Wie hat der Presserat entschieden?
Rüge, Missbilligung oder Hinweis, wie hat der Presserat entschieden? Hier können Sie online in der Spruchpraxis des Presserats eine Auswahl an Beschwerdefällen von 1985 bis heute recherchieren.
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7055 Entscheidungen
„Hier bedroht der Mörder seine Frau mit dem Gewehr“ – unter dieser Überschrift berichtet die Online-Ausgabe einer Boulevardzeitung über eine Beziehungstat, bei der ein Mann offenbar seine Ehefrau erschossen hat. Die Redaktion druckt ein Foto der Frau und nennt im Bildtext ihren vollen Namen. Auch wird die Adresse der Eltern der Getöteten – der Tatort - genannt. Ein unscharfes Foto, aufgenommen von einem Amateur, ist dem Bericht beigestellt. Es zeigt angeblich das Ehepaar im Garten des Elternhauses der Frau. Dort soll der Tatverdächtige ein Gewehr auf seine Frau gerichtet haben. Ein Leser der Zeitung sieht eine Verletzung des Persönlichkeitsschutzes des Opfers, das durch Foto und Namensnennung identifizierbar werde. Zu dieser Identifizierbarkeit trage auch die Angabe der vollen Adresse der Eltern des Opfers bei. Insgesamt – so der Beschwerdeführer – sei die Berichterstattung unangemessen sensationell durch den Abdruck der Amateuraufnahme, die kurz vor der Tötung der Frau entstanden sein soll. Nach Auffassung der Rechtsabteilung der Zeitung sei der außergewöhnliche Vorfall von so hohem öffentlichem Interesse, dass das Berichterstattungsinteresse etwaige Belange der Betroffenen überwiege. Die Redaktion habe sich bewusst für die Veröffentlichung der Fotos entschieden, um die Grausamkeit der Tat zu verdeutlichen und anzuprangern. Es müsse im Rahmen des Informationsauftrages erlaubt sein, dem Leser dramatische Ereignisse wie im vorliegenden Fall nahe zu bringen. Den Ausschlag für die Veröffentlichung habe letztlich gegeben, dass weder Täter noch Opfer wegen der unscharfen Aufnahmen zu erkennen seien. Die Zeitung hält die Berichterstattung insgesamt für zurückhaltend. Bei der Beurteilung dieses Falles sei zu berücksichtigen, dass sich der Täter auf der Flucht befand und die Berichterstattung auch dazu dienen sollte, die Bevölkerung zur Mithilfe an der Aufklärung der Tat zu bewegen. Eine unangemessen sensationelle Darstellung liege ebenfalls nicht vor, da die Fotos auf der Wiese das Geschehen vor der Tat, nicht jedoch die Tat selbst dokumentierten. Was das Porträtfoto des Opfers betreffe, sei die Redaktion zunächst von einem Einverständnis des Opfers mit einer Veröffentlichung ausgegangen, da dieses das Bild in sein Facebook-Profil eingestellt habe. Die Zeitung bekam jedoch ein Schreiben des Anwalts der Eltern des Opfers. Daraufhin habe die Zeitung eine strafbewährte Unterlassungserklärung abgegeben und das Bild umgehend aus allen Veröffentlichungen entfernt. Auch das Foto von der Wiese sei gelöscht worden. Die Rechtsabteilung schließt ihre Stellungnahme mit dem Hinweis, dass die Berichterstattung nicht die vollständige Adresse des Elternhauses des Opfers enthalte. Lediglich der Ortsteil sei genannt worden.
