Entscheidungen finden

Wie hat der Presserat entschieden?

Rüge, Missbilligung oder Hinweis, wie hat der Presserat entschieden? Hier können Sie online in der Spruchpraxis des Presserats eine Auswahl an Beschwerdefällen von 1985 bis heute recherchieren.

Bitte beachten: Im Volltext abrufbar sind nur Entscheidungen mit den Aktenzeichen ab 2024, z.B. 0123/24/3-BA!
Sie müssen dazu immer das volle Aktenzeichen eingeben, also 0123/24/3-BA.

Nach detaillierten Richtlinien (z.B. 8.1) können Sie erst ab den Fällen aus 2024 recherchieren. Ältere Fälle werden nur unter der entsprechenden Ziffer (z.B. 8) angezeigt.

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Entscheidungsjahr
7055 Entscheidungen

„Unter den Bewohnern sind auch Kriminelle“

Unter der Überschrift „Unter Camp-Bewohnern sollen auch Kriminelle sein“ berichtet eine Regionalzeitung über ein Lager, das von Osteuropäern bewohnt wird. Im Bericht heißt es, bei Polizei und Stadtverwaltung mehrten sich offenbar die Anzeichen, dass es sich bei den Bewohnern des Lagers nicht nur um harmlose Flüchtlinge handele. Zitat aus der Zeitung: „Unter den Osteuropäern – unter ihnen Rumänen, Bulgaren, Polen sowie Sinti und Roma – seien vermutlich auch Personen, die ihrer Armut durch illegale Mittel entkommen wollen, heißt es in der Stadtverwaltung.“ Die Polizei verdächtige die Bewohner, Straftaten zu begehen: „Konkrete Anhaltspunkte für Verbrechen gebe es derzeit aber nicht“, zitiert die Redaktion die Polizei. Ein Leser der Zeitung sieht presseethische Grundsätze verletzt. Die kleine Gruppe Osteuropäer werde unter Generalverdacht gestellt, Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zu begehen. Obwohl es für diese Verdächtigungen keine Beweise gebe, finde sich die Unterstellung in der Überschrift. Es handele sich um eine reine Verdachtsberichterstattung. Der Autor beziehe sich zwar auf zwei Quellen – Polizei und Stadtverwaltung. Die journalistische Sorgfaltspflicht verbiete jedoch die Veröffentlichung solcher Äußerungen, da die Polizei eingeräumt habe, dass Beweise für irgendwelche Straftaten nicht vorlägen. Der Beschwerdeführer beklagt weiter die Unterstellung des Autors, dass die Bewohner des Camps sich aufgrund ihrer Herkunft illegal verhielten. Dies sei eine Diskriminierung. „Unterdessen ist bekannt geworden, dass unter den Bewohnern wohl auch Kriminelle sind“ - die Verkürzung des falschen Verdachts fördere auf drastische Weise Vorurteile, die in der Stadt gegenüber osteuropäischen Obdachlosen herrschen. Der Chefredakteur der Zeitung berichtet in seiner Stellungnahme, die Redaktion habe mehrfach über das wilde Camp am Kanalufer berichtet. Soweit möglich, seien auch die Hintergründe beleuchtet worden. Die Redakteure hätten Hinweise bekommen, dass das Lager teilweise von Armutsflüchtlingen aus Osteuropa bewohnt werde, die ihren Lebensunterhalt nicht nur auf legale Weise bestritten. Stadtverwaltung und Polizei hätten dies unabhängig voneinander bestätigt. Die Redaktion habe von der Polizei vertrauliche Informationen bekommen, doch habe die Behörde aus ermittlungstaktischen Gründen auf die Herausgabe einer offiziellen öffentlichen Erklärung verzichtet. Die Quellen für die beanstandete Berichterstattung habe die Redaktion genannt. Dem hätten Polizei und Stadtverwaltung nicht widersprochen. (0315/12/2)

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Den Dalai Lama als „Dalai Gaga“ bezeichnet

