Entscheidungen finden

Wie hat der Presserat entschieden?

Rüge, Missbilligung oder Hinweis, wie hat der Presserat entschieden? Hier können Sie online in der Spruchpraxis des Presserats eine Auswahl an Beschwerdefällen von 1985 bis heute recherchieren.

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Sie müssen dazu immer das volle Aktenzeichen eingeben, also 0123/24/3-BA.

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Entscheidungsjahr
6869 Entscheidungen

Gewinnspiel einer Zeitung

Auf der Seite “Extra” einer Boulevardzeitung präsentiert die Lifestyle-Expertin einer Parfümeriekette unter der Rubrik “Kosmetik-News” fünf Produkte ihres Unternehmens. Es handelt sich um eine Körperlotion, eine Körpercreme, ein Haarpflegemittel, ein Hautpflegemittel sowie ein Duftwasser. Es werden Merkmale und Preise genannt. Zu Beginn und zum Schluss wird darauf verwiesen, dass Leserinnen und Leser die vorgestellten Kosmetika gewinnen können. Zu diesem Zwecke ist eine 0190er-Telefonnummer angegeben. (In Klammern wird ein Firmenname genannt und erwähnt, dass jeder Anruf aus dem deutschen Festnetz 62 Cent pro Minute kostet). Im Vorspann wird erwähnt, dass Vorstellung und Verlosung jeden Sonntag stattfinden. Die Veröffentlichung löst zwei Beschwerden aus. Ein Leser bittet den Deutschen Presserat, gegen diese Veröffentlichung schnellstens etwas zu unternehmen. Er sieht in dem Beitrag eine unfaire Werbung gegenüber anderen Parfümeriegeschäften und echten Anzeigenkunden. Das rieche geradezu nach Bestechung der Redaktion oder einzelner Redakteure. Die angegebene Telefonnummer führe weder zu der Zeitung noch zu der genannten Parfümeriekette. Der Beschwerdeführer kritisiert schließlich, dass dem Verbraucher durch die angepriesene 0190er-Nummer höhere Kosten entstehen. Auch eine Leserin findet die hier praktizierte Werbung verwerflich. Fraglich sei auch die Verwendung der 0190er-Nummer, deren Missbrauch schon in vielen Publikationen angeprangert worden sei. Da die hier präsentierte Lifestyle-Expertin laufend auch in anderen Zeitungen erscheine, mal als Lebensgefährtin eines Feinkostlieferanten, mal als Pressesprecherin der Parfümeriekette, könne man doch fast schon darauf wetten, dass hier eine Bestechung von Redakteuren vorliege. Die Rechtsabteilung des Verlages teilt in ihrer Stellungnahme mit, bei der Veröffentlichung handele es sich um ein Gewinnspiel der Zeitung. Dieses finde Woche für Woche unter Verwendung einer 0190er-Nummer statt. Im konkreten Fall seien Kosmetikartikel, die von der genannten Firma vorgestellt worden seien, verlost worden. Solche Gewinnspiele dienten der Werbung des Veranstaltenden. Somit handele es sich um eine Eigenwerbung der Zeitung und nicht um einen redaktionellen Text. Auch soweit der Eigenanzeigencharakter des Gewinnspiels mit einer Werbung des Sponsors verbunden sei, komme klar zum Ausdruck, dass es sich nicht um eine redaktionelle Veröffentlichung handele. Der Gewinnspielsponsor werbe als solcher nicht verdeckt, sondern offen durch die als solche benannte Lifestyle-Expertin. Auch die Tatsache, dass das Gewinnspiel sich nicht im redaktionellen Hauptteil, sondern in einem Service-Extrateil befinde, unterstreiche den werbenden Eindruck. Das Gewinnspiel werde von einer Firma im Auftrag des Verlages durchgeführt. Dieses sei ein normaler Vorgang, da ein Verlag in der Regel seine Gewinnspiele nicht mit eigenem Personal durchführen könne. Die Rechtsabteilung räumt ein, dass 0190er-Nummern vielfach missbräuchlich eingesetzt werden. Im Gewinnspiel der Zeitung sei dies jedoch nicht der Fall. Die Telefonkosten seien auf 62 Cent pro Minute beschränkt und bewegten sich damit in der Höhe des Preises für den Versand eines Briefes. Die erforderlichen Angaben seien ohne weiteres innerhalb einer Gesprächsminute möglich, so dass keine höhere Kostenlast auf den Anrufer zukomme. (2004)

