Entscheidungen finden

Wie hat der Presserat entschieden?

Rüge, Missbilligung oder Hinweis, wie hat der Presserat entschieden? Hier können Sie online in der Spruchpraxis des Presserats eine Auswahl an Beschwerdefällen von 1985 bis heute recherchieren.

Bitte beachten: Im Volltext abrufbar sind nur Entscheidungen mit den Aktenzeichen ab 2024, z.B. 0123/24/3-BA!
Sie müssen dazu immer das volle Aktenzeichen eingeben, also 0123/24/3-BA.

Nach detaillierten Richtlinien (z.B. 8.1) können Sie erst ab den Fällen aus 2024 recherchieren. Ältere Fälle werden nur unter der entsprechenden Ziffer (z.B. 8) angezeigt.

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Entscheidungsjahr
7055 Entscheidungen

Messerattacke vor den Augen vieler Passanten

Ein englischer Soldat wird in London Opfer einer tödlichen Beilattacke. Eine Regionalzeitung berichtet online über den Fall und kommentiert ihn unter der Überschrift „Ein Smartphone findet sich immer“. Der Autor setzt sich kritisch mit der medialen Inszenierung des Angriffs auseinander. Der Kommentar ist bebildert mit einem Bild aus einem Handy-Video, das unmittelbar nach der Tat aufgenommen wurde. Es zeigt den Angreifer mit blutverschmierten Händen. Die Tatwaffe ist zu sehen. Bildtext: „Filmausschnitt eines Amateurvideos: Mit noch blutigen Händen lässt sich der Londoner Attentäter von einem Amateurfilmer interviewen“. In diesem Zusammenhang erscheint ein Video, das nach dem Einreichen der Beschwerde nicht mehr abrufbar ist. Eine Nutzerin der Onlineausgabe sieht durch die Berichterstattung Ziffer 11 des Pressekodex (Sensationsberichterstattung/Jugendschutz) verletzt. Das in den Beitrag eingebundene Foto zeige die Gewalt, mit der der Soldat geradezu abgeschlachtet worden sei. Die Zeitung schenke dem Täter dadurch die Aufmerksamkeit, die er durch seine Tat habe erreichen wollen. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin sei die Wiedergabe des Fotos mit Richtlinie 11.2 nicht vereinbar. Darin ist festgehalten, dass die Presse bei der Berichterstattung über Gewalttaten das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegen die Interessen der Opfer und Betroffenen sorgsam abwägen muss. Sie berichtet unabhängig und authentisch, lässt sich aber dabei nicht zum Werkzeug von Verbrechern machen. Die Rechtsabteilung des Verlages weist den Vorwurf einer Verletzung des Pressekodex zurück. Entscheidend sei, dass der Kommentator sich kritisch mit der Visualisierung des Attentats durch einen Amateurfilmer auseinandersetzt. Die Ermordung des Soldaten hebe sich aus der Masse anderer Verbrechen dadurch hervor, dass sie religiös und politisch motiviert gewesen sei. Die Tat sei mit besonderer Brutalität am Tag und in der Öffentlichkeit ausgeführt worden. Dass ein zufälliger Beobachter am Tatort gewesen sei und mit seiner Handyaufnahme dem Täter ein Forum gegeben habe, sei kritikwürdig und vom Autor auch in diesem Zusammenhang kritisch hinterfragt worden. Schon die Überschrift „Ein Smartphone findet sich immer“ lasse die kritische Haltung des Kommentators erkennen. Er ordne das Geschehen gesellschaftspolitisch ein und kommentiere es scharf. Wenn im Kommentar-Kontext das Tatwerkzeug eingeblendet werde, so diene dies ausschließlich der Unterrichtung des Lesers. Das im Verfahren vom Verlag nachgereichte Video belegt mit großer Eindringlichkeit, was der Autor im Kommentar kritisiert. Ein Mensch tötet einen anderen vor den Augen vieler Passanten, und ein Beobachter hat nichts Besseres zu tun, als den Attentäter mit seinem Handy zu filmen, während dieser mit blutverschmierten Händen und der Tatwaffe vor dem Handy-Filmer herumfuchtelt. Die Rechtsabteilung hält die Veröffentlichung des Fotos im Zusammenhang mit dem kritischen Kommentar für gerechtfertigt. Die Presse mache sich in diesem Fall gerade nicht zum Werkzeug des Verbrechers, sondern kritisiere diejenigen, die dem Verbrecher ein Forum böten.