Die Online-Ausgabe einer überregionalen Tageszeitung beschäftigt sich satirisch mit dem Dalai Lama. Im letzten Absatz heißt es: „Bleibt also nur die Frage, was der Dalai Gaga uns als nächstes erzählen wird.“ Ein Leser der Zeitung sieht in dieser Passage eine Verletzung der Menschenwürde des Dalai Lama. Durch die Darstellung würden zudem die Leiden der Tibeter verhöhnt. Im Rahmen der Vorprüfung beschränkt der Vorsitzende des Beschwerdeausschusses die Beschwerde auf die Bezeichnung „Dalai Gaga“. Die Rechtsvertretung der Zeitung teilt mit, dass der Dalai Lama im tibetischen Buddhismus als erleuchtetes Wesen verstanden werde. Ob auf ein erleuchtetes, respektive göttliches Wesen der Begriff der Menschenwürde im Sinne der Ziffer 1 des Pressekodex anzuwenden sei, hält die Zeitung für fragwürdig. Aber selbst wenn man einem göttlichen Wesen wie dem Dalai Lama die Teilhabe an einem so „schnöden Grundrecht“ wie der Menschenwürde zubillige, sei diese in dem kritisierten Artikel durchaus gewahrt worden. Der Begriff „Dalai Gaga“ könne nicht isoliert betrachtet werden. Die Rechtsvertretung weist auf den Satire-Charakter der Seite hin, auf der der kritisierte Artikel erschienen sei. Der Autor des Beitrags habe öffentlich bekundete Ansichten des Dalai Lama als Tatsachenbehauptung aufgezählt, die Sterblichen höchst merkwürdig erscheinen müssten. Danach gelange der Autor zu der ebenfalls tatsachenbasierten Schlussfolgerung, „seine Heiligkeit“ als „Dalai Gaga“ zu bezeichnen. Laut Duden stehe „Gaga“ für „Nicht recht bei Verstand“. Bezugsgröße könne hier freilich nur der Verstand von Sterblichen sein.

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Online-Ausgabe nennt zu viele Details

Eine regionale Boulevardzeitung berichtet online über ein Tötungsdelikt unter der Überschrift „Bub findet seine ermordete Mutter“. Ein Mann habe seine Frau am 8. Geburtstag des gemeinsamen Kindes erstochen. Der Junge habe seine schwer verletzte Mutter gefunden und sofort die Polizei verständigt. Die Zeitung nennt die genaue Adresse der Wohnung. Sie informiert ihre Leser über das Geburtstagsdatum des Jungen. Seine Eltern hätten sich kurz zuvor getrennt. Die Getötete habe die Scheidung gewollt und ihren Mann vor einiger Zeit wegen Körperverletzung angezeigt. Das Paar habe sich seit der Teenager-Zeit gekannt. Der Mann habe 2004 eine Frau vergewaltigt und sei dafür zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Während der Haftzeit hätten die beiden geheiratet. Seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis sei der Mann mehrfach durch Körperverletzungen aufgefallen. Inzwischen sitze er wieder in U-Haft und habe gestanden. Die Zeitung nennt Vater, Mutter und Sohn mit Vornamen, abgekürzten Familiennamen und dem jeweiligen Alter. Bilder zeigen Vater und Sohn verfremdet, sowie das Wohnhaus der Familie. Der Junge sei inzwischen bei seinen Großeltern untergebracht. Eine Leserin der Zeitung kritisiert die Nennung dieser Details. Das Kind werde im Zusammenhang mit seinem Geburtstag in den Mittelpunkt einer reißerischen Berichterstattung gestellt. Der stellvertretende Chefredakteur der Zeitung antwortet für den Verantwortlichen aus dem Online-Bereich. Er spricht von einem Kapitalverbrechen, das teilweise unter den Augen der Öffentlichkeit begangen worden sei. Die Beschwerdeführerin lasse unerwähnt, dass der Junge und sein Vater im Bild unkenntlich gemacht worden seien. Es treffe auch nicht zu, dass der Geburtstag des Kindes zum indirekten Grund für die Mordtat gemacht werde. Der Hinweis, dass der Junge nunmehr bei seinen Großeltern lebe, könne nicht der Nennung des Aufenthaltsortes nach Ziffer 8, Richtlinie 8.2, des Pressekodex gleichgesetzt werden. Ein Ort sei gar nicht konkret genannt worden. Um eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte von vornherein auszuschließen und mit Rücksicht auf die Zukunft von Kindern und Jugendlichen im Sinne der Richtlinie 8.1, Absatz 1, habe sich die Redaktion jedoch entschlossen, den Bericht aus dem Online-Auftritt zu löschen. Auch habe sie die Löschung aus Suchmaschinen beantragt.