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„Schon wieder Mädchen in Indien aufgehängt!“ titelt die Online-Ausgabe einer Boulevardzeitung. Im Artikel wird über den Mord an einem indischen Mädchen berichtet, das nach einer mutmaßlichen Vergewaltigung von seinen Peinigern an einem Baum aufgehängt wurde. Dem Artikel ist ein Foto beigestellt, auf dem das Mordopfer im Vordergrund deutlich erkennbar abgebildet ist. Im Hintergrund ist eine Menschenmenge – zumeist aus Männern bestehend – zu sehen. Ein Nutzer der Online-Ausgabe sieht durch das Foto den Jugendschutz verletzt. Es sei unangemessen sensationell. Der Beschwerdeführer erkennt in der Veröffentlichung eine Verletzung der Ziffern 1 (Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde) und 11 (Sensationsberichterstattung, Jugendschutz) des Pressekodex. Die Rechtsabteilung der Zeitung teilt mit, die Redaktion habe sich gewissenhaft mit der Frage befasst, ob das Foto presseethisch zu beanstanden sei. Die Entscheidung, das Bild zu veröffentlichen, sei eindeutig gewesen. Es sei die Pflicht der Zeitung, auf grausame Gewalttaten aufmerksam zu machen und diese anzuprangern. Sie sehe sich gegenüber der Öffentlichkeit aufgrund des ihr obliegenden Informationsauftrages zu einer umfänglichen und ungefilterten Berichterstattung verpflichtet. Ausschlagend für die Bildberichterstattung sei am Ende gewesen, dass das Mordopfer nicht identifizierbar gezeigt werde. Es sei lediglich von hinten zu sehen. Das Foto – so die Rechtsabteilung weiter – dokumentiere und verdeutliche Brutalität und grausame Realität der Tat. Der Textbeitrag ordne das Foto journalistisch ein. Die Redaktion habe durchaus auch die möglichen Wirkungen auf Jugendliche bedacht. Sie sei aber angesichts der aktuellen gesellschaftlich relevanten Information nach wie vor davon überzeugt, dass das Informationsinteresse der Öffentlichkeit in diesem Fall den Ausschlag für den Abdruck zu Recht gegeben habe.
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Kontrollieren Sie Ihr Finanzamt“ – so überschreibt eine Zeitschrift einen Beitrag zur Einführung der vorausgefüllten Steuererklärung. Dieser beginnt so: „Die Finanzämter dürften heute mehr über ihre Schäfchen wissen als das frühere Ministerium für Staatssicherheit über den durchschnittlichen DDR-Bürger.“ Ein Leser der Zeitschrift sieht gleich mehrere Ziffern des Pressekodex verletzt. Der Vergleich der Finanzämter mit der einstigen Stasi sei bei aller journalistischen Freiheit unangemessen. Er erwecke den Anschein, als handelten die Finanzämter rechtswidrig. Die Daten, die die Ämter sammelten, schreibe jedoch der Gesetzgeber vor. Die Formulierung am Beginn des Beitrages ist nach Ansicht des Beschwerdeführers auch deshalb unsachgemäß, weil Finanzämter und MfS keine inhaltlich vergleichbaren Einrichtungen seien bzw. gewesen seien. Auch – so der Beschwerdeführer weiter – sei der Vergleich eine Verhöhnung der Stasi-Opfer. Schließlich beleidige er die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Finanzämtern. Der Chefredakteur der Zeitschrift nimmt Stellung. Der Journalist im allgemeinen und auch er selbst tendiere dazu, Themen zuzuspitzen, um den Leser für den Text zu interessieren. Diese Technik sei in dem kritisierten Beitrag bewusst gewählt worden. Natürlich habe der Beschwerdeführer Recht, wenn er darauf hinweise, dass das MfS seine Informationen meist mit kriminellen Methoden gewonnen habe. Das sei bei den Finanzämtern selbstverständlich nicht der Fall. Der Chefredakteur vertritt die Meinung, dass die Finanzverwaltung heute über Daten des Durchschnittsbürgers verfüge, die dem MfS allein aufgrund der fehlenden technischen Grundlagen nicht zur Verfügung gestanden hätten. Differenziere man zwischen den beiden Themen „Repression“ und „Datenmenge“, sei der im Konjunktiv angestellte Vergleich durchaus zulässig. Der Autor des Beitrages zeige auf, wie der Steuerbürger die Datenmassen, über die die Finanzverwaltung verfüge, kontrollieren und nutzen könne. Spätestens an dieser Stelle werde deutlich, dass der kritisierte Beitrag alles andere als eine Banalisierung oder Verharmlosung der Tätigkeit des früheren MfS zum Inhalt habe. (2014)