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Journalisten auf einer Gratwanderung

Die Online-Ausgabe einer Boulevardzeitung berichtet über die Beilattacke auf einen Soldaten in London unter der Überschrift „So lief die bestialische Tat in London ab“. Die Redaktion rekonstruiert den Tatablauf. Sie veröffentlicht ein Video, das den Täter mit blutverschmierten Händen zeigt. Er streckt dem Hobby-Filmer die Tatwaffe entgegen. Im Hintergrund ist das am Boden liegende Tatopfer zu sehen. Das Video hat ein Passant gemacht, der zufällig am Tatort war. Eine Leserin sieht in der Veröffentlichung einen Verstoß gegen Ziffer 11 des Pressekodex (Sensationsberichterstattung/Jugendschutz). Der Film zeige die Gewalt, mit der der Soldat getötet worden sei. Besonders im Hinblick auf Kinder und Jugendliche sei das Video kritikwürdig. Die Rechtsabteilung sieht in der Veröffentlichung des kritisierten Videos, das von einer Nachrichtenagentur vertrieben worden sei, keinen Verstoß gegen den Pressekodex. Das Video sei unmittelbar nach der Tat aufgenommen worden. Trotz verständlicher emotionaler Reaktionen auf die Darstellung müsse bedacht werden, dass die Redaktion bei einem Geschehen von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung eine Informations- und Chronistenpflicht habe. Journalisten müssten eine Gratwanderung vollziehen zwischen zurückhaltender und nicht zu drastischer Darstellung des zeitgeschichtlichen Moments, ohne das Geschehen zu verfälschen. Die Redaktion habe vor der Veröffentlichung des Videos sorgfältig das Für und Wider abgewogen. Angesichts der zeitgeschichtlichen Relevanz des Ereignisses sei sie presseethisch zulässig. Der Verlag legt das nicht mehr im Internet verfügbare Video trotz Aufforderung durch den Presserat nicht vor und beruft sich dabei auf urheberrechtliche Gründe. Das kann der Presserat nicht nachvollziehen. Die Herausgabe des Videos sei zumutbar und könne auch ohne großen technischen Aufwand erfolgen. Möglicherweise existierende urheberrechtliche Hinderungsgründe kann der Presserat nicht erkennen. Die Vorlage des Videos stelle keine weitere Veröffentlichung oder sonstige Nutzung dar. Das Beschwerdeverfahren sei durchgängig vertraulich. Die Rechtsabteilung schickt daraufhin einen Link mit einer Video-Berichterstattung eines anderen Anbieters. Hier ist das Video weiterhin zu sehen. Die Geschäftsstelle des Presserats geht davon aus, dass es sich um das gleiche Video handelt, das bei dem kritisierten Verlag zu sehen war. Sie legt nun dieses Video als Bewertungsgrundlage dem Beschwerdeausschuss vor.

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SPD-Politikerin im Kreuzfeuer der Kritik