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„Angaben wären besser unterblieben“

„An Justins 8. Geburtstag: Papa bringt Mama um!“ überschreibt die Online-Ausgabe einer regionalen Boulevardzeitung ihren Bericht über ein Tötungsdelikt. Am Geburtstag des gemeinsamen Sohnes sei es zu dem Familiendrama gekommen. Der kleine Junge habe sofort den Polizeinotruf gewählt. Dem Verbrechen vorausgegangen sei ein heftiger Streit zwischen den Eheleuten. Der mutmaßliche Täter stamme aus dem afrikanischen Burundi und habe sein Leben nie in den Griff bekommen. 2004 habe der Mann eine Frau vergewaltigt und habe drei Jahre im Gefängnis gesessen. Während der Haftzeit habe das Paar geheiratet. Schnell habe die Ehe gekriselt. Nachdem der Mann aus der Haft entlassen worden sei, habe er wiederholt seine Frau tätlich angegriffen. Diese habe ihn bei der Polizei angezeigt. Gipfelpunkt der häuslichen Gewalt sei schließlich die oben geschilderte Mordtat gewesen. Noch in der folgenden Nacht habe sich der mutmaßliche Täter der Polizei gestellt. Die Zeitung teilt mit, dass sich der kleine Junge inzwischen in der Obhut seiner Großeltern befinde. Im Artikel wird die genaue Adresse der Wohnung angegeben, in der die Mutter des Jungen getötet wurde. Vater, Mutter und Sohn werden mit Vornamen, abgekürzten Nachnamen und ihrem Alter benannt. Dem Artikel ist ein verfremdetes Foto des mutmaßlichen Täters beigestellt. Ein weiteres Bild zeigt das Wohnhaus der Familie. Eine Nutzerin des Online-Auftritts sieht in dem Beitrag einen Verstoß gegen die Ziffer 8 des Pressekodex, Richtlinien 8.1 und 8.2, weil der Vorname und das Alter des Kindes genannt werden. Sie kritisiert auch die Nennung der Adresse. Der Junge werde im Zusammenhang mit seinem Geburtstag zum Mittelpunkt einer reißerischen Berichterstattung gemacht. Auch der aktuelle Aufenthaltsort des Kindes werde in dem Beitrag erkennbar. Für die Online-Ausgabe nimmt der Chefredakteur der Boulevardzeitung Stellung. Er kann die Argumentation der Beschwerdeführerin insoweit nachvollziehen, als die Nennung des Vornamens des Jungen und die Angabe der genauen Adresse besser unterblieben wären. Hier hätten der Opferschutz und die Minderjährigkeit des Kindes berücksichtigt werden müssen. Eine Berichterstattung wäre sicher auch ohne diese Einzelheiten ausgekommen. Da dem näheren sozialen Umfeld des Kindes die Tragödie nicht verborgen bleiben konnte, gehe er – der Chefredakteur – nicht davon aus, dass der Junge durch die wiedergegebenen Details für einen erweiterten Personenkreis identifizierbar geworden sei. Der Fall sei mit den Redaktionsmitgliedern im Sinne einer verstärkten Sensibilisierung eingehend besprochen worden. Es sei im Übrigen – so der Chefredakteur abschließend - aus Sicht der Zeitung nicht zu beanstanden, dass die Redaktion das Schicksal des Kindes in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt habe.

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Straftäter als „Sex-Gangster“ bezeichnet

