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Namen und Fotos der Opfer – der Kontext zählt

Der Presserat hat sich auf seinen Beschwerdeausschuss-Sitzungen am 19. und 20. Mai mit der Berichterstattung über den Amoklauf von Winnenden auseinandergesetzt und 13 Verstöße gegen den Pressekodex geahndet. In den meisten Fällen wurden die Ziffer 8 (Persönlichkeitsrechte) und die Ziffer 11 (Sensationsberichterstattung) verletzt. Der Presserat sprach zwei öffentliche und eine nicht-öffentliche Rüge aus, fünf Missbilligungen und fünf Hinweise. Insgesamt hatten sich nach der Tat in Winnenden 79 Leser gegen Beiträge in Print und Online beschwert, in 47 Fällen hatte der Presserat Beschwerdeverfahren eingeleitet

Die meisten Beschwerden richteten sich gegen die Veröffentlichung der abgekürzten Namen und Fotos der Opfer des Amoklaufs. Die Nennung und Abbildung von Opfern hat der Presserat in Ziffer 8, Richtlinie 8.1., Absatz 2 deutlich geregelt:

Opfer von Unglücksfällen oder von Straftaten haben Anspruch auf besonderen Schutz ihres Namens. Für das Verständnis des Unfallgeschehens bzw. des Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Ausnahmen können bei Personen der Zeitgeschichte oder bei besonderen Begleitumständen gerechtfertigt sein.

Den hier festgehaltenen besonderen Begleitumständen der Tat von Winnenden hat der Presserat in einigen Fällen jedoch Rechnung getragen. So zeigten mehrere Zeitungen und Zeitschriften Bildergalerien der Opfer, vorwiegend als Porträtbilder. Der dezente Umgang in diesen Bildergalerien ohne sensationelle Aufmachung und unangemessene Formulierungen, sondern lediglich mit dem Hinweis, dass es sich im Folgenden um die Opfer des Amoklaufs handelt, hält der Presserat für mit dem Pressekodex vereinbar.

Andererseits hat der Presserat Fälle sanktioniert, bei denen Fotos und Namen der Opfer lediglich zur Illustration einer Geschichte benutzt wurden. Hier haben Redaktionen Opferfotos als sensationelles Element zweckentfremdet, um auf die Story aufmerksam zu machen. Der jeweilige Kontext der Verwendung war für den Ausschuss hier ausschlaggebend. Als Symbolfoto können Opferfotos nicht benutzt werden.

Das Foto eines Holzkreuzes, auf dem der volle Namen einer der Verstorbenen zu lesen ist, wurde ebenso beanstandet wie die volle Namensnennung von Opfern mit Vor- und Nachnamen. Mit beiden Namenszeilen werden die Opfer für die Öffentlichkeit komplett identifizierbar, wohingegen ein Foto mit Vornamen sie erst einmal nur in der unmittelbaren Umgebung erkennbar macht. Dies kann nur in ganz einzelnen Fällen und bei besonderen Umständen zulässig sein.

Generell stellt der Presserat fest, dass das Mediennutzungsverhalten der Gesellschaft sich durch das Internet sehr gewandelt hat. Visualisierung ist wichtiger geworden, der Umgang der Menschen mit eigenen Daten wie Fotos etc. hat sich stark verändert. Dies hat auch Folgen für die Art der Berichterstattung und die Spruchpraxis des Presserats.

Bei dem Amokschützen handelt es sich um einen Jugendlichen, der nach dem Pressekodex einen besonderen Schutz genießt. Jedoch ist bei einer derart aufsehenerregenden Tat der Täter zu einer Person der Zeitgeschichte geworden, über die nach Auffassung des Presserats mit Foto und Namen berichtet werden darf. Die Abwägung des Interesses der Öffentlichkeit mit dem Schutz des jugendlichen Täters vor der Namensnennung fällt hier zu Lasten des Täters aus. Der Presserat berücksichtigt hier auch, dass sich die Eltern des Täters von sich aus an die Öffentlichkeit gewandt hatten.

Die Fotomontage einer Boulevardzeitung, die den Amoktäter in einem Kampfanzug in heroischer Pose zeigt, wurde genauso gerügt wie eine Grafik, die die Situation in einem Klassenzimmer nachzeichnet. Hier wird der Moment des Tötens einer Person dargestellt. Dies ist, vor allem mit Blick auf die Hinterbliebenen der Opfer, nicht mit Ziffer 11 des Pressekodex vereinbar.

Auf der Online-Seite einer Boulevardzeitung zeigt eine 3D-Animation, wie sich der Amoktäter durch die Schule bewegte und wen er dabei erschoss. Presseethisch nicht vertretbar ist die Perspektive der Animation. Hier kann sich jeder Online-Nutzer in die Rolle des Täters hineinversetzen und den Amoklauf quasi nachspielen. Die Animation in Anlehnung an die so genannten Ego-Shooter-Spiele geht nach Auffassung des Presserats zu weit.

Ein mit einem Handy gefilmtes Video, das auf mehreren Internetseiten von Zeitungen und Zeitschriften zu sehen war, zeigt, wie der Amoktäter angeschossen wird, zu Boden fällt und sich dann selber richtet. Erkennbar sind allerdings nur Umrisse, der Leser kann dem Täter nicht ins Gesicht blicken. Infolge unterschiedlicher Einschätzungen durch die beiden Ausschüsse, befasst sich am 9. September 2009 das Plenum mit dem Video.

Der Presserat hat sich ebenfalls mit der satirischen Bearbeitung des Amoklaufs befasst – und hält sie in Einzelfällen für vertretbar. Es ist immanent, dass bei einem traumatischen Erlebnis wie diesem sehr viele Leser einen satirischen Umgang für geschmacklos halten. Dies kann der Presserat nachempfinden und beurteilt es zum Teil auch so. Die Auffassungen über guten und schlechten Geschmack sind jedoch bekanntlich sehr unterschiedlich. Daher hat es sich der Presserat zum Prinzip gemacht, keine Bewertungen über Geschmacksfragen abzugeben. In dem vorliegenden Fall erkannte er die Beschwerden für von der Satirefreiheit gedeckt.

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