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„Hausärzte finden oft keinen Nachfolger“ – so überschreibt die Online-Ausgabe einer überregionalen Zeitung einen Bericht über den vor allem im ländlichen Raum immer bedrohlicher werdenden Ärztemangel. Zum Bericht gestellt ist eine Karikatur. Sie ist überschrieben mit dem Satz „Deutschland profitiert von eingewanderten Fachkräften“. Zu sehen ist ein schwarzafrikanischer Mann, der eine Holzmaske vor sein Gesicht hält. Er trägt einen Lendenschurz und tanzt mit einem Totenschädel in der Hand um ein Feuer herum. Im Hintergrund ist an einer Hauswand ein Schild mit der Aufschrift „Praxis Dr. Mbongo. Viele Heilung. Alle Kasse“ angebracht. Ein alter Mann, gestützt von einem Sanitäter, sagt zum Doktor: „… ich bin so froh, dass die Praxis endlich wieder besetzt ist.“ Im Artikel wird berichtet, dass die meisten Ärzte Schwierigkeiten hätten, einen Nachfolger zu finden. Vor allem im ländlichen Raum drohten Versorgungslücken. 58 Prozent der befragten Ärzte hätten angegeben, noch keinen Nachfolger für ihre Praxis gefunden zu haben. Ein Leser der Zeitung kritisiert, dass die Karikatur rassistische Klischees bemühe, so z. B., dass Ausländer kein Deutsch könnten, ausländische Medizin nur Hokuspokus sei und schwarze Menschen nackt herumliefen und um ein Feuer tanzten. Nach Auskunft der Geschäftsführung der Zeitung habe die Redaktion bewusst keine real existierenden Personen, sondern Stereotypen verwendet. Durch die Wiedergabe der Kunstfigur des Dr. Mbongo sollten die diesen Stereotypen zugeschriebenen Klischees benutzt werden, um die Absurdität von Vorurteilen oder Ängsten gegenüber ausländischen Ärzten offenzulegen. Ziel der Zeichnung sei es, durch eine völlige Überhöhung und Übertreibung bestehende Ressentiments der Lächerlichkeit preiszugeben. Dadurch erhalte die Karikatur den gegenteiligen Aussagegehalt, nämlich den, dass die Furcht vor Ärzten aus dem Ausland unbegründet sei.
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Ärger über Führungsstil von Katja Kipping“ titelt die Online-Ausgabe einer Tageszeitung. Einige Tage später berichtet die Zeitung online unter der Überschrift „Gysi warnt Linke vor Unkultur“ über ein angeblich in den Reihen der Linkspartei zirkulierendes Konzeptpapier, das angeblich aus dem Büro der Parteivorsitzenden Katja Kipping stammt. Es enthält eine Aufstellung zum künftigen Personalabbau der Bundestagsfraktion. Darin seien die Kategorien „Führungspersonal“, „Prämissen“, „personelle No-Gos“ und „zu schützende Personen“ erwähnt. Der Autor des Papiers fordert, dass die Fraktion „nicht zur ´Reste-Rampe´ der Abgewählten oder Rausgeschmissenen“ werden dürfe. Er nennt mehrere „Personelle No-Gos“ mit Namen. Unter der Rubrik „zu schützende Personen“ ist eine Liste von Politikern der Linkspartei ausgeführt, deren Weiterbeschäftigung verlangt wird. Beschwerdeführer in diesem Fall ist ein Regionalmitarbeiter der Bundestagsfraktion in Nordrhein-Westfalen. Er wird in dem anonymen Papier mit vollem Namen und Dienststelle genannt. Er teilt mit, dass er ein abhängig Beschäftigter der Bundestagsfraktion sei und kein politisches Wahlamt innehabe. Er kenne das interne Papier nur aus der Berichterstattung der Zeitung. Er stehe nicht - wie im Papier behauptet – unter dem Schutz der Parteivorsitzenden und habe bei ihr auch nicht darum nachgesucht. Der Beschwerdeführer sieht in der Berichterstattung über seine Person eine Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte nach Ziffer 8 des Pressekodex. Die Veröffentlichung seines Namens habe keinerlei