„Wer beschützt uns vor diesem Mann?“ titelt die Online-Ausgabe einer Boulevardzeitung über einen aus der Sicherungsverwahrung entlassenen Sexualstraftäter, dessen verfremdetes Foto sie abdruckt. Er sei nach 25 Jahren Haft aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) freigelassen worden. Bis vor kurzem habe der „Sex-Gangster“ in einem von der Zeitung genannten Ort gewohnt. Nach Protesten von Anwohnern habe er seinen Wohnsitz in eine entfernt liegende Stadt verlegt. Dort lebe er jetzt in einem Wohngebiet, in dem viele Familien ansässig seien. Auch diesen Aufenthaltsort des Entlassenen nennt die Zeitung. Ein Nutzer des Online-Portals vermutet Verstöße gegen die Ziffern 8 (Persönlichkeitsrechte) und 11 (Sensationsberichterstattung) des Pressekodex. Durch die Nennung seines Aufenthaltsortes und die Veröffentlichung des Fotos werde der Betroffene in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt. Die Bezeichnung als „Sex-Gangster“ hält der Beschwerdeführer für unangemessen sensationell. Die Rechtsabteilung des Verlags hält die Beschwerde für unbegründet. Die beanstandeten Beiträge stünden im Zusammenhang mit der Diskussion um die nachträgliche Sicherungsverwahrung, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2009 für unzulässig erklärt habe. Die Entlassung des betroffenen Sexualstraftäters als Folge dieses Urteils habe ein bundesweites Medienecho hervorgerufen. Keiner der Beiträge lasse die Identifizierung des Aufenthaltsortes des Mannes zu. Die Größe des genannten Stadtteils ermögliche eine konkrete Wohnortbestimmung nicht, auch nicht die Abbildung der Fassade des Hauses, in dem der Entlassene mittlerweile lebe. Für die Bewohner des Stadtteils seien die Beiträge besonders interessant gewesen, da der Mann anfangs noch nicht polizeilich überwacht worden sei. Die Bezeichnung als „Sex-Gangster“ sei presseethisch nicht zu beanstanden und verletze nicht die Ziffer 11 des Pressekodex Sie sei ein verkürztes Synonym für den juristisch-technischen Begriff „Sexualstraftäter“ und zur Bezeichnung des wegen mehrfacher Vergewaltigung verurteilten Straftäters angemessen.

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Grauzone zwischen Zeitung und Politik

Ein SPD-Stadtverordneter arbeitet als freier Journalist und veröffentlicht regelmäßig Beiträge in der örtlichen Zeitung, die zugleich amtliches Mitteilungsblatt ist. Ein Leser der Zeitung beschwert sich darüber, dass der Stadtverordnete auch über politische Themen schreibe. Die Freien Wähler am Ort sehen in dieser Konstellation einen Interessenkonflikt. In einem Artikel unter der Überschrift „Abenteuerlich und beleidigend“ beschäftigt sich die Zeitung mit den Vorwürfen. Der freie Mitarbeiter sei keineswegs kommunalpolitischer Redakteur. Er arbeite nebenberuflich für die Zeitung und widme sich fast ausschließlich unpolitischen, kulturellen Themen. Seine wenigen Beiträge zu politischen Veranstaltungen seien nachweislich neutral gehalten. Ein Leser der Zeitung sieht eine Vermischung von Funktionen, da der Stadtverordnete nicht nur über kulturelle, sondern auch über politische Themen schreibe. Als Beispiel führt der Beschwerdeführer eine Veranstaltung an, über die der Mann berichtet habe, obwohl er an ihr als Mandatsträger teilgenommen habe. Andere Pressevertreter seien zu der Veranstaltung nicht eingeladen worden. Er spricht von einer problematischen Vermischung. Die Geschäftsführung der Zeitung teilt mit, der freie Mitarbeiter werde im nichtpolitischen Bereich eingesetzt. Berichterstattungen über eine SPD-Feier zum 1. Mai, die Einweihung des Fraktionszimmers der Freien Wählergruppe oder die Gründung einer Bürgerinitiative zum Erhalt eines Schwimmbades habe man bisher für unkritisch gehalten. Aus politischen Gremien berichte der Mitarbeiter nicht. Im Hinblick auf Ziffer 4 des Pressekodex (Grenzen der Recherche) sei es dem Stadtverordneten gerade zum „Verhängnis“ geworden, dass er sich in einer Versammlung in seiner wohlbekannten Doppelfunktion geoutet habe.