„SPD-Querulantin nervt jetzt auch den Bürgermeister“ titelt eine Boulevardzeitung. Eine Woche später folgt ein weiterer Bericht. Überschrift hier: „SPD quält sich weiter mit ihrer Querulantin“. Es geht um eine Politikerin, die parteiintern als „lose Kanone an Deck“ bezeichnet wird. Sie stänkere öffentlich gegen die Parteilinie und sei nicht einmal für den Parteichef und Bürgermeister zu kontrollieren. Ihr Aufruf bei der letzten Bundestagswahl, einen Kandidaten der CDU zu wählen, und ein Angriff auf den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück hätten eine Rüge und ein „normenverdeutlichendes Gespräch“ zu Folge gehabt. Ein hochrangiges SPD-Mitglied habe der Zeitung gegenüber gesagt: „Die (…) hat einen richtigen Hau“. Die Zeitung wollte dazu auch die Betroffene hören. Die Betroffene wollte sich aber nicht äußern. Sie wendet sich mit einer Beschwerde an den Presserat. Durch die von der Zeitung wiedergegebenen Bezeichnungen werde sie herabgewürdigt. Beleidigungen dieser Art dürften nach ihrer Auffassung nicht abgedruckt werden. Letztlich entscheide der Autor, welche Zitate er wiedergebe. Falsch sei, dass sie zur Wahl des CDU-Kandidaten aufgerufen habe. Sie habe lediglich gesagt, sie würde ihn eher wählen als den SPD-Kandidaten. Nach Auffassung der Rechtsabteilung des Verlages habe die Redaktion keine „anonymen Zitate“ abgedruckt, sondern Äußerungen von hochrangigen SPD-Politikern, die korrekt wiedergegeben worden seien. Eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Politikerin liege nicht vor, zumal es in der Berichterstattung nicht um ihr Privatleben gegangen sei. Die Beschwerdeführerin gefährde durch öffentliche Äußerungen gegen die Parteilinie den parteiinternen Zusammenhalt. Gerade deshalb sei ihr Verhalten von öffentlichem Interesse. Wenn sich hochrangige Politiker zu den Vorgängen äußerten, müsse der Leser davon erfahren. Schließlich sei auch eine persönliche Diffamierung oder Beleidigung nicht zu erkennen. Die in den Beiträgen wiedergegebenen Äußerungen von Politikern bewegten sich im Rahmen von zulässigen Meinungsäußerungen. Eine solche öffentliche Auseinandersetzung müsse sich die Beschwerdeführerin gefallen lassen, zumal die zitierten Äußerungen doch eher scherzhaft gemeint seien.

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Mit Archivbild über aktuellen Streik berichtet

Eine Regionalzeitung illustriert ihren Bericht auf der Wirtschaftsseite über Streiks im Einzelhandel mit einem vierspaltigen Foto. Es zeigt mehrere Mitarbeiter eines Baumarktes in Streik-Montur (Plastik-Westen mit „ver.di“- und „Streik“-Aufdruck). Ein Mann in der Mitte des Bildes blickt direkt in Richtung Kamera. Im Bildtext heißt es: „Beschäftigte eines (…) Baumarktes traten schon am Montag in einen Warnstreik.“ Etwa zwei Wochen nach Erscheinen des Bildes druckt die Zeitung eine Gegendarstellung des Mannes ab, der von ihr zuvor identifizierbar dargestellt worden war. Im „Redaktionsschwanz“ entschuldigt sich die Redaktion dafür, dass das Foto nicht als Archivbild gekennzeichnet worden sei. Der anwaltlich vertretene Betroffene ist Beschwerdeführer in diesem Fall. Die Veröffentlichung des Fotos – so der Anwalt - verletze mehrere presseethische Grundsätze. Das Bild sei mehrere Jahre alt. Der Betroffene habe niemals sein Einverständnis gegeben, das Bild in Zukunft weiter zu verwenden. Seit Jahren habe er bewusst nicht an Aktionen von Betriebsrat und Gewerkschaft teilgenommen, weil er sich mit deren Zielen nicht identifiziere. Das Foto sei weder als Archiv- noch als Symbolfoto gekennzeichnet gewesen. Nach dem Kenntnisstand des Beschwerdeführers hat an dem von der Zeitung angegebenen Zeitpunkt in besagtem Baumarkt gar kein Streik stattgefunden. Als Folge der Berichterstattung sei er am Arbeitsplatz und im Bekanntenkreis angefeindet worden. Der Chefredakteur der Zeitung teilt bedauernd mit, dass die Redaktion zur Illustration des Berichtes über einen aktuellen Streik ein Archivbild verwendet habe. Er verweist auf die veröffentlichte Gegendarstellung, an deren Schluss („Redaktionsschwanz“) die Redaktion ihren Fehler zugegeben und sich entschuldigt habe. Der Chefredakteur teilt überdies mit, dass die beiden verantwortlichen Redakteure wegen des massiven Sorgfaltspflichtverstoßes abgemahnt worden seien. Insbesondere seien sie darauf hingewiesen worden, dass Archiv- und Symbolfotos als solche zu kennzeichnen seien. Beiden sei vorgehalten worden, dass sie hätten reagieren müssen, als der Beschwerdeführer sie nach der Veröffentlichung aufgefordert habe, den Sachverhalt umgehend korrekt darzustellen.