Nachrichtenwert und verletze sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die Art der Darstellung in der Veröffentlichung sei dazu geeignet, sein berufliches Ansehen dauerhaft und schwer zu beschädigen. Das gelte umso mehr, als die berichteten Behauptungen falsch seien. Der Beschwerdeführer sieht auch eine Verletzung der Ziffer 2 des Pressekodex (Journalistische Sorgfaltspflicht). Die Redaktion habe das Papier offenkundig nicht auf seinen Wahrheitsgehalt geprüft. Sie habe es auch nicht für erforderlich gehalten, ihn – den Beschwerdeführer – um eine Stellungnahme zu den über ihn im Papier gemachten Aussagen zu bitten. Schließlich will der Beschwerdeführer erreichen, dass der Beitrag aus dem Internet genommen, nicht weiter verbreitet wird und die Details über ihn nicht mehr veröffentlicht werden. Der Redaktionsleiter Online der Zeitung teilt mit, dass man die Sorge um die Nennung der Namen von Mitarbeitern nachvollziehen könne. Da es aber in dem Papier nun einmal gerade um den aus Sicht der Redaktion berichtenswerten Umgang mit Personal in der Partei „Die Linke“ gehe und das Papier die Form einer Namensliste habe, wäre die Schwärzung von Namen einer Gesamtschwärzung des Papiers bedenklich nahegekommen. Der Redaktionsleiter berichtet, man habe abgewogen, welches Interesse das bedeutendere sei: Das öffentliche oder das persönliche. Die Redaktion bitte um Verständnis, dass sie zu dem Schluss gekommen sei, dass das öffentliche Interesse an dem Papier überwiege. Im Übrigen sei der kritisierte Beitrag schon vor der Beschwerde aus dem Netz entfernt worden. (2014)
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„Ist Putin schuld an diesen Toten?“ titelt eine Boulevardzeitung. Sie zeigt Porträtfotos von mehreren Opfern des Absturzes von MH17 über der Ukraine. In der Bildunterschrift stehen teilweise deren komplette Namen, Alter, Beruf, Wohnort und Herkunftsland. Ein Leser kritisiert, dass die Zeitung Russlands Präsidenten Putin so darstelle, als ob dieser an der Katastrophe von MH17 schuld wäre. Ein anderer Beschwerdeführer sieht in der Veröffentlichung der Opferfotos einen Verstoß gegen den Pressekodex (Ziffer 8, Richtlinie 8.2, Schutz der Persönlichkeit, Opferschutz). Die Identität der Opfer sei für das Verständnis des Unglückshergangs unerheblich. Es sei davon auszugehen, dass eine Einwilligung der Angehörigen in die Veröffentlichung der Fotos nicht vorgelegen habe. In vielen Fällen stammten die veröffentlichten Fotos offensichtlich von Facebook-Profilen der Opfer. Neben Persönlichkeitsrechten seien vermutlich auch Urheberrechte verletzt worden. Der Beschwerdeführer verweist auf ein Positivbeispiel: Eine große Regionalzeitung habe nur Fotos verwendet, die Angehörige zuvor selbst veröffentlicht bzw. der Presse zur Verfügung gestellt hätten. Die Rechtsvertretung der Zeitung teilt mit, die Redaktion habe sich bewusst für die Veröffentlichung entschieden, um so die schreckliche Realität und die „Kollateralschäden“ der heftigen Kämpfe zwischen der Ukraine und russischen Separatisten im Südosten des Landes „spürbar“ zu machen. Auf Grund ihres Informationsauftrages habe die Presse eine vollumfängliche Chronistenpflicht. Auf diese beruft sich die Zeitung und rechtfertigt so die Art der Berichterstattung. Zur Veröffentlichung der Fotos erklärt die Rechtsvertretung, es handele sich um Bilder, die weltweit in der Presse gezeigt worden seien. Vollständige Bildergalerien aller 298 Opfer seien im Internet nach wie vor abrufbar. Die Zeitung steht auf dem Standpunkt, dass die herausragende Bedeutung des zeitgeschichtlichen Ereignisses von größtem öffentlichem Interesse sei, das die schutzwürdigen Belange der Abgebildeten und ihrer Angehörigen und Hinterbliebenen überwiege. Abschließend stellt die Rechtsvertretung fest, die Berichterstattung sei nicht unangemessen sensationell, sondern reine Information.
