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Gehören schockierende Fotos in die Presse?

Sechs Experten diskutierten am 22.09.2004 in Bonn mit den Mitgliedern des Deutschen Presserats im Rahmen eines Hearings zum Thema: Presseethik zwischen Jugendschutz und Pressefreiheit – Wie sind Gewaltfotos in Zeitungen und Zeitschriften zu bewerten? Die Häufung von Beschwerdefällen zu Fotos von Menschen, die bei Unfällen zu Tode kamen oder von Verbrechern umgebracht worden waren, hatten den Presserat veranlasst, das Expertengespräch zu führen.

Die von Werner Lauff moderierte Runde bestand neben den Jugendschutzexperten Joachim von Gottberg (Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen) und Professor Dr. Norbert Schneider (Landesanstalt für Medien NRW) aus der Fotografin Gaby Sommer, dem Chefredakteur des EXPRESS, Rudolf Kreitz, dem Mitglied der Chefredaktion von BILD, Dr. Nicolaus Fest, und dem Medienwirkungsforscher Professor Dr. Hans-Bernd Brosius vom Institut für Kommunikationswissenschaft, Universität München.

„Der Fotograf ist eine Art Dienstleister, sein Auftrag ist es, das was er sieht in Bilder zu fassen und diese seinem Auftraggeber zur Verfügung zu stellen“, sagte Gaby Sommer. Sie wies darauf hin, dass in den Nachrichtenagenturen einige schockierende Fotos gar nicht erst an die Kunden weitergeleitet würden. „Ich selbst hatte nach zehn Jahren der aktuellen Nachrichtenfotografie genug von Leichen, Trauernden und Blut“, sagt sie, und hat sich seitdem als freie Portraitfotografin auf Wirtschaftsthemen spezialisiert.

Für den Chefredakteur des EXPRESS sind auch ganz andere Fotos oftmals grausam: „Oft sind es dabei nicht die direkten Bilder einer Leiche, die einem zu schaffen machen, sondern die Momentaufnahmen und die Details, die einem so schrecklich lange in Erinnerung bleiben. Ein Arm, der unter einer Leichenplane hervorschaut. Ein liegengebliebener Schuh. Spielzeug in einem Autowrack.“ Den richtigen Weg bezüglich der Veröffentlichung von Gewaltfotos zu finden, sei schwierig – wenn nicht sogar unmöglich. Zu unterschiedlich seien die Wahrnehmungen und die Befindlichkeiten. Nur eine genaue Einzelfallprüfung könne einen seriösen Umgang mit diesem Thema garantieren. Kreitz sieht einen entscheidenden Unterschied zur TV-Berichterstattung: „Die Bilder kann man wegdrücken – ein Foto in einer Zeitung wirkt hingegen viel länger, weil man es länger anschauen kann und es sich vor allem auch immer wieder anschauen kann.“

Die Entscheidungen, Gewaltfotos zu veröffentlichen, so die einhellige Meinung der anwesenden Journalisten, falle immer in Absprache und nach ausführlicher Diskussion mit den Kollegen. Auch den Chefredaktionen falle die Entscheidung häufig nicht leicht, so Fest von BILD. Eine Auflagensteigerung sei gleichwohl nie mit solchen Fotos zu erreichen, vielmehr würden abschreckende Fotos die Leser auch vom Kauf der Zeitung abschrecken. „Entscheidend ist daher unserer Ansicht nach der Informations- und Verdichtungsgehalt eines Fotos. Das Foto muss also entweder Beleg für einen bisher unbekannten Aspekt sein oder einen Sachverhalt auf den Punkt bringen“, so Fest. Er betonte im Hinblick auf die fotografische Kriegsberichterstattung, dass man den polierten Bildern von Flugzeugträgern und Hubschraubern im Abendrot auch mal das wahre, nämlich blutige und grausame Elend der Realität entgegensetzen müsse.

