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Wie hat der Presserat entschieden?

Rüge, Missbilligung oder Hinweis, wie hat der Presserat entschieden? Hier können Sie online in der Spruchpraxis des Presserats eine Auswahl an Beschwerdefällen von 1985 bis heute recherchieren.

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Entscheidungsjahr
7055 Entscheidungen

Selbsttötung

Eine Boulevardzeitung berichtet in großer Aufmachung, dass ein 31jähriger Mann – als Fotograf getarnt – vom Rathausturm gesprungen sei. In dem Artikel heißt es, der verzweifelte Selbstmörder habe keinen Ausweg mehr gesehen, weil seine Frau sich habe scheiden lassen wollen. Beigestellt ist dem Beitrag ein Foto, das die zugedeckte Leiche des Mannes zeigt. Ein Leser des Blattes moniert in einer Beschwerde beim Deutschen Presserat, dass die Zeitung die gebotene Zurückhaltung bei der Berichterstattung über Selbstmorde missachtet habe. Die Würde des Selbstmörders werde in dieser Darstellung nicht gewahrt. Dies sei um so bedauerlicher, als die Zeitung ein Jahr zuvor in ähnlicher Sache bereits nicht-öffentlich gerügt worden sei. Die Chefredaktion der Zeitung teilt mit, dass sie im Vorfeld der Berichterstattung bei mehreren engen Freunden des Toten recherchiert und dabei erfahren habe, dass es vermutlich aus Anlass der bevorstehenden Scheidung zu der Tat gekommen sei. Die zuständige Polizeidirektion habe bestätigt, dass auch ihre Erkenntnisse in diese Richtung gingen. Die Chefredaktion kritisiert, dass der Beschwerdeführer mit dem Toten nichts zu tun habe. Nach ihrer Ansicht versuche hier ein Dritter ohne jeglichen Bezug zu der Berichterstattung, seine publizistischen Vorstellungen über den Presserat gegen die Redaktion der Zeitung durchzusetzen. Die Berichterstattung befasse sich mit einem Geschehnis der Zeitgeschichte. Der Selbstmörder habe versucht, die größtmögliche Aufmerksamkeit auf seine Tat zu lenken. Er habe sich als Journalist ausgegeben, unter Hinweis auf beabsichtigte Fotoaufnahmen die Pressestelle des Rathauses aufgesucht und sich von deren Mitarbeitern zur Aussichtsplattform des Rathausturms begleiten lassen. Dann habe er sich in die Tiefe gestürzt. Dies sei ein Vorgang, über den – auch fotografisch – berichtet werden dürfe. Dabei habe die Zeitung den Vorgang anonymisiert. Auch auf dem Foto sei der Betroffene nicht identifizierbar. (2003)

