Wie hat der Presserat entschieden?
Rüge, Missbilligung oder Hinweis, wie hat der Presserat entschieden? Hier können Sie online in der Spruchpraxis des Presserats eine Auswahl an Beschwerdefällen von 1985 bis heute recherchieren.
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6738 Entscheidungen
Unter dem Titel „Sex-Sklavin (37) erstochen" berichtet eine Boulevardzeitung online über eine Frau, die über ein in der Sadomaso-Szene beliebtes Portal einen Mann kennengelernt, ihn geheiratet und 2022 mit ihm einen „Sklavenvertrag" geschlossen habe. Als sie sich von ihm trennte, soll der „Herr“ seine „Sklavin" ermordet haben. Zu dem Beitrag gehörten ein zunächst unverpixeltes Foto der Getöteten und ein Foto des verdächtigten Ehemannes. Es zeigt ihn mit einem Hund posierend. Seine Augenpartie ist mit einem schwarzen Balken verdeckt. - Ein Beschwerdeführer sieht die Ehre des Opfers verletzt, da die Frau als Sexsklavin betitelt wird. Dieser Begriff sei negativ besetzt und würdige das Opfer herab. Ein weiterer Beschwerdeführer kritisiert, dass die Frau unverpixelt gezeigt wurde. - Der Presserat beschränkt das Verfahren in der Vorprüfung des Falles auf mögliche Verstöße gegen den Persönlichkeitsschutz nach Ziffer 8 des Pressekodex, erweitert es aber auf die Abbildung des mutmaßlichen Täters. - Die Zeitung bestreitet einen Verstoß gegen Persönlichkeitsrechte. Sie habe die Identität des Opfers besonders geschützt: Der Name sei abgekürzt und das Foto verpixelt worden, zumindest später. Dabei wäre sogar eine identifizierende Berichterstattung zulässig gewesen, meint die Zeitung und beruft sich dabei auf Richtlinie 8.2 des Pressekodex, wonach Name und Foto eines Opfers veröffentlicht werden dürfen, wenn es sich dabei „um eine Person des öffentlichen Lebens handelt“. Nicht nur Bürgermeister oder Fußballtrainer seien öffentliche Personen, meint die Zeitung, sondern auch solche, die anderweitig in den Fokus der Öffentlichkeit gerieten. Im vorliegenden Fall gehe es um einen vergleichsweise kleinen Ort. Die Identität des Opfers einer derart bizarren und ungewöhnlichen Straftat werde sich dort bereits wie ein Lauffeuer herumgesprochen hoben, noch bevor die Zeitung berichtet habe. Deshalb sei eine Ent-Anonymisierung des Opfers durch die Berichterstattung schon denklogisch nicht (mehr) möglich gewesen. Um die Angehörigen nicht erneut leiden zu lassen, habe die Redaktion extra kein Foto der bereits Ermordeten verwendet, sondern ein neutrales Bild, das die Frau selbst in Social-Media-Kanälen veröffentlicht habe. Versehentlich sei das Foto wohl für kurze Zeit unverpixelt gezeigt worden. Die Redaktion bitte dafür um Entschuldigung, habe diesen kleinen presseethischen Fehler aber umgehend korrigiert. Außerdem habe sie die Überschrift später neutralisiert, indem sie die Bezeichnung „Sex-Sklavin“ durch „Sanitäterin“ ersetzt habe. Sollte der Presserat die Beschwerden trotzdem für begründet halten, sollte er zumindest auf die Verhängung einer Maßnahme verzichten. - Der Beschwerdeausschuss beschließt einstimmig eine öffentliche Rüge wegen Verstößen gegen den Persönlichkeitsschutz sowohl hinsichtlich des Opfers als auch des mutmaßlichen Täters. Wegen der Veröffentlichung des zunächst unverpixelten Opferfotos war die Frau für die breite Öffentlichkeit - und nicht nur für das lokale Umfeld - identifizierbar. Im Übrigen halten die Ausschussmitglieder das Opfer auch auf dem später verpixelten Foto für noch erkennbar. Auch der mutmaßliche Täter ist trotz Augenbalkens aufgrund seiner Gesichtszüge und Körpergestalt identifizierbar. Die Zeitung hat auch keine tragfähigen Argumente dafür vorgetragen, dass es sich bei den beiden um sogenannte Lokalprominenz handele, was eine identifizierende Berichterstattung hätte rechtfertigen können. Dass die beiden durch den Todesfall zum Gesprächsstoff in der Stadt geworden sind, reicht dafür nicht aus.
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Das Onlineportal eines Nachrichtenmagazins informiert ausführlich über die Polizeifahndung nach einem namentlich genannten 42-Jährigen, der eine Jugendliche getötet und eine Erwachsene schwer verletzt haben soll. Unter dem Titel „Mädchen (17) tot, Frau verletzt - was wir über den gesuchten Landwirt wissen“ beschreibt die Redaktion den Gesuchten und erwähnt dabei auch, dass er bereits wegen Gewaltdelikten vorbestraft sei. Etwa die Hälfte des Artikels befasst sich detailliert mit dem Bauernhof, den der Gesuchte offenbar gemeinsam mit seiner Familie betreibt. Dort würden auch Weihnachtsbäume verkauft sowie Weihnachtsmärkte veranstaltet. Die Familienmitglieder werden dabei mit vollem Namen genannt. - Der Beschwerdeführer beanstandet eine Verletzung des Persönlichkeitsschutzes der Familienmitglieder. Sie würden identifizierbar, obwohl kein öffentliches Interesse bestehe, das ihren Persönlichkeitsschutz überwiege. - Die Redaktion erwidert, dass es wegen der Fahndung gerechtfertigt gewesen sei, alle vorliegenden Informationen zu dem Gesuchten zu verbreiten. Es sei nie möglich, im Vorhinein sicher zu beurteilen, welche Einzelheiten für die Fahndung relevant werden könnten. Wenn der Verdächtige beispielsweise gegenüber einem Dritten Angaben zu seinem Beruf oder seinen Familienverhältnissen mache, könne dieser Dritte vielleicht eine Verbindung zum Fahndungsaufruf herstellen und die