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Namen von Zeugen werden nicht genannt

In Form eines Live-Tickers berichtet eine Zeitung online über den NSU-Prozess in München. Sie veröffentlicht Terminhinweise des Oberlandesgerichts (OLG) München. Sieben Zeugen werden mit vollständigem Namen, Dienstgraden bzw. Titeln angekündigt. Im Live-Ticker nennt die Zeitung die Zeugen dann überwiegend mit Vornamen und abgekürztem Nachnamen. Ein Nutzer des Internetportals sieht Ziffer 8 des Pressekodex (Persönlichkeitsrechte) durch die Namensnennung verletzt. Die Rechtsvertretung der Zeitung sieht die Namensnennung im Fall eines Gutachters, der über die rechtsmedizinischen Details der Kopfschussverletzung eines der Opfer aussagte, ohnehin laut Pressekodex für zulässig an. Zu den anderen Nennungen sagt die Rechtsvertretung, dass es sich dabei ausnahmslos um Kriminalkommissare bzw. Polizisten handele, die in einem der aufsehenerregendsten Prozesse in der deutschen Nachkriegsgeschichte ausgesagt hätten. In der Regel würden Zeugen nicht mit Namen genannt. Die Redaktion habe die Nennung ausnahmsweise für zulässig im Kontext der Ziffer 8 gehalten.

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Karikatur: Netanjahu träufelt Gift auf ein Brot

Israels Regierungschef Netanjahu sitzt auf einer Parkbank und träufelt aus einer mit einem Totenkopf und dem Label „Siedlungsbau“ beschrifteten Flasche eine wohl giftige Flüssigkeit auf ein Stück Brot. Dieses ist offensichtlich für eine mit auf der Bank sitzende (Friedens-)Taube gedacht. Auf deren Federn ist der Begriff „Nahost-Friede“ zu lesen. Es ist eine Karikatur, die hier beschrieben wird. Sie erschien in einer Regionalzeitung gedruckt und online. Unter der Karikatur steht ein Zitat von Georg Kreisler: „Geh´n mer Tauben vergiften im Park“. Eine Leserin der Zeitung hält die Karikatur für antisemitisch und wendet sich mit einer Beschwerde an den Presserat. Der Name von Georg Kreisler werde missbraucht – das ist ein weiterer Vorwurf, den die Frau erhebt. Die Leserin sieht Ziffer 2 (Journalistische Sorgfaltspflicht) verletzt. Der Presserat eröffnet das Beschwerdeverfahren nur hinsichtlich eines möglichen Verstoßes gegen Ziffer 12 (Diskriminierung). Die Rechtsvertretung der Zeitung beruft sich auf die Meinungs- bzw. Kunstfreiheit. Ein beleidigender oder antisemitischer Charakter sei in der Karikatur nicht zu entdecken. Das sei vom Zeichner auch nicht beabsichtigt gewesen. Dieser stellt in seiner Stellungnahme unter anderem fest: „Kurz nach den Gesprächen israelischer und palästinensischer Unterhändler in Washington erklärt die israelische Regierung, den Siedlungsbau im Westjordanland intensivieren zu wollen. Das ist Gift für das Streben nach einer friedlichen Lösung, also Gift für die (potentielle) Friedenstaube, und da fiel mir ganz einfach dieser Text von Georg Kreisler ein. (…) Sollte ich die Gefühle jüdischer Menschen, insbesondere Angehöriger der Familie Kreisler verletzt haben, so tut mir das von Herzen leid.“ Die Rechtsvertretung der Zeitung teilt mit, dass diese Entschuldigung des Urhebers der Karikatur sowie eine Stellungnahme der Chefredaktion in einem Artikel der „Jüdischen Allgemeinen“ abgedruckt worden seien. Auszug aus diesem Beitrag: „Die (…) Zeitung hingegen kann in der Karikatur keine antisemitischen Vorurteile erkennen. Dennoch bereut das Blatt inzwischen den Abdruck dieser Zeichnung.“ Sie würde die Karikatur nicht noch einmal veröffentlichen.