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Absichtlicher Sturz ins Untergeschoss

Online berichtet eine Regionalzeitung über einen Suizidversuch. Sie schildert, wie sich ein Mann in einem Einkaufszentrum vor den Augen entsetzter Kunden und Verkäuferinnen und Verkäufer vom obersten Stockwerk aus in den Innenraum des Untergeschosses gestürzt habe. Beim Aufprall auf den Steinfußboden habe sich der Mann lebensbedrohliche Verletzungen zugezogen. Der Bericht ist mit einem Foto illustriert, auf dem die eingesetzten Rettungskräfte zu sehen sind. Ein Leser der Zeitung sieht in der Veröffentlichung einen Verstoß gegen die Persönlichkeitsrechte des Mannes (Ziffer 8 des Pressekodex). Die Zeitung berichte ausführlich in Wort und Bild über einen Suizidversuch. Der Chefredakteur der Zeitung teilt mit, die Redaktion habe über den Zwischenfall im neuen Einkaufszentrum berichtet, weil sich dort derartiges erstmals zugetragen habe. Viele Menschen hätten das Geschehen verfolgt. Daraus ergebe sich ein besonderes öffentliches Interesse. Die Redaktion habe nicht besonders umfangreich, sondern eher zurückhaltend berichtet. Das abgedruckte Foto sei ein Dokument vom Unglücksort, zeige aber nichts vom Geschehen selbst. Insgesamt habe man im Rahmen der Ziffer 8, Richtlinie 8.5 (Selbsttötung) berichtet.

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Bericht über Trauerfeier für vier Kinder

Ein Vater ersticht seine vier Kinder. Die Online-Ausgabe einer Boulevardzeitung berichtet unter der Überschrift „Ermordete Geschwister heimlich beerdigt“. In der Kirche, dem Ort der Trauerfeier, waren die Bilder der Getöteten aufgestellt worden. Mit diesen Fotos illustriert die Zeitung ihren Beitrag. Ein Nutzer des Onlineportals sieht die Ziffern 8 (Persönlichkeitsrecht) und 11 (Sensationsberichterstattung) des Pressekodex verletzt. Nach seiner Meinung hätte die Redaktion die Fotos anonymisieren müssen. Es handele sich um Sensationsberichterstattung, da für eine informierende Berichterstattung die unverfremdete Abbildung der Kinder nicht nötig gewesen wäre. Die Rechtsabteilung des Verlages rechtfertigt den Abdruck der Fotos mit dem Hinweis auf deren Veröffentlichung in Nachrichtenagenturen und anderen Medien. Die besonderen Umstände des vierfachen Mordes erlaubten es, die Fotos der Kinder zu veröffentlichen. Die Tat, verübt vom eigenen Vater, habe ein sehr starkes Informationsinteresse geweckt, welches sich nicht allein auf den Tathergang beschränke. Die Öffentlichkeit habe ein großes Interesse an der Identität der Opfer. Für den Trauergottesdienst mit etwa 550 anteilnehmenden Personen seien die Fotos der Kinder in der Kirche aufgestellt worden, um den Opfern ein Gesicht zu geben. Die Mutter der ermordeten Kinder habe die Trauergäste um farbige Kleidung beim Gottesdienst gebeten, damit sich keine Ohnmachtsstimmung breit mache. Die „besondere“ Atmosphäre in der Kirche und der Wille, die Kinder „fröhlich“ in Erinnerung zu behalten, könne dem Leser nur mit Hilfe der Porträts verdeutlicht werden. Die besonderen Begleitumstände im Sinne der Ziffer 8, Richtlinie 8.1, des Pressekodex seien somit erfüllt. Die Rechtsabteilung des Verlages weist auch den Vorwurf eines Verstoßes gegen Ziffer 11 zurück. Die Darstellung der Kinder sei nicht unangemessen sensationell. Mittelpunkt des Trauergottesdienstes seien die Porträts der Kinder gewesen. Die Veröffentlichung habe dazu gedient, die Öffentlichkeit über die besondere Art von Andacht und Würdigung zu unterrichten. (0372/12/1)

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Lebensgeschichte aus dunkler Zeit