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Falsche Berichterstattung

Foto einer Richterin

Eine Boulevardzeitung berichtet über einen 20jährigen Jugendlichen, der mit einem Intelligenz-Quotienten von 56 als schwachsinnig gelte, mit 1,81 m Größe und 85 Kilo Gewicht aber ein Kampfsportler sei. Seit seinem 10. Lebensjahr habe er schon 81 Strafanzeigen u.a. wegen Körperverletzung, Raub und versuchtem Totschlag bekommen. Trotzdem habe er immer eine verständnisvolle Richterin gefunden. Statt für harte Strafen habe sich die Juristin für Haftverschonung, Bewährung und Anti-Gewalt-Seminare entschieden. „Warum hat ihn diese Richterin nie weggesperrt?“ fragt die Zeitung in ihrer Schlagzeile. In dem Artikel werden der Vorname, das Initial des Familiennamens sowie das Alter der Richterin genannt. Zudem wird ein Foto von ihr mit Augenbalken veröffentlicht. Die zuständige Justizsenatorin schaltet den Deutschen Presserat ein. Sie ist entsetzt, wie die Zeitung mit der Jugendrichterin umgegangen sei. Durch ein großes und kaum anonymisiertes Foto und die Darstellung im Text sei sie quasi „zum Abschuss“ freigegeben worden. Die genaue Angabe der Abteilung des Amtsgerichts in Kombination mit Hinweisen zur Person machten sie für jeden halbwegs engagierten Nachfrager persönlich erkennbar. Damit sei ihr Persönlichkeitsrecht eindeutig verletzt worden. Weiterhin sei sie in ihrem privaten Umfeld von Mitarbeitern der Zeitung überraschend aufgesucht und fotografiert worden. Auch dies sei ein unzumutbarer Eingriff in ihr Privatleben. In dem Artikel werde zudem der sachlich falsche Eindruck erweckt, der Täter befinde sich auf freiem Fuß, obwohl er zur Zeit eine durch die angegriffene Jugendrichterin verhängte Jugendstrafe von vier Jahren verbüße. In einem anderen Verfahren gegen ihn habe die Richterin auch noch eine bislang nicht rechtskräftige Jugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten ausgesprochen. Die Beschwerdeführerin fügt ihrer Eingabe zwei Gegendarstellungen bei. Die erste stammt von der betroffenen Richterin, die zweite von dem erwähnten Straftäter. In beiden Fällen fügt die Redaktion an, dass der Inhalt der Gegendarstellungen korrekt sei. Die Redaktionsleitung der Zeitung entgegnet, dass das Persönlichkeitsrecht der Richterin durch die Berichterstattung nicht verletzt worden sei. In ihrer Funktion bekleide sie ein öffentliches Amt. Bei einer Berichterstattung über ihr Berufsleben müsse sie deshalb auch mit der Möglichkeit einer Identifikation leben. Keinesfalls sei sie, wie die Beschwerdeführerin anführe, in unzumutbarer Weise belästigt worden. Die zuständige Redakteurin habe von ihrer Geschäftsstelle die Anweisung erhalten, die Richterin zu Hause aufzusuchen, und habe zu diesem Zweck auch die genaue Anschrift genannt bekommen.. Sie habe die Richterin angetroffen, sich ordnungsgemäß vorgestellt und sich für die private Störung entschuldigt. Die Richterin habe daraufhin den Namen der Redakteurin wissen wollen und ihre Wut über den Besuch zum Ausdruck gebracht. In der Sache habe man sich nicht unterhalten. Durch die Überschrift solle keineswegs der Eindruck vermittelt werden, dass sich der jugendliche Straftäter noch auf freiem Fuß befinde. Vielmehr solle dem Leser verdeutlicht werden, dass es einem 20jährigen gelungen sei, in hundert Fällen strafrechtlich in Erscheinung zu treten, ohne dass ernsthafte Gegenmaßnahmen getroffen worden seien. (2003)

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Selbsttötung

Unter der Überschrift „Immer wieder überschatten menschliche Dramen das Weihnachtsfest“ schildert eine Boulevardzeitung Fälle von Selbsttötung und schwere Verkehrsunfälle an den „stillen Tagen“. U.a. berichtet sie über den freiwilligen Tod eines 50jährigen, der sich im Wald wegen privater Probleme die Pulsadern aufgeschnitten hat und verblutet ist. Sie zeigt ein Foto des Mannes, nennt Vornamen, Initial des Familiennamens, Alter und Wohnort. Der Bruder des Betroffenen legt seiner Beschwerde beim Deutschen Presserat die Kopie eines Schreibens an die Redaktionsleitung bei. Darin äußert er Kritik an der Berichterstattung, welche die gebotene Zurückhaltung vermissen lasse. Sein Bruder hinterlasse zwei minderjährige Kinder im Alter von acht und neun Jahren, die durch die Berichterstattung belastet würden. Die Rechtsabteilung des Verlages weist darauf hin, dass der Berichterstattung eine große öffentliche Fahndung nach dem vermissten Mann vorausgegangen sei. Im Rahmen dieser Aktion habe die Polizei den Medien das Foto des gesuchten Mannes zur Verfügung gestellt. Die Medien hätten dann auch über sein Verschwinden berichtet. Auf Grund dieser Vorgeschichte habe man die Öffentlichkeit dann auch über den tragischen Ausgang der Fahndung informieren müssen. Die Redaktion habe es nicht dabei bewenden lassen können, schlicht darauf hinzuweisen, dass man den Mann tot im Wald gefunden habe. Hier wäre beim Leser die Frage nach dem Warum offen geblieben. Reißerisch und bluttriefend sei die Berichterstattung nicht. Die Zurückhaltung sei gewahrt worden. Der Verfasser des Artikels habe dem Bruder des Toten sein Bedauern über die Folgen der Berichterstattung ausgedrückt. Diese Entschuldigung habe der Beschwerdeführer angenommen. (2002)