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Diskriminierung der Schiiten

Auf ihrer Seite „Politik und Kommentar“ veröffentlicht eine Lokalzeitung eine Karikatur mit der Unterzeile „Dankeschön auf schiitisch“. Zu sehen ist ein amerikanischer Soldat, der mit einer Säge die Fußfessel eines Schiiten durchtrennt, derweil dieser mit seiner Maschinenpistole auf den Amerikaner schießt. Auf einer Riesenkugel am Ende der Fußfessel befindet sich die Aufschrift "Saddam-Regime". Ein Leser des Blattes moniert in einer Beschwerde beim Deutschen Presserat die religionsverhetzende Aussage der Zeichnung. Alle Schiiten würden damit als undankbar und hinterhältig dargestellt. Hätte die aus dem Hinterhalt schießende Person Züge des Fanatikers El Sadr bzw. wäre durch die Bildunterschrift eine Eingrenzung auf eine bestimmte gewalttätige Gruppierung erfolgt, wäre die hier getroffene Aussage seines Erachtens noch nachvollziehbar. Angesichts der Notwendigkeit, die Gräben zwischen Kultur und Religion zu überwinden, Verständnis füreinander zu wecken, um so zu einem friedlichen Miteinander zu kommen, hält der Beschwerdeführer die gewählte Darstellung jedoch für nicht akzeptabel. Der Chefredakteur der Zeitung bedauert, dass in einem Gespräch mit dem Leser die unterschiedlichen Auffassungen über die Karikatur nicht ausgeräumt werden konnten. Er selbst könne die Veröffentlichung nicht beanstanden. Er könne auch eine Diskriminierung einer religiösen Gruppe nicht entdecken. Bei der Karikatur handele es sich um eine zugespitzte Meinungsäußerung. Sie sei in der vorliegenden Form hart, aber zulässig. Dass der Karikaturist auf eine bestimmte Gruppe im Irak verweise, sei geradezu unvermeidlich. Die Schiiten seien in der von ihnen kontrollierten Region als klar definierbare Gruppierung politisch und militärisch aktiv. Die Kritik an gewalttätigen Übergriffen sei also keine Abwertung wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer religiösen Gruppe. Dies werde auch durch die gesamte begleitende Berichterstattung erkennbar. (2004)

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Umfrage über verkaufsoffenen Sonntag

