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Bedingungen für journalistische Recherche verbessern

"Nach den Erfahrungen des Deutschen Presserats kann sich ein "Fall Sebnitz" überall abspielen, nicht nur in der überregionalen Presse". Die wichtigsten Sicherungen gegen vorverurteilende Berichte seien professionelle Distanz zu Vorgängen und Stimmungslagen, die strikte Beachtung handwerklicher Regeln sowie ausreichende Freiräume und Mittel für Recherchen. Qualitätssicherung zähle daher zu den Daueraufgaben in den Medien. Sie liege ebenso im wirtschaftlichen Interesse der Medien wie auch im Interesse ihrer öffentlichen Aufgabe, fasste Presseratssprecher Manfred Protze die Ergebnisse einer Anhörung des Deutschen Presserats zum Thema "Sorgfaltspflichten als Bestandteil der Qualität journalistischer Arbeit" am Mittwoch in Bonn zusammen.

Dabei diskutierten namhafte Vertreter aus Wissenschaft und Praxis mit Mitgliedern des Selbstkontrollorgans der Deutschen Presse und mit Gästen aus Medien und Hochschulen. Als Experten äußerten sich die taz-Korrespondentin Bettina Gaus, der Dresdner Korrespondent der Frankfurter Rundschau Bernhard Honnigfort, Hans Leyendecker, Leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung, sowie der Dortmunder Journalistik-Professor Horst Pöttker.

Der Beschwerdeausschuss des Deutschen Presserats hatte bereits in seiner Februar-Sitzung drei Zeitungen für ihre Berichterstattung über den am 13. Juni 1997 in Sebnitz angeblich von Neonazis getöteten Jungen, Joseph Kantelberg-Abdulla, gerügt. Ihren Entscheidungen legten die Mitglieder des Presserats Ziffer 2 des Pressekodex zugrunde. Sie verpflichtet die Presse, die zur Veröffentlichung bestimmten

"Nachrichten und Informationen in Wort und Bild ... mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. ... Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen."

Der Beschwerdeausschuss hob damals hervor, dass mit den Entscheidungen gegen einzelne Zeitungen die übrige Presse nicht entlastet sei. Insgesamt habe es sich vielmehr mit den offensichtlich falschen Berichten über die Geschehnisse in Sebnitz um einen Tiefpunkt der Presseberichterstattung gehandelt. Der dabei zu beobachtende Mainstreameffekt war ein wesentlicher Diskussionspunkt bei der Bonner Anhörung. Die Konkurrenzsituation zwischen den Medien werde vor allem durch die elektronischen Medien deutlich verschärft, so der SZ-Journalist, Hans Leyendecker, und führe zu einem regelrechten "Rattenrennen" um möglichst originelle Nachrichten. Speziell im Fall Sebnitz, so die einhellige Meinung auf dem Podium, hätten viele Journalisten geglaubt, was sie glauben wollten. Es habe eine "Gestimmtheit" gegeben, erklärte Bernhard Honnigfort, die Geschichte von der Ermordung des kleinen Joseph für wahr zu halten. Außerdem, betonte die taz-Korrespondentin Bettina Gaus, habe das "schlechte Gewissen" mancher Kollegen eine Rolle gespielt, bis dahin insgesamt zu wenig über den Rechtsextremismus berichtet zu haben.

Professor Horst Pöttker hingegen hob hervor, dass nicht die Rechercheure versagt hätten, sondern die Recherche insgesamt einen zu geringen Stellenwert in der publizistischen Branche besitze. Speziell den Verlegern hielt er vor, Recherche überwiegend als Kostenfaktor im ökonomischen Kalkül zu betrachten. Tatsächlich wirke sich jedoch eine schlecht recherchierte Berichterstattung langfristig negativer auf die ökonomische Situation eines Medienunternehmens aus. Darüber hinaus würden die deutschen Journalisten zu oft den Fehler begehen, mehr auf die Meinung der Kollegen als auf die Erwartungen des Publikums zu achten: "Journalisten beziehen sich auf Journalisten gewohnheitsmäßig", so der Journalistik-Professor.

Allgemein konstatierten die Journalisten auf dem Podium, dass die Publizistischen Grundsätze des Deutschen Presserats vor allem in der journalistischen Ausbildung zu wenig Beachtung fänden. Horst Pöttker führte diesen Umstand darauf zurück, dass die Arbeit des Presserats zu wenig transparent sei. Er forderte in diesem Zusammenhang u.a. eine verständliche Kommentierung des Pressekodex für den Journalismus. Auch Manfred Protze hob hervor, dass die Publizistischen Grundsätze "wesentlicher Bestandteil von Aus- und Fortbildung" werden müssten. "Zugleich", so Protze, "muss der Deutsche Presserat mit seinen Entscheidungen die Journalistinnen und Journalisten besser erreichen als bisher." Es müsse deutlich werden, so der Sprecher des Presserats in seinem Resümee, dass vorverurteilende Berichterstattung und mangelnde Sorgfalt dem Ansehen der Presse insgesamt schaden. Die Bedingungen für journalistische Recherche seien darum insgesamt zu verbessern. "Und sofern die Ursachen dafür in den inneren Organisationstrukturen der Medienbetriebe liegen, appellieren wir an alle Beteiligten, die Mängel in diesem Bereich abzustellen."

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