsrecht des Amokläufers und auch die Persönlichkeitsrechte der Familie verletzt. Er sieht auch Ziffer 11 des Pressekodex verletzt, weil der mit Namen genannte Täter erst 17 Jahre alt war. Schließlich vermutet der Beschwerdeführer eine Verletzung der Ziffer 13. Die Namensnennung verbiete sich schon deshalb, weil die Schuld des „angeblichen Täters“ gerichtlich noch nicht festgestellt worden sei. Die von den Medien hochgeputschte Berichterstattung sei nicht dazu geeignet, das Verhalten der Zeitung zu rechtfertigen. Im Fall einer afghanischen Frau, die gemeinsam mit ihrem Baby ermordet worden sei, habe die Redaktion auf die Namensnennung verzichtet. Für ihn, den Beschwerdeführer, stelle sich die Frage, warum die Zeitung nicht auch im vorliegenden Fall auf die Namensnennung verzichtet habe und ob es für die Berichterstattung essentiell sei, den Namen zu nennen. Der stellvertretende Chefredakteur der Zeitung hält die Beschwerde für verständlich, aber doch unbegründet. Nennung des Namens oder nicht – diese Frage sei seinerzeit in der Redaktion ausführlich diskutiert worden. Die Redaktion sei zu dem Schluss gekommen, dass es in diesem besonderen Fall zulässig sei, von der sonst üblichen Praxis abzuweichen. Wissend um die zu erwartende Diskussion in der Öffentlichkeit habe man sich dazu entschlossen, eine ausführliche Begründung für die Entscheidung abzudrucken. Die Redaktion sei nach wie vor der Auffassung, dass dieser Sonderfall die Namensnennung rechtfertige, wenngleich ihr bewusst sei, dass es auch andere Auffassungen geben könne. Die unterschiedlichen Interpretationen seien jedoch sicher keine Verstöße gegen den Pressekodex, sondern Ausdruck unterschiedlicher Meinungen im weiten Feld der Persönlichkeitsrechte. (2009)