Der Medienwirkungsforscher Professor Hans-Bernd Brosius verdeutlichte noch einmal, dass der Kontext einer Fotoveröffentlichung wichtig sei und dass durch unterschiedliche Kontexte von Bildern auch unterschiedliche Entscheidungen des Presserats zustande kommen könnten. „Bilder werden im Allgemeinen als eingängiger, wirkungsstärker, emotionaler und authentischer eingeschätzt als Texte“, so Brosius, „Gewaltbilder, genauer: Bilder von den Auswirkungen von Gewaltanwendung, sind weder prinzipiell zu verdammen noch zu verharmlosen. Ihre Beurteilung muss allerdings differenziert erfolgen. Gerade die Frage der Wirkung von Bildern – führen solche Darstellungen also zu Desorientierungen, Angstzuständen, Abstumpfungen oder ähnlichem – ist unter kommunikations-wissenschaftlichen Gesichtspunkten sehr schwer zu beurteilen.“

Joachim von Gottberg wies darauf hin, dass Kinder sehr genau zwischen Fiktion und Realität zu unterscheiden wissen. Für sie seien gewalttätige Fotos aus fiktiven TV Sendungen oder Computerspielen leichter verdaulich als die Darstellung von Realität. Auch er erklärte, dass die Bilder, die der Presserat zu beurteilen hatte, sehr unterschiedlich wirkten und daher auch unterschiedlich beurteilt werden müssten. „Zu einer einheitlichen Meinung wird man bei solchen Fotos wohl nie kommen“, so Gottberg, „Fotos emotionalisieren und mit den besten Kriterien käme man nicht zu einer einheitlichen Entscheidung, da Menschen nun mal auf Fotos unterschiedlich sensibel reagieren“, so Gottberg - allerdings: „Nur eine freie Presse schafft die Chance, dass die Menschen sich ein einigermaßen realistisches Bild über die Lage in Kriegsgebieten verschaffen können. Ohne den Pressekodex und das Risiko von Sanktionen aber wäre die Gefahr einer Inflation von Darstellungen grausamer Realitäten sehr groß. Dies hätte zur Folge, dass der empathische Effekt durch Gewöhnung abnimmt. Deshalb sollten sich die Redaktionen bei jedem Bild überlegen, ob die Brutalität der Darstellung nötig ist, um ein bestimmtes publizistisches Ziel zu erreichen.“

Professor Schneider wies darauf hin, dass vor allem die Würde des einzelnen Menschen, der gezeigt werde, nicht in Mitleidenschaft gezogen werden dürfe. „Je mehr z. B. ein Bild das Gefühl des Betrachters angreift, weil es eine Grausamkeit zeigt, oder ein Gesicht, das vom Schmerz verzerrt ist, desto mehr Vorsicht ist geboten.“ Das Argument, schon eine andere Zeitung habe das gleiche Foto veröffentlicht oder es sei auch schon im Fernsehen zu sehen gewesen, so Schneider, sei ein äußerst schwaches Argument, das nicht wirklich als Kriterium für eine Veröffentlichung herangezogen werden könne.

Der Presserat stellte sich mit diesem Hearing auch der Kritik einiger Journalisten und Verleger, die Entscheidungen des Presserats im Hinblick auf die Veröffentlichung von Fotos aus Kriegen, von Attentaten etc. seien nicht immer nachvollziehbar. So wurde das Foto eines abgeschlagenen Kopfes aus der Berichterstattung des Krieges in Liberia im Beschwerdeausschuss als unbegründet abgewiesen, da es sich um ein Fotodokument der Zeitgeschichte handele, welches zwar grausam sei, jedoch auch eine aufrüttelnde und aufklärende Funktion habe. Anders entschied der Presserat den Fall des getöteten Amerikaners Nick Berg, der von Terroristen vor laufender Kamera enthauptet worden war. Hier erteilte der Presserat eine öffentliche Rüge, da die Fotos aus dem Video kein journalistisches Produkt seien. Vielmehr handele es sich um Aufnahmen der Mörder, die den Mord gezielt begingen, um mit den Aufnahmen davon Angst zu schüren und Propaganda für ihre Ziele zu machen. Eine Veröffentlichung der Bilder vom Mordvollzug kann daher die Absichten der Mörder fördern. Sie hätte unterbleiben müssen.

Die Platzierung und Größe einer Veröffentlichung kann nach Meinung von einigen der anwesenden Experten ein mögliches Kriterium für die Beurteilung sein. Ein Patentrezept, so die einhellige Meinung, gibt es nicht. Jeden Tag aufs neue müssen Abwägungen in den Medienhäusern stattfinden, ob ein Foto gebracht wird oder nicht, und bei jedem dem Presserat vorliegenden Fall muss der Presserat anhand des Pressekodex wieder neu entscheiden.

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