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Eine Boulevardzeitung bebildert gedruckt und online einen Artikel unter der Überschrift „Die Bilder des Terrors“ mit Fotos von der Absturzstelle von MH17 in der Ost-Ukraine. Auf mehreren Fotos sind Leichen von Passagieren mit Hilfe von Weißraum unkenntlich gemacht. Auf einem Bild ist die nicht unkenntlich gemachte, verkohlte Hand einer Leiche zu sehen. Der Bildtext lautet: „GESPENSTISCH: Die völlig verkohlte Hand eines Opfers ragt aus einem Wrackteil. Viele Passagiere starben im Feuerball des explodierenden Treibstoffs.“ Zu dieser Veröffentlichung äußern sich mehrere Beschwerdeführer. Eine Leserin der Zeitung hält die Darstellung von tödlich verunglückten, verbrannten Menschen bzw. Körperteilen den Angehörigen der Opfer gegenüber für unzumutbar. Sie liefere auch keinerlei journalistischen Mehrwert oder zusätzlichen Informationsgehalt, der für das Verständnis der Situation und des Textes erforderlich wäre. Ein Beschwerdeführer hält die Darstellung von verkohlten Leichenteilen für menschenverachtend. Sie bringe keinen Mehrwert, wenn man von Klicks im Internet absehe, die von purer Sensationsgier veranlasst würden. Wiederum ein anderer Leser meint, als Erwachsener könne er wohl mit der Darstellung von Leichenteilen fertig werden. Anders sei wohl die Wirkung auf Kinder und Jugendliche einzuschätzen. Das Foto mit der gut sichtbaren verkohlten Hand sei pietät- und verantwortungslos. Die Rechtsvertretung der Zeitung beruft sich darauf, dass keines der Absturz-Opfer identifizierbar dargestellt worden sei. Ganz bewusst hätten sich Print- und Online-Redaktion entschieden, die Leichen vollständig unkenntlich zu machen. Dass die unter einem Flugzeugsitz hervorragende, verkohlte Hand einer Leiche bei manchen Lesern für Widerspruch gesorgt habe, sei nicht weiter verwunderlich. Es sei gut nachvollziehbar, dass es bei einem von Schrecken, Wut und Unverständnis belegten Thema zu Kritik an der Berichterstattung komme. Dieser wolle sich die Zeitung im Bewusstsein der eigenen besonderen journalistischen Verantwortung nicht verschließen. Angesichts einer Katastrophe mit 298 Toten hätten die Medien jedoch eine umfassende Informationspflicht. Dies umso mehr, als es sich bei der Katastrophe möglicherweise um einen Abschuss gehandelt habe. Die Art der Berichterstattung sei notwendig gewesen, um das Ausmaß der steigenden Gewaltbereitschaft und ihre Entwicklung klar und angemessen zu dokumentieren. Den Vorwurf der Pietätlosigkeit weist die Zeitung zurück. Das Foto sei eines von vielen und habe im Kontext der Berichterstattung nur eine untergeordnete Rolle gespielt.
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In der Sonntagsausgabe einer Boulevardzeitung erscheint gedruckt und online ein Kommentar unter der Überschrift „Islam als Integrationshindernis“. Der Autor setzt sich äußerst kritisch mit dem Islam auseinander. Der Beitrag enthält diese Passage: „Mich stört die weit überproportionale Kriminalität von Jugendlichen mit muslimischem Hintergrund. Mich stört die totschlagbereite Verachtung des Islam für Frauen und Homosexuelle. (…) Nun frage ich mich: Ist Religion ein Integrationshindernis? Mein Eindruck: Nicht immer. Aber beim Islam ja.“ Einen Tag später setzt sich – nunmehr in der während der Woche erscheinenden Boulevardzeitung – deren Chefredakteur und Herausgeber kritisch mit der sonntäglichen Islam-Kritik auseinander. Im Verlag – so heißt es da – sei kein Platz für pauschalierende, herabwürdigende Äußerungen gegenüber dem Islam und den Menschen, die an Allah glaubten. In derselben Ausgabe bezieht sich Gastkommentator Özcan Mutlu, Mitglied des Bundestages, in seinem Kommentar „Judenhass bekämpft man nicht mit Islamhass“ ausdrücklich auf den Kommentar aus der Sonntagsausgabe. Er stellt fest: „Der Kommentar ist für mich jedoch Rassismus pur. Die Hasstiraden des Autors schüren ohne Not Vorurteile, Ängste und Menschenfeindlichkeit.