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Anonymisierung nicht gewährleistet

Ein Gymnasium startet ein neues Projekt zur Suchtprävention. Dazu zählt eine „Drogennacht“, in der ein Ex-Junkie Schülern der 9. Klasse von seinem Leben mit Drogen und von den Schwierigkeiten des Ausstiegs erzählt. Die Zeitung am Ort berichtet darüber, nennt dabei den Vornamen und das Alter des ehemals Abhängigen, erwähnt, dass er in einer Wohngemeinschaft lebt. Dem Artikel ist ein Foto der Gesprächsrunde beigestellt, auf dem der Vortragende von hinten zu sehen ist. Der Betroffene beklagt in seiner Beschwerde beim Deutschen Presserat, dass durch die Darstellung der Zeitung seine Anonymisierung aufgehoben worden sei. Er sei bereits mehrfach von Arbeitskollegen, die nichts von seiner Vergangenheit gewusst haben, erkannt und darauf angesprochen worden. In dem Gespräch mit der Autorin sei er nicht darauf hingewiesen worden, dass sie ihn in dem Artikel erwähnen wolle. Während einer Pause habe ihn der Fotograf gefragt, ob er Bilder machen könne. Er habe ihm gesagt, dass ihm das nicht recht sei. Daraufhin habe ihm der Fotograf in seiner Digitalkamera ein Bild gezeigt, das veröffentlicht werden sollte, welches aber dem erschienenen nicht entsprach. Auch die Therapeutische Wohngemeinschaft, in welcher der Betroffene lebt, richtet eine Beschwerde an den Presserat. Als deren Sprecher sieht ein Sozialpädagoge das Persönlichkeitsrecht des Aussteigers nicht ausreichend gewahrt. Ein zunächst zugesicherter Ausbildungsplatz sei inzwischen von Seiten des Ausbilders in Frage gestellt worden. Als dritter beschwert sich der Leiter des Gymnasiums, in dem die Diskussion stattgefunden hat. Ihm sei von den Redakteuren zugesagt worden, dass der Name des Gesprächsteilnehmers nicht erwähnt werde und keine Fotos gemacht würden. Stattdessen sei dessen Identifizierung leicht gemacht worden. Die Justiziarin der Zeitung erklärt, dass in einem Vorgespräch zu der Berichterstattung die betreuende Lehrerin darauf hingewiesen worden sei, dass das Leben des ehemaligen Drogenabhängigen beschrieben werde. Die Frage, ob er einem Artikel zustimme, habe die Lehrerin ausdrücklich bejaht. Auch gegen ein Foto habe er, so die Lehrerin, nichts einzuwenden, solange nicht sein vollständiger Name genannt werde und er auf dem Bild nicht eindeutig zu erkennen sei. Diese Maßgaben hätten die Autorin und der Fotograf beachtet. Die Redaktion habe auch mit dem Mann selbst gesprochen. In diesem Zusammenhang habe er nicht darauf hingewiesen, dass er eine Nennung seines Vornamens sowie die Beschreibung seiner Lebensgeschichte verweigere. Das Foto sei extra nicht während der Veranstaltung, sondern auf Grund der Vorgaben des Betroffenen in einer Pause nachgestellt worden. Danach habe er es nach einer Überprüfung mittels des Displays in der Digitalkamera noch direkt vor Ort zur Veröffentlichung freigegeben. Aus den genannten Gründen hätte die Redaktion davon ausgehen können, dass die Veröffentlichung von Text und Bild von einer Zustimmung des ehemaligen Drogenabhängigen gedeckt war. Als er sich nach Erscheinen des Artikels in der Redaktion über eine Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte beschwert habe, habe der Redaktionsleiter in einem Schreiben an den Betroffenen, an das Gymnasium und an die Wohngemeinschaft sein Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, dass sich die Berichterstattung für ihn offenbar negativ ausgewirkt habe. (2003)