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Parkbesucherinnen angeblich belästigt

Eine Boulevardzeitung berichtet online unter der Überschrift „Asylbewerber belästigen Parkbesucherinnen“ über angebliche Belästigungen in einer Grünanlage. Wörtlich wird ein Lokalpolitiker zitiert: „Es gibt Probleme wegen Mülls, Lärms und wegen der Belästigung von Parkbesucherinnen.“ Der Beitrag ist mit einem Symbolfoto illustriert. Es zeigt die Hand eines Mannes auf der Schulter einer Frau, die ein weit ausgeschnittenes T-Shirt trägt. Ein Nutzer des Internetauftritts kritisiert, dass die Autorin ungeprüft Behauptungen eines Lokalpolitikers übernommen habe. Keines der angeblichen Opfer sei befragt worden, auch nicht die zuständigen Institutionen und Behörden. Von beiden sei im Bericht die Rede. Der mangelhaft recherchierte Beitrag habe einen Funktionär der NPD zu dem Antrag veranlasst, demzufolge Asylbewerber künftig nur noch unter Aufsicht ins Schwimmbad gehen dürften. Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, dass man so nicht mit einem sensiblen Thema umgehen könne. Der Chefredakteur der Zeitung spricht in seiner Stellungnahme von einem normalen, sachlich verfassten Bericht, der den Verlauf einer Sitzung von Kommunalpolitikern wiedergebe. Es gehöre zum handwerklichen Standard, dass in solchen Berichten Sitzungsteilnehmer zitiert würden. Die Forderung, den Wahrheitsgehalt jeglicher Zitate zu überprüfen, sei völlig unrealistisch. Dann wäre die Berichterstattung über Gremiumssitzungen schlicht und einfach nicht mehr möglich. Dass der Bericht einen NPD-Funktionär zu einem Antrag animiert habe, sei bedauerlich, aber nicht zu verhindern. Es gehöre zum Auftrag der Presse, den Verlauf politischer Sitzungen möglichst objektiv wiederzugeben. Nichts Anderes sei in diesem Fall geschehen.

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Piloten zum Sprit-Rapport nach Irland zitiert?

„Hauptsache, billig“ – so überschreibt eine Wochenzeitung ihren Bericht über das Geschäftsmodell und die Arbeitsbedingungen bei der Fluggesellschaft Ryanair. Mehrere Passagen im Artikel veranlassen den Leiter der Öffentlichkeitsarbeit des Unternehmens zu einer Beschwerde beim Presserat. Er sieht die Ziffern 3 (Richtigstellung) und 9 (Schutz der Ehre) des Pressekodex verletzt. Die Geschäftsstelle des Presserats merkt dazu an, dass dieser das Verfahren auf den Vorwurf des Verstoßes gegen Ziffer 2 des Pressekodex (Journalistische Sorgfaltspflicht) beschränkt. Im Mittelpunkt der Erörterung stehen folgende Passagen aus dem Bericht der Zeitung: 1. Die Behauptung, es seien wegen zu hohen Kerosinverbrauchs schon Piloten zum Rapport nach Irland zitiert worden. 2. Die Behauptung, Mitarbeiter setzten sich zum ersten Mal in der Unternehmensgeschichte zur Wehr und organisierten sich. 3. Die Darstellung, dass ein Pilot mit dem Pseudonym „Jakob Schneider“ seit kurzem viel höhere Sozialabgaben zahlen müsse, weil er wegen neuer gesetzlicher Regelungen dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterliege. Diese Behauptungen weist der Unternehmenssprecher als unwahr zurück. Die Zeitung lässt sich von einem Anwalt vertreten. Der unterfüttert die Angaben der Redaktion mit einer detaillierten Schilderung der Vorgänge.

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Ein Bild im kollektiven Gedächtnis