“ 215 Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer wenden sich im Zusammenhang mit dem Kommentar „Islam als Integrationshindernis“ an den Presserat, der diese Wortmeldungen als Sammelbeschwerde unter einem Aktenzeichen zusammenfasst. Im Kern werfen sie dem Kommentator eine pauschale Beschimpfung, Verächtlichmachung, Verleumdung, Beleidigung, Kriminalisierung von Bekenntnissen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsvereinigungen vor. Der Kommentar sei geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören. Viele Beschwerdeführer verweisen auf eine ohnehin aufgeheizte und hoch-emotionalisierte „Nahost“-Debatte, eine Debatte um Flüchtlinge und auch über die Auswirkungen der NSU-Morde. Sie sehen eine ausgewogene und differenzierende Debatte als gefährdet an. In der Sammelbeschwerde werden viele Ziffern des Pressekodex angesprochen, vor allem jedoch die Ziffern 1 (Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde), 10 (Religion, Weltanschauung, Sitte) und 12 (Diskriminierungen) des Pressekodex. Der Autor des heftig kritisierten Kommentars nimmt zu den Beschwerden Stellung. Er konzentriert sich auf die Ziffern 10 und 12, hält seinen Beitrag jedoch selbst für eine Meinungsäußerung, die mit dem Pressekodex vereinbar sei. Aus seiner Sicht sind sämtliche Beschwerden in diesem Fall unbegründet. Scharfe Kritik an fraglichen Weltanschauungen müsse möglich sein. Der Autor betont die „Ich-Perspektive“ und verweist damit auf eine persönliche Meinungsäußerung. Zitat: „So nenne ich präzise die Dinge, die mich stören (Homophobie, ´Ehrenmorde´, ´Friedensrichter´, antisemitische Ausschreitungen, Frauenentrechtung)“. Über Fragen der persönlichen Einstellung, des individuellen Weltbildes und des Geschmacks entscheide der Presserat aus guten Gründen nicht. Der Kommentator bezieht sich auf die Spruchpraxis des Presserats. Danach lebe gerade die Meinungsfreiheit vom - auch scharfen – Pro und Contra. Nochmals ein Zitat: „Man muss eben auch die Frage stellen dürfen, ob eine Religion, die keine Aufklärung erlebt und in anderen europäischen Ländern bereits existierende Parallelgesellschaften errichtet hat, überhaupt mit unserer Grundordnung vereinbar ist.“ (2014)
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„Ruhet in Frieden!“ – unter dieser Überschrift berichtet die Online-Ausgabe einer Boulevardzeitung über die Opfer von Flug MH17, wobei nicht endgültig geklärt ist, ob das Flugzeug über der Ostukraine abgestürzt oder abgeschossen worden ist. Zitat aus dem Text: „298 Namen und Gesichter. Hinter jedem steckt eine Geschichte, doch all diese Leben wurden von einer Rakete russischer Bauart ausgelöscht.“ Das Online-Portal veröffentlicht zum Artikel Fotos von den toten Passagieren und stellt jeweils Bildunterschriften wie diese dazu: „Kurz vor dem Abflug machten Petra von Langeveld und ihr 15jähriger Sohn Gary Slok dieses Selfie an Bord von MH17. Die beiden Niederländer waren auf dem Weg in den Urlaub. Garys größtes Hobby: Fußballspielen. Er war Torwart im lokalen Sportverein Maassluis.“ Eine Leserin wendet sich mit ihrer Beschwerde an den Presserat. Sie sieht im Abdruck der Fotos der Opfer einen Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex (Schutz der Persönlichkeit). Die Bilder dienten nicht der Aufklärung der Katastrophe. Mit ihnen versuche die Zeitung, ihre Nutzer für den Text zu interessieren. Im Übrigen seien die Opfer keine Personen der Zeitgeschichte, was eine Veröffentlichung hätte rechtfertigen können. Ein weiterer Beschwerdeführer sieht in den fotografischen Abbildungen und Namensnennungen einen Verstoß gegen den in Richtlinie 8.2 definierten Opferschutz. Die Rechtsabteilung des Verlages spricht in ihrer Stellungnahme von einem globalen zeitgeschichtlichen Ereignis, so dass die Betroffenen auch Personen der Zeitgeschichte seien. Dieser Umstand rechtfertige die Berichterstattung in der vorliegenden Form. Die Redaktion habe es sich bei der Entscheidung über die Art der Berichterstattung nicht leicht gemacht. Sie sei aber zu dem Ergebnis gekommen, dass die schließlich beschlossene Verfahrensweise presseethisch nicht zu beanstanden sei. Die Zeitung beruft sich auf den demokratischen Informationsauftrag, der eine „vollumfängliche Informations- und Chronistenpflicht“ zur Folge habe. Insbesondere liege kein Verstoß gegen das Kodex-Gebot des Persönlichkeitsschutzes vor. Das öffentliche Informationsinteresse überwiege in diesem Fall etwaige schutzwürdige Belange der Abgebildeten bzw. ihrer Angehörigen und Hinterbliebenen. Die beanstandeten Fotos – so die Rechtsabteilung – seien schon vor der beanstandeten Veröffentlichung in den niederländischen Printmedien abgedruckt worden. Alles in allem kommt die Zeitung zu dem Schluss, dass sie sich keines Verstoßes gegen presseethische Grundsätze schuldig gemacht habe.