Ein verkaufsoffener Sonntag veranlasst die Zeitung am Ort zu einer Bilanz. Unter der Überschrift „Händler ziehen lange Gesichter“ berichtet sie, dass viele Einzelhändler nach dem verkaufsoffenen Sonntag frustriert nach Hause gegangen seien. Die Kunden hätten zwar gebummelt, doch gekauft hätten nur wenige. Belegt wird diese Einschätzung durch eine Umfrage unter Geschäftsleuten und Straßenpassanten. Dem örtlichen Gewerbeverein missfällt diese Berichterstattung. Er hält sie für einseitig bzw. falsch und beschwert sich beim Deutschen Presserat. Dem Leser werde suggeriert, dass alle Händler unzufrieden seien und sich auf diese Weise auch noch bei den Kunden beschwerten. Die Überschrift bringe nicht zum Ausdruck, dass es unter den Gewerbetreibenden der Stadt nicht nur negative Stimmen gegeben habe. Zufriedene Händler, die auf Grund ihres umfangreichen Angebotes eine höhere Kundenfrequenz gehabt hätten, seien einfach nicht berücksichtigt worden. Zudem sei das Zitat „Noch einmal kommt das für mich nicht in Frage“, das einer Ladeninhaberin zugeschrieben wurde, nicht richtig. Die Geschäftsfrau habe der Autorin des Artikels vielmehr mitgeteilt, dass sie sich bei Regelungen zur Sonntagsöffnung der Gemeinschaft anschließen und ihr Geschäft auch am kommenden Sonntag wieder öffnen werde. Letztlich sei der Artikel unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu Stande gekommen. Die Verfasserin, die früher für einen privaten Rundfunksender gearbeitet habe, habe trotz einer Nachfrage nach ihrer Tätigkeit bei dem Sender nicht klar gestellt, dass sie jetzt für die örtliche Zeitung recherchiere. Die Chefredaktion der Zeitung versichert, dass in dem Beitrag alle wesentlichen Sachverhalte korrekt wiedergegeben worden seien. Der verkaufsoffene Sonntag habe zwar viele Neugierige in die Stadt gelockt, aber längst nicht alle Erwartungen der Händler erfüllt. Die Autorin gebe in ihrem Artikel die unterschiedlichen Erfahrungen wieder. Auch der Gewerbeverein komme mit seiner positiven Sicht zu Wort. Eine einseitige Recherche liege nicht vor. Die Autorin habe ihre Umfrage bewusst an Straßen, die zu den touristischen Brennpunkten der Stadt gehörten und stark frequentiert seien, vorgenommen. Auch der Vorwurf, eine Händlerin sei falsch zitiert worden, wird zurückgewiesen. Die Autorin habe diesbezüglich notiert: „Lohnt sich nicht, jemanden noch zu bezahlen. Problem kommt nicht noch mal in Frage“. Es sei richtig, dass die Geschäftsfrau später in der Redaktion angerufen und sich beschwert habe, dass sie falsch zitiert worden sei. Sie habe allerdings keine Richtigstellung verlangt. Die Redaktion sei bemüht, in einem Gespräch mit dem Gewerbeverein die atmosphärischen Störungen zu beheben. (2004)

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Satire

Namensnennung bei Ermittlungen

Eine Regionalzeitung berichtet unter der Überschrift „Hat Ratsherr Pornografie verbreitet?“ über ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gegen ein namentlich genanntes Ratsmitglied einer Gemeinde in der Region, dem Verleumdung, Besitz pornografischer Schriften sowie Beihilfe zu deren Verbreitung vorgeworfen werde. Die Anzeige habe ein Vorstandsmitglied des Vereins „Hilfe für Kinder in ...“ erstattet, bei dem die Polizei zwei Computer beschlagnahmt habe, weil er über seine Homepage Kinderpornobilder verbreitet haben solle. Der dermaßen Beschuldigte werfe dem Ratsherrn vor, er habe den Adressaten von E-Mails seine Internet-Adresse mit dem Hinweis „Bei der Vergrößerung erscheint ein pornografisches Bild mit einem jungen Mädchen“ genannt. Der betroffene Kommunalpolitiker wehrt sich in einer Beschwerde beim Deutschen Presserat gegen die Nennung seines Namens. Er werde in dem Artikel vorverurteilt und damit öffentlich diffamiert. Ein öffentliches Interesse könne in dem großen Verbreitungsgebiet der Zeitung außerhalb seiner Heimatgemeinde, wo er als Kommunalpolitiker weder Einfluss noch Bekanntheit habe, nicht vorliegen. Die Eingabe wird vom Presserat im Vorverfahren als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Das Ermittlungsverfahren liegt gerade auf Grund der Tatsache, dass der Beschwerdeführer als Ratsherr seiner Heimatgemeinde ein öffentliches Amt bekleidet, im Interesse der Öffentlichkeit. Aus diesem Grund ist es auch gerechtfertigt, den vollen Namen des Betroffenen zu erwähnen. An keiner Stelle des Artikels wird eine Vorverurteilung vorgenommen. Die Leserschaft wird vielmehr objektiv und zutreffend über den Stand der Ermittlungen informiert. Der Beschwerdeführer gibt sich mit dieser Entscheidung nicht zufrieden und hält seine Beschwerde aufrecht. (2004)

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Kommentierende Bewertung

Unter der Überschrift „Hohmann-Affäre – Lupenreiner Goebbels“ äußert sich eine Zeitschrift zu der Kritik an einer Rede des CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann in dessen Heimatgemeinde. Mit seiner Attacke auf die Juden als „Tätervolk“ habe der Politiker das Tabu gebrochen, dass Antisemitismus in demokratischen Parteien keinen Platz habe, heißt es im Vorspann. Der Artikel wird eingeleitet mit einem Zitat von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels im September 1941: „Juden waren es, die den Marxismus erfanden, Juden sind es, die mit ihm die Welt zu revolutionieren versuchen“. Ein Leser der Zeitschrift bittet den Deutschen Presserat, diese Veröffentlichung zu rügen. Er hält die Überschrift mit dem Goebbels-Vergleich für eine schwere Beleidigung und einen Rufmord gegenüber dem Abgeordneten Hohmann, sieht in diesem Fall die Ziffern 1, 2 und 9 des Pressekodex verletzt. Zudem weist er auf den Beschluss des OLG Frankfurt vom 10. März 2004 hin, wonach Martin Hohmann gegen den Verlag eine Unterlassungsverfügung erwirkt habe. Nach der im Verfahren der Einstweiligen Verfügung ergangenen Entscheidung dürfe der Verlag nicht behaupten, Hohmann habe in seiner Rede die Juden als „Tätervolk“ bezeichnet. Die Rechtsabteilung des Verlages hält die Beschwerde dagegen für unbegründet. Nach vielfältigen gerichtlichen Auseinandersetzungen mit dem Abgeordneten bleibe im Ergebnis darauf hinzuweisen, dass der Zeitschrift keineswegs verboten worden sei zu äußern, Hohmann habe die Juden als „Tätervolk“ bezeichnet. Die Zeitschrift müsse bei einer künftigen Wiederholung lediglich deutlich machen, dass es sich dabei um ihre Bewertung der Rede handele. Der vom Beschwerdeführer zitierte Beschluss des OLG Frankfurt vom 10. März 2004 enthalte keinerlei juristische Rehabilitierung von Hohmann im Hinblick auf dessen Rede am 3. Oktober 2003. (2003)

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Foto verletzter Kinder

Eine Boulevardzeitung berichtet über einen Unfall in einer Kindertagesstätte. Eine selbstgebaute Schaukel sei vier Kindern zum Verhängnis geworden. Offenbar hätten Erzieher eine Bank mit Seilen an der Decke der Tagesstätte befestigt. Als die vier auf der Behelfsschaukel spielten, habe das Do-it-yourself-Konstrukt nachgegeben und sei zu Boden gestürzt. Wie durch ein Wunder hätten die Kinder bei dem Horror-Unfall nur Prellungen und Schürfwunden erlitten. Ein beigestelltes Foto zeigt Sanitäter, welche die weinenden Kinder in Begleitung von Polizeibeamten zu einem Rettungswagen bringen. Eine der Mütter beklagt sich beim Deutschen Presserat über dieses Foto. Die Eltern der betroffenen Kinder fänden es nicht in Ordnung, dass die weinenden Kinder auf dem Weg zum Rettungswagen fotografiert worden seien. Der Geschäftsführer und der diensthabende Chefredakteur der Zeitung weisen die Beschwerde als unbegründet zurück. Das Bild der Kinder sei in zulässiger Weise abgedruckt worden. Weder die dargestellte Situation noch die Darstellung an sich werfe ein negatives Licht auf die Verletzten. Vielmehr sei ein allgemeiner Eindruck vom Geschehen durch die Darstellung der unmittelbar Betroffenen erreicht worden. Dadurch werde auf die gefährliche Ausgangssituation hingewiesen. Erst die Darstellung aller beteiligten Personengruppen, der Polizei, der Rettungssanitäter und gerade auch der betroffenen Kinder verdeutliche die Verletzung der Sorgfaltspflicht in der Kindertagesstätte. Es sei nicht ersichtlich, wie die Darstellung der weinenden Kinder diese in ihrer Intimsphäre zu beeinträchtigen geeignet sei. Vielmehr werde das Foto sowohl ihnen als auch dem öffentlichen Informationsinteresse gerecht.

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Foto einer Verkehrstoten

Eine Lokalzeitung berichtet in Wort und Bild über den tödlichen Verkehrsunfall einer 21-jährigen Auszubildenden. Sie zeigt ein Porträt der Toten, nennt den Vornamen, abgekürzten Familiennamen sowie das Alter und berichtet aus dem privaten Umfeld der Verunglückten. Zum Tathergang schreibt das Blatt, die junge Frau habe die Kontrolle über ihr Fahrzeug verloren und sei gegen einen Baum geprallt. Die Eltern der 21-Jährigen legen Beschwerde beim Deutschen Presserat ein. Sie sehen durch die Veröffentlichung das Persönlichkeitsrecht ihrer tödlich verunglückten Tochter verletzt. Sie hätten zu keiner Zeit mit Medienvertretern gesprochen noch hätten sie Fotografien ihrer Tochter an die Medien weitergegeben. Obwohl der Unfallhergang noch nicht vollständig aufgeklärt gewesen sei, habe die Zeitung ihre Tochter als jugendliche Raserin vorverurteilt. Ziffer 8 des Pressekodex sichere Opfern von Unfällen einen besonderen Schutz zu. Die Rechtsabteilung des Verlages teilt mit, sie habe als Reaktion auf das Schreiben des Presserats mit dem Vater Kontakt aufgenommen. Es sei dabei versucht worden, dem Beschwerdeführer den Hergang der Informationsbeschaffung transparent und die Entstehung des Berichts somit nachvollziehbar zu machen. Sie habe den Eindruck, dass das Bedürfnis, die Informationsbeschaffung nachvollziehbar zu machen, in dem Gespräch befriedigt worden sei. Man habe dem Beschwerdeführer auch die Ansicht vermitteln können, dass seine Tochter in dem Artikel nicht als jugendliche Raserin vorverurteilt werde. Der Artikel sei keinesfalls geeignet, die Menschenwürde der Verunglückten zu verletzen. Er verurteile sie nicht, sondern erzeuge Mitgefühl statt Empörung. Dies habe der Vater in dem Gespräch auch eingesehen. (2003)

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Marktplatz der Neuigkeiten

Ein Musikpädagoge, Orchesterchef und Musicalkomponist sitzt in Untersuchungshaft. Ihm wird Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Minderjährigen und Schutzbefohlenen im Zeitraum von 28 Jahren vorgeworfen. Einige der Schülerinnen sollen unter 14 Jahren alt gewesen sein. Ein Nachrichtenmagazin berichtet über die Vorwürfe, die der Betroffene Lynchjustiz nenne. Viele in seinem Heimatort hätten darüber geredet, schreibt die Zeitschrift, doch niemand sei zur Polizei gegangen. Unweit der Kirche beherberge ein „geducktes gelbes Haus“ den Friseursalon und die Lottoannahmestelle. Dies sei „in der Provinz der Marktplatz der Neuigkeiten“. In der Textpassage heißt es u.a.: „Hier wurde viel geredet über die Vorlieben des Musiklehrers ... für junge Mädchen, jahrelang. Wohl auch über jene 14-Jährige, die Trompete lernte und schon 1979 ihrem Lehrer zum Opfer gefallen sein soll. (...) Jeder, der hier lauschte, hätte eingreifen müssen. Aber jetzt sind das für die Friseurbesucher auf einmal nur Gerüchte – was ist, wenn die nicht stimmen?“ In dem Beitrag wird erwähnt, dass der heutige Bürgermeister im vergangenen Herbst beim Friseur auch vom angeblichen Missbrauch einer Schülerin erfahren habe. Der Direktor des Gymnasiums wird mit den Worten zitiert, dass er sich wie eine betrogene Ehefrau fühle, die als letzte alles erfahre, da er ja nicht zum Friseur in eben jenem Ort gehe. Die Inhaber des Friseurgeschäfts wenden sich an den Deutschen Presserat. Sie sehen die Berichterstattung für ihre Familie und ihr Unternehmen als beleidigend an. Ein Brief an den Chefredakteur sei ohne Antwort geblieben. In diesem Brief legen die Beschwerdeführer dar, dass sie die Bezeichnung „geduckt“ als anmaßende Beleidigung empfinden. Der Artikel greife außerdem ihre Kunden an. Es werde auch verschwiegen, dass in früheren Jahren bei der Staatsanwaltschaft zwei Anzeigen eingegangen seien, die aber nicht zu einer Anklage geführt hätten. Die Geschäftsstelle des Presserats ermittelt, dass der Brief der Beschwerdeführer nicht an den Chefredakteur der Print-, sondern an den Chefredakteur der Online-Ausgabe der Zeitschrift gerichtet worden ist. Das Justitiariat des Verlages hält die schlichte Beschreibung des Hauses als „geduckt“ nicht für beleidigend. Das Haus falle in der Häuserflucht als klein auf. Dies mit „geduckt“ zu beschreiben, unterliege keinen Bedenken. Dass beim Friseur über den Musiker und dessen Übergriffe auf Mädchen geredet worden sei, ergebe sich aus den auch teils zitierten Gesprächen der Autorin mit dem Bürgermeister, dem Schulleiter, Bandmitgliedern und sonstigen Informanten. Der Begriff „Marktplatz der Neuigkeiten“ stelle eine zulässige Wertung dar, welche die Grenze zur Schmähkritik nicht überschreite. Die beanstandete Passage suggeriere keine positive Kenntnis der Beschwerdeführer. Vielmehr werde lediglich beschrieben, dass „hier viel geredet wurde“, was sich vor allem auf die Kunden und mithin die Bewohner des Ortes allgemein beziehe. Durch die Einleitung des Satzes mit dem Wort „wohl“ werde klar gemacht, dass dies eine Bewertung der Autoren sei. Dass es in dem Ort seit Jahren entsprechende Gerüchte und sogar handfeste Indizien gegeben habe, sei unstreitig. Es sei weiter dargestellt worden, dass es in der Vergangenheit Vorfälle gegeben habe, die nicht zu einer Anklage geführt haben. Eine Verpflichtung, über konkrete ergebnislose Ermittlungsverfahren oder entsprechende Anzeigen – die dann offenbar durch die Beteiligten nicht weiter unterstützt worden seien – zu berichten, bestehe nicht. Schließlich sei die Feststellung „Jeder, der hier lauschte, hätte eingreifen müssen“ eine schlichte Bewertung der geschilderten Umstände durch die Autorin. Es möge sein, dass sich die Beschwerdeführer wie auch zahlreiche Einwohner des Ortes zu Unrecht dem Vorwurf der Untätigkeit ausgesetzt sehen würden. Angesichts der geschilderten und – zumindest was Gerüchte und Indizien angehe – unstreitigen Zustände in der Gemeinde sei eine derart allgemein beschriebene „Sippenhaft“ jedoch hinzunehmen. (2004)

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Menschenwürde verletzt

In der Serie “Die Wunder der Evolution” veröffentlicht eine Zeitschrift unter der Überschrift “Der Straßenzeitungsverkäufer” das Foto eines Obdachlosen, der ein Straßenmagazin anbietet. In das Bild eingeklinkt ist eine Sprechblase mit dem Text “Die Freundlichkeit dieses Herrn ist nur gespielt”. Die Obdachlosenzeitungen hätten ihre Vertriebsleute auf einen Benimm-Kodex vereidigt, heißt es im Text. Sie dürften keine Passanten stören, nicht betteln und die Zeitung nicht in der U-Bahn verkaufen. Trotzdem kaufe man auch sie eher ungern, da der gemeine Straßenzeitungsverkäufer seinen Gewinn selten in Deo investiere. Diesen Nachteil mache er aber durch Freundlichkeit wett. Diese Freundlichkeit sei oft nur eine Masche. Der Verkäufer bekomme die Zeitungen zum Selbstkostenpreis und dürfe den Gewinn behalten. Es gelte: Je freundlicher, desto mehr Umsatz. Anders formuliert: Der Obdachlose wolle nur Geld. Allerdings gebe er sich meistens auch mit einer Kippe zufrieden, habe dann aber weniger Kohle für den Schnaps. Das Leben sei hart geworden in der Medienbranche. Im Vorspann zu der Serie erklärt die Redaktion, dass sie jeden Monat einen Typen vorstelle, der sich aus der großen Art der Homo sapiens herausentwickelt habe. Viele von ihnen sähen uns sogar ähnlich, faszinierend seien sie alle – zum Ausschneiden und Sammeln. Das genannte Straßenmagazin beschwert sich beim Deutschen Presserat. Der Text nenne in ironischer und verallgemeinernder Form angebliche Grundzüge der Personengruppe der Straßenzeitungsverkäufer. Illustriert sei der Text mit dem Bild eines bestimmten Verkäufers. Die Beschwerdeführerin hält den Beitrag für diskriminierend nach Ziffer 12 des Pressekodex, vor allem die Behauptung, die Verkäufer benutzten selten Deo, würden Freundlichkeit als Masche einsetzen, wollten nur Geld und seien auch mit einer Kippe zufrieden, hätten dann aber weniger Kohle für den Schnaps. Die Zeitschrift vermittele dadurch den Eindruck, Straßenzeitungsverkäufer seien durchgängig Schnorrer und Trinker, von schlichtem Gemüt, schlecht riechend und aufgesetzt freundlich. Diese Skizzierung sei herabsetzend und verletzend, auch nicht durch die Form der Satire zu rechtfertigen. Die Veröffentlichung des Fotos sei zudem ein Verstoß gegen Ziffer 2 des Pressekodex. Das Foto solle offenbar als Symbolfoto für Straßenzeitungsverkäufer dienen, sei jedoch nicht als solches gekennzeichnet. Es entstamme dem Archiv einer Presseagentur und sei ursprünglich aus Anlass des zehnjährigen Bestehens des Straßenmagazins angeboten worden. Die Zeitschrift verwende die Abbildung jedoch, um den herabsetzenden Text über Straßenzeitungsverkäufer zu bebildern. Das entstelle den Sinn des Fotos völlig und verletze die Persönlichkeitsrechte des Abgebildeten. Der Chefredakteur der Zeitschrift erklärt in seiner Stellungnahme, die kritisierte Rubrik sei eine Satire. Bei der Darstellung des Zeitungsverkäufers habe es nicht in der Absicht der Zeitschrift gelegen, die positive Arbeit des Straßenmagazins oder des abgebildeten Mannes zu negieren oder gar dessen Persönlichkeitsrechte zu verletzen. Vielmehr habe man in satirischer Form den sich wandelnden Menschen in der Medienbranche darstellen wollen. Nach Erscheinen des Artikels habe man sich sowohl bei dem abgebildeten Zeitungsverkäufer als auch bei der Redaktion der Zeitschrift aufrichtig entschuldigt und eine Unterlassungserklärung unterschrieben. Auch ein Entschädigungsgeld sei gezahlt worden. In einem gemeinsamen Gespräch aller Betroffenen sei versucht worden, Missverständnisse zu klären und persönliche Verletzungen auszuräumen. Man habe das positive Ergebnis dieses Gesprächs für einen Artikel in dem Straßenmagazin freigegeben. Die Zeitschrift selbst habe nicht vor, in ihrer jugendlichen Ansprache Menschen zu diskriminieren oder bloßzustellen. Der Chefredakteur hofft, dass dies durch seine Bemühungen deutlich geworden sei. (2004)

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