Ein Nachrichtenmagazin veröffentlicht im Inhaltsverzeichnis neben einem Anreißertext ein Foto, das eine Szene der Geiselnahme von Gladbeck zeigt. Der Entführer Degowski hält der Geisel Silke Bischoff, die später ermordet wurde, eine Pistole an den Kopf. Der Artikel im Innern des Heftes trägt die Überschrift „Schreckweite Augen“. Der Beschwerdeführer – er vertritt das Forum Qualitätsjournalismus – sieht die Ziffern 8 (Persönlichkeitsrechte), 9 (Schutz der Ehre) und 11 (Sensationsberichterstattung) des Pressekodex durch das Foto und die Artikel-Überschrift verletzt. Silke Bischoff habe auch posthum verletzbare Persönlichkeitsrechte. Die Fotoveröffentlichung verstoße gegen Ziffer 8 auch im Hinblick auf die Angehörigen. Silke Bischoff leide offensichtlich Todesängste, worauf die Überschrift „Schreckweite Augen“ auch anspiele. Der Beitrag sei auch – so der Beschwerdeführer – unangemessen sensationell. Dies vor allem mit dem späteren Wissen, dass die junge Frau die Geiselnahme nicht überlebt habe. Ein Mitarbeiter des Justiziariats des Magazins vertritt die Meinung, dass Silke Bischoff als Opfer des Verbrechens durch die Bildberichterstattung nicht unzulässig in ihren postmortalen Persönlichkeitsrechten betroffen worden sei. Der kritisierte Artikel setze sich mit der möglichen Freilassung des Täters Degowski auseinander. Die Tat im Jahr 1988 habe auch deshalb bundesweites Aufsehen erregt, weil Journalisten noch während der Geiselnahme Interviews mit Tätern und Opfern geführt hätten. Vor diesem Hintergrund bestehe auch ein legitimes Interesse an der erneuten Veröffentlichung des fraglichen Fotos. Dieses gehöre – wie immer man bewerten möge, dass es zu solchen Bildern kommen konnte – inzwischen zum kollektiven Gedächtnis und sei geradezu Sinnbild für das damalige Verbrechen. Silke Bischoff lebe nicht mehr und könne deshalb nicht in ihrem Privatleben und ihrer informationellen Selbstbestimmung beeinträchtigt werden. Beides schütze Ziffer 8 in besonderem Maße. Betroffen sein könne sie lediglich in ihrem postmortalen Achtungsanspruch. Dieser werde durch den Beitrag jedoch nicht verletzt. Der Beitrag erinnere aus Anlass des 25. Jahrestages der Tat an das tragische Schicksal der jungen Frau. Eine Missachtung sei damit ebenso wenig verbunden wie mit der begleitenden Berichterstattung, die eben nicht einer unzulässigen Sensationalisierung, sondern der Veranschaulichung diene.

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Untragbare Zustände in Bangladesch

Ein Nachrichtenmagazin druckt ein Foto von zwei Fabrikarbeitern – einem Mann und einer Frau - ab, die beim Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch ums Leben gekommen sind. Der Mann scheint die Frau, von der nur Arm, Schulter und Hals zu sehen sind, im Arm zu halten. Er hat die Augen geschlossen, sein Mund ist leicht geöffnet. An Augen und Nase des Mannes ist vermutlich Blut zu sehen. Er erweckt den Eindruck, als schliefe er. Der Bildtext lautet: „Umgekommene Fabrikarbeiter im Rana Plaza.“ Eine Leserin hält das Foto für menschenverachtend und pietätlos. Sie hat die Redaktion in einer Mail gefragt, ob der Abdruck mit dem Einverständnis der Angehörigen erfolgt sei. Die Beschwerdeführerin äußert ihre Empörung über den Abdruck des Bildes. Der Presserat eröffnet das Verfahren wegen eines möglichen Verstoßes gegen Ziffer 11 des Pressekodex (Sensationsberichterstattung). Der Justiziar des Magazins berichtet, der Beitrag sei etwa zwei Monate nach dem Unglück und somit nach der hektisch-oberflächlichen Berichterstattung der Tageszeitungen und der elektronischen Medien veröffentlicht worden. Es handele sich um eine typische Aufklärungsgeschichte. Es gehe dabei vor allem um die sozialen und ökonomischen Ursachen des Unglücks. Den Bericht als sensationsheischend zu bezeichnen, sei abwegig. Der Autor schreibt, durch die Katastrophe werde ein gesellschaftliches Umdenken ausgelöst. Dieses Umdenken könne durch ein besonders beeindruckendes Foto noch verstärkt werden. Das beanstandete Bild stehe exemplarisch für die ganze Tragödie. Der Justiziar nennt viele Beispiele von renommierten Zeitungen und Zeitschriften, die das Foto ebenfalls gebracht hätten. Dieses habe die Fotografin berühmt gemacht. Das Bild entfalte seine Wucht vor allem dadurch, dass es eine furchtbare Tragödie still und eindringlich abbilde. Das Bild präge sich als Mahnmal für die untragbaren Zustände in den Fabriken in Bangladesch ein, die möglichst billig Produkte für westliche Kunden herstellten. Es könne dazu beitragen, die Bedingungen für die Arbeiter zu verbessern und erfülle damit sogar einen höheren Zweck:

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