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„Stoppt Putin jetzt!“ lautet die Überschrift auf dem Titel eines Nachrichtenmagazins. Die Seite enthält eine aus 50 Bildern bestehende Fotogalerie von Opfern der MH17-Katastrophe. Unter jedem Bild steht der Anfangsbuchstabe des Vornamens, der Nachname und als Todestag der 17. Juli 2014. Im Innern des Heftes berichtet das Magazin unter der Überschrift „Spätes Erwachen“ über die Katastrophe. Textpassage: „Es musste eine Boeing mit fast 300 Menschen an Bord abgeschossen werden, ehe die EU-Staaten zu ersten echten Wirtschaftssanktionen gegen Russland fanden“. Wie man mittlerweile so gut wie sicher wisse, sei Flug MH17 mit Raketen aus russischen Beständen abgeschossen worden. Diese wären ohne Putins Billigung wohl kaum in die Ukraine gelangt. Bislang habe Russlands Präsident eine direkte militärische Einmischung in der Ukraine vermieden. Er habe jedoch schweres Militärgerät über die Grenze zur Ukraine rollen lassen, nachdem die ukrainische Zentralregierung eine mehrtägige Waffenruhe ausgerufen habe. Mit den Luftabwehrraketen hätten die Separatisten den militärisch wichtigsten Vorteil der ukrainischen Armee ausgeglichen, die Luftüberlegenheit. Mehr als ein Dutzend Maschinen sei abgeschossen worden. Insgesamt 19 Beschwerden wenden sich gegen die Titelgeschichte. Zwölf Leser kritisieren dabei ausschließlich die Aufmachung der Titelseite. Sechs weitere richten sich gegen das Cover und die dazugehörigen Artikel. Einer beanstandet ausschließlich die Berichterstattung im Heft. Die Mehrheit der Beschwerdeführer kritisiert eine Instrumentalisierung der Opfer-Fotos auf dem Titel, um Stimmung gegen Russland und dessen Präsidenten zu machen bzw. für Sanktionen zu werben. Mehrere Leser des Magazins sehen eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Opfer durch die Fotos. Schließlich sind einige der Meinung, Russland und Putin würden durch die Veröffentlichung vorverurteilt, ohne dass Beweise für die Ursache der MH17-Katastrophe vorlägen. Die Rechtsvertretung des Magazins widerspricht den Beschwerdeführern und ist sicher, dass die Redaktion umfassend, ausgewogen und wahrheitsgemäß berichtet habe. Zum Vorwurf, die Persönlichkeitsrechte der Opfer verletzt zu haben, erklärt das Magazin, auch vier Wochen nach der Veröffentlichung habe sich noch kein Opfer-Angehöriger an die Redaktion gewandt und eine Verletzung seiner Gefühle gerügt. Die Rechtsabteilung erklärt, ihr sei bewusst, dass der Presserat die Veröffentlichung von „Opfergalerien“ als Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Toten ansehe. Sie regt an, der Presserat möge seine Einschätzung gut be- und überdenken. Die Redaktion habe sich ausschließlich ohne irgendein Zugangshindernis öffentlicher Quellen bedient. Deshalb könnte die Veröffentlichung von Namen und Fotos aus der von den Opfern selbst gewählten Sozial- oder Öffentlichkeitssphäre nach herkömmlichen Maßstäben auch nicht ansatzweise als Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte angesehen werden.
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