Eine Großstadtzeitung veröffentlicht einen Nachruf auf eine Frau, die im Bericht mit vollem Namen und ihrer letzten Adresse genannt wird. Ihr Vater sei ein wohlhabender Mann aus jüdischer Familie gewesen. Er sei kurz vor ihrer Geburt gestorben. Wenig später habe die christlich getaufte, nicht-jüdische Mutter erneut geheiratet, wieder einen jüdischen Mann mit einigem Vermögen. Bis in ihr hohes Alter habe die nunmehr Verstorbene geargwöhnt, dass es der Mutter in beiden Ehen vor allem ums Geld gegangen sei. Bis zu ihren letzten Lebenswochen habe sie immer wieder vom Mangel an mütterlicher Liebe gesprochen. Ihre Kinderjahre seien davon ebenso geprägt gewesen, wie ihre Jugendjahre vom Nationalsozialismus. Eines Tages sei die Mutter von einem Besuch in der Dresdner Oper ohne den Vater zurückgekommen. Der Papa sei plötzlich tot gewesen, habe sie den schockierten Kindern erzählt. Die jetzt verstorbene Frau habe nicht wahrgenommen, dass die Mutter vom Tod ihres Mannes erschüttert gewesen sei. Die Zeitung berichtet, zur Beerdigung der Tochter hätten sich viele Freunde auf dem Berliner Waldfriedhof versammelt. Der Enkel der Verstorbenen ist in diesem Fall Beschwerdeführer. Der Artikel verstoße gegen die Ziffer 8 des Pressekodex (Persönlichkeitsrechte). Die im Nachruf erwähnten Inhalte beruhten nicht auf Informationen aus der Familie. Die Großmutter sei nie eine öffentliche Person der Zeitgeschichte gewesen. Der Artikel sei nicht von der Familie autorisiert gewesen und überdies ehrverletzend. Über die Großmutter zu lesen, es sei ihr bei der Wahl ihrer Ehemänner um Status und Prestige gegangen, sei „ein starkes Stück“. Dass ihr Vater ein wohlhabender Mann gewesen sei, möge zwar dem Klischee von Juden entsprechen. Nach seinem Tod sei es aber der Familie zunächst einmal finanziell nicht gut gegangen. Das möge für die Kinder traumatisch gewesen sein, für die Mutter aber auch. Abgesehen davon sei seine Großmutter auf dem Friedhof Heerstraße und nicht auf dem „Waldfriedhof“ beigesetzt worden. Der Chefredakteur der Zeitung erwähnt zunächst, dass der Friedhof Heerstraße in Berlin auch „Walfriedhof“ genannt werde. Er weist darauf hin, dass dem kritisierten Bericht ausführliche Recherchen vorangegangen seien. Die Autorin habe die mittlerweile Verstorbene gut gekannt und mit ihr unter anderem ein mehrstündiges Interview über ihre Lebensgeschichte während der Nazi-Zeit geführt. Die Frau habe mehrmals betont, wie sehr es ihr am Herzen liege, dass ihre Geschichte bekannt gemacht werde. Was sie über ihr teilweise sehr leidvolles Leben berichtet und empfunden habe, werde in dem Artikel aus ihrer Sicht wiedergegeben und sprachlich entsprechend gekennzeichnet. Dass andere Familienmitglieder die Erfahrungen in der Familie anders beurteilen und empfinden, werde damit keinesfalls bestritten.

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Bluttat innerhalb einer Familie

Unter der Überschrift „Schwester erschlagen: Acht Jahre Haft“ berichtet die Online-ausgabe einer Regionalzeitung über einen Mordprozess, der mit der Verurteilung des Angeklagten endet. Der Artikel ist illustriert mit einer Zeichnung aus der Verhandlung; im Text dazu wird der volle Name des Angeklagten genannt. Im Bericht wird sein genaues Alter (22) angegeben und auch der Ort, in dem er aufgewachsen ist. Zum Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Tat sei er 19 Jahre alt gewesen. Die Zeitung berichtet von schwierigen Familienverhältnissen und schildert diese ausführlich. Der Vater des Verurteilten wendet sich mit einer Beschwerde an den Presserat. Über Google sei die archivierte Berichterstattung einsehbar. Die Artikel ermöglichten nicht nur Rückschlüsse auf seinen Sohn, sondern auch auf ihn selbst. Der volle Name des Jungen und der Wohnort der Familie seien genannt worden. Sein Umfeld konfrontiere ihn mit der Tat seines Sohnes auf beleidigende Weise. Der Vater weist auf die Resozialisierungsinteressen seines Sohnes hin und bittet um Löschung des Beitrags aus dem Netz. Der stellvertretende Chefredakteur der Online-Ausgabe teilt mit, dass der Artikel in dem frei zugänglichen Online-Bereich inaktiv geschaltet worden sei.

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