Entscheidungen finden

Haupt-Tatvorwurf im Kommentar unerwähnt

Urteil des Bundesgerichtshofes spricht eine ganz andere Sprache

Ein Magazin veröffentlicht einen Kommentar zum Strafverfahren gegen den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff. Der Beitrag ist namentlich gezeichnet und enthält ein Foto der Autorin. Sie hält das Strafverfahren für gerechtfertigt, obwohl ihm nur die Annahme von Vorteilen im Wert von 760 Euro vorgeworfen werde. In anderen Fällen werde in deutschen Gerichtssälen mit mehr Aufwand um sehr viel geringere Beträge verhandelt. So sei die Mitarbeiterin einer Ausländerbehörde zu drei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt worden. Ihr Vergehen: Sie habe sich von einer vietnamesischen Klientin, mit der sie auch befreundet gewesen sei, eine Bluse im Wert von 30 Euro schenken und sich von dieser auch gelegentlich die Fingernägel maniküren lassen. Ein Leser des Magazins kritisiert, im Beitrag werde der Tatvorwurf gegen die verurteilte Behördenmitarbeiterin falsch wiedergegeben. Er legt zur Begründung seiner Beschwerde eine Kopie des Urteils des Bundesgerichtshofes vor (Aktenzeichen: BGH 5 StR 130/13). Darin heißt es unter anderem: „Das Landgericht hatte die Angeklagte W. wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in 48 Fällen, in 14 Fällen in Tateinheit mit Bestechlichkeit und wegen Geheimnisverrats zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.“ Der Schwerpunkt der Schuld der Angeklagten – so der Beschwerdeführer weiter – habe nicht bei Blusen und Maniküren gelegen, sondern in ihrer Schleusertätigkeit. Die Redaktion des Magazins habe auf eine Mail nicht geantwortet. Die darin geforderte Richtigstellung sei nicht erfolgt. Nach Auffassung der Rechtsabteilung des Verlages hat die Autorin das Urteil nicht falsch, sondern allenfalls verkürzt wiedergegeben. Die Behördenmitarbeiterin sei zwar wegen der Einschleusung von Ausländern in Tateinheit mit Bestechlichkeit und Geheimnisverrat verurteilt worden. In den Augen der Autorin liege jedoch der Verurteilung ein eher läppischer Tatvorwurf zugrunde, nämlich der, eine Bluse angenommen zu haben und sich die Fingernägel maniküren zu lassen. Im Übrigen habe ihr Tatbeitrag im Wesentlichen im Weggucken und Augenzudrücken bestanden. Das Gericht habe sogar an einer Stelle des Urteils festgestellt, dass sie keine genauen Kenntnisse von der Schleusertätigkeit gehabt habe. Die Rechtsabteilung spricht von einer „möglicherweise missverständlichen Ausdrucksweise“ im Kommentar. Es habe sich nicht um einen normalen Rechercheartikel, sondern um einen Meinungsbeitrag gehandelt. Dieser sei durch die Stilelemente des Meinens und Dafürhaltens sowie Verkürzung und Zuspitzung geprägt. Würde man hier die Anforderungen an die Wiedergabe der Fakten ähnlich streng ansetzen wie bei einer normalen Berichterstattung, wäre die Meinungs- und Pressefreiheit unzulässig stark beschnitten.