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Vorverurteilung

Der Bürgermeister einer Gemeinde hat Krach mit dem Feuerwehrchef. Eines Nachts gibt es eine tätliche Auseinandersetzung. Die örtliche Zeitung berichtet unter der Überschrift „Im Griff des Würgermeisters“. In der Unterzeile heißt es: „Ortsbürgermeister tritt und würgt Feuerwehrchef“. Eine im Beitrag veröffentlichte Zwischenzeile lautet: „Wer wird das nächste Opfer sein?“ Der betroffene Bürgermeister sieht sich durch diesen Artikel sowie die nachfolgende Berichterstattung an den Pranger gestellt. Sie sei einseitig und ehrverletzend. Er beschwert sich beim Deutschen Presserat. Die Chefredaktion der Zeitung teilt mit, dass es unstrittig sei, dass der Bürgermeister den Feuerwehrchef attackiert habe. Nach abschließender, auch vom Beschwerdeführer akzeptierter Wertung der Staatsanwaltschaft habe der Kommunalpolitiker seinen Kontrahenten „angefasst, umgeworfen und gewürgt“. Als die Zeitung berichtet habe, sei der Vorfall schon längst Ortsgespräch gewesen. Der Begriff „Würgermeister“ beruhe auf öffentlichen Korrespondenzen im Internet. Zudem sei er als Zitat in Anführungszeichen gesetzt gewesen. Die Redaktion habe versucht, den Beteiligten eine Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Diese habe der Bürgermeister jedoch nicht wahrgenommen, wohl aber der Feuerwehrchef. Dessen Stellungnahme sei veröffentlicht worden. In der Folge sei sachgerecht über den Stand des Ermittlungsverfahrens gegen den Bürgermeister berichtet worden. In diesem Zusammenhang sei auch eine Erklärung von ihm ausführlich und umfassend aufgegriffen worden. Insgesamt, so die Chefredaktion, habe die Zeitung ein plurales Bild der Einschätzungen und Geschehnisse gezeichnet. (2003)

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Zitate aus dem Internet

Deutsche Austauschschülerinnen in den USA hatten in einem Schülerforum im Internet über einige negative Erfahrungen mit Amerikanern während des Irak-Krieges berichtet. Ein Nachrichtenmagazin berichtet unter Rückgriff auf diese Aussagen im Chat und unter Namensnennung über die Anfeindungen gegen die jungen Deutschen vor allem in der Provinz. Die Überschrift des Beitrages lautet „Ganz rüde Anmache“. Der Vater einer der Schülerinnen, die in dem Artikel zitiert wird, kritisiert in einer Beschwerde beim Deutschen Presserat, dass in dem Beitrag der Eindruck erweckt werde, als habe seine Tochter die darin enthaltenen Äußerungen direkt gegenüber der Magazinredaktion gemacht. Dies sei jedoch nicht zutreffend. Es habe kein Gespräch zwischen seiner Tochter und dem Magazin stattgefunden, obwohl ein solches ursprünglich vereinbart war. Die Zitate seiner Tochter seien nur die Wiedergabe einzelner Beiträge von ihr in einem Internet-Forum über Schüleraustausch. Die Meinungsäußerungen seien dort unter einem Pseudonym eingestellt worden und nicht zu einer anderweitigen Veröffentlichung bestimmt gewesen. Journalisten sollten die Regel beachten, dass Forumsbeiträge im Internet ohne Einwilligung des Verfassers nicht durch Dritte veröffentlicht werden dürfen. Die Veröffentlichung löst eine weitere Beschwerde aus: Die verantwortliche Austauschorganisation wirft dem Magazin eine fahrlässige Recherche vor. Der Gedankenaustausch im Internet war am 27. Februar, die Veröffentlichung in der Zeitschrift aber erst am 17.März 2003 erfolgt. In seiner Stellungnahme erklärt das Justitiariat des Verlages, bei der Veröffentlichung der Aussagen der 16jährigen handele es sich erkennbar nicht um ein Interview im Sinne eines Frage-Antwort-Musters, sondern um unvollständige Zitate. Die Schülerin hat ihren Beitrag selbstständig und aus eigenem Antrieb in ein offenes Forum im Internet gestellt, so dass er für jeden frei abrufbar gewesen sei. Die Veröffentlichung des Beitrages sei auch nicht unter einem Pseudonym erfolgt. Vielmehr sei am Ende des Textes ein Link auf die Homepage des Mädchens enthalten. Dadurch werde jedem Leser bewusst und gewollt die Möglichkeit gegeben, sich umfassend über sie zu informieren. Auf der Homepage könne man neben Namen und Foto auch alles über ihren Aufenthalt in den USA, ihre Gastfamilie, ihre Schule usw. erfahren. (2003)

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Kritik am Strafsystem

Der Kolumnist einer Boulevardzeitung bedankt sich bei dem Richter, der einen Geiselnehmer und Mörder wegen der besonderen Schwere der Schuld zu einer lebenslänglichen Strafe verurteilt hat. Ein Lebenslänglich sitze man heutzutage in Deutschland mit einer „Arschbacke“ ab. Nach zehn Jahren sonne man sich als Mörder auf Mallorca. Lebenslänglich mit besonderer Schwere der Schuld heiße: keine automatische Freiheit. Der Täter werde das Gefängnis als alter Mann verlassen. Ein Leser der Zeitung schreibt dem Deutschen Presserat, die Behauptungen in der Kolumne seien unhaltbar. Häftlinge würden damit diffamiert und in ihrer Würde herabgesetzt. Der Autor lasse die Ansicht erkennen, bestimmte Häftlinge sollten möglichst ohne Aussicht auf Wiedererlangung der Freiheit ihre Strafe verbüßen. Dies stehe jedoch in deutlichem Widerspruch zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das immer wieder betont habe, die Möglichkeit zur Rückkehr in die Gesellschaft sei durch Artikel 1 GG gegeben. Die Rechtsabteilung des Verlages entgegnet, es mache den Charakter der Kolumne aus, zu provozieren und zu polarisieren. Es handele sich hier um eine Ansammlung von Meinungsäußerungen und nicht um einen Sachbericht. Der provozierende Tenor des Beitrags solle zu einer kontroversen Diskussion anregen. Das Verbot einer solchen Äußerung würde einen massiven Eingriff in die Meinungs- und Pressefreiheit bedeuten. Das Problem, das der Autor anspreche, müsse thematisiert werden. Es sei Aufgabe der Presse, auch solche Meinungen, die in der Bevölkerung weit verbreitet seien, aufzuzeigen. Noch einmal betont die Rechtsabteilung, dass es sich hier lediglich um die subjektive Meinung eines Journalisten handele. Die reinen Meinungsäußerungen des Kolumnisten seien bekanntlich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich von der Meinungs- und Pressefreiheit des Artikels 5 GG geschützt. Dies gelte auch bei polarisierenden Meinungsäußerungen. Die Grenze zur nicht mehr geschützten Schmähkritik sei in dem Artikel nicht annähernd erreicht, besonders da sich die beanstandeten Sätze nicht auf eine Person, sondern in nicht individualisierter Form auf die gesamte deutsche Strafjustiz beziehen würden. (2003)

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Vorverurteilung

„Er bunkerte Haschisch für zwei Millionen Euro!“ titelt eine Boulevardzeitung über den Prozess gegen einen mutmaßlichen Dealer. Ein Leser des Blattes sieht in der Überschrift eine Vorverurteilung. Die gerichtliche Schuld des Angeklagten sei zum Zeitpunkt der Berichterstattung noch nicht festgestellt gewesen. Er wendet sich an den Deutschen Presserat. Die Rechtsabteilung der Zeitung räumt ein, dass die Redaktion in dem Artikel auf den ersten Blick die Unschuldsvermutung nicht hundertprozentig beachtet hat. Andererseits sei die Beweislage so erdrückend gewesen, dass der Angeklagte, obwohl er im Prozess von seinem Recht der Aussageverweigerung Gebrauch gemacht habe, wegen der angeklagten Taten in vollem Umfang verurteilt wurde. Dass es sich bei den Anklagepunkten um verifizierte Tatsachen gehandelt habe, hätten der Autorin mehrere seriöse Informanten bestätigt. Weder das Gericht noch die Anklage noch die Ermittlungsbehörden hätten irgendeinen Zweifel daran gehabt, dass der ermittelte Sachverhalt zutreffend gewesen sei. (2003)

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Namensnennung bei Nachbarschaftsstreit

Unter der Überschrift „Polizist gräbt kranker Witwe das Wasser ab“ berichtet eine Regionalzeitung, wie der Beschwerdeführer seiner Nachbarin den Zugang und die Nutzung der auf seinem Grundstück befindlichen Trinkwasserleitung und Abwasserleitung abgesperrt habe. Auf einem der illustrierenden Fotos ist der Grundstückseigentümer bei Baggerarbeiten zu sehen. Er wird im Bildtext als „Ingo H. (in Latzhose)“ bezeichnet. Der Artikel endet mit dem Satz: „Nachbar Ingo H. lässt der gesundheitliche Zustand von Annelie K. dagegen ungerührt.“ Und einem Zitat des Ingo K.: “Wissen Sie, wie viele Leute mit Krebs rumrennen?“ Der Beschwerdeführer sieht sich durch die Veröffentlichung und dabei insbesondere durch sein Foto und die damit verbundene Namensnennung in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt. Das gleiche gelte für seine Frau. Auch enthalte der Artikel mehrere falsche Tatsachenbehauptungen. So sei es falsch, dass die Nachbarin erst zu einem sehr späten Zeitpunkt Kenntnis von der „Abbindungsaktion“ erhalten habe. Weiterhin sei ihr die Abwasserleitung nicht unterbrochen worden. Zudem liege ein Verstoß gegen Ziffer 9 des Pressekodex vor. Die Behauptung, ihn lasse der gesundheitliche Zustand von Annelie K. ungerührt, entspreche nicht seiner Einstellung, sondern eher dem journalistischen Einfallsreichtum der Autorin. Die wörtlich wiedergegebene Äußerung „Wissen sie, wie viele Leute mit Krebs rumrennen?“ habe er nicht gesagt. Er schaltet den Deutschen Presserat ein. Die Rechtsvertretung der Zeitung bringt vor, dass der umstrittene Beitrag keine falschen Tatsachenbehauptungen enthalte. Alle wiedergegebenen Zitate seien korrekt. Sie räumt allerdings ein, dass aus ungeklärten Gründen bei den Fotos die angeordneten Gesichtsbalken nicht umgesetzt worden seien. Insofern gibt die Zeitung eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers zu. Aus der Sicht der Redaktion wiege jedoch schwerer, dass dieser im Vorfeld der Berichterstattung versucht habe, auf die Redaktion dahin gehend Druck auszuüben, dass die Berichterstattung entweder ganz unterbleibe oder jedenfalls jeglicher Hinweis auf seinen Beruf als Polizist unterbleibe. Dies sei ein schwerwiegender Versuch, über seine übergeordneten Dienststellen in die Pressefreiheit einzugreifen. Unter dem fadenscheinigen Vorwand, der Vorgang könne auf die Polizei zurückfallen, habe er eine Sonderstellung in der Berichterstattung einer Tageszeitung in Anspruch nehmen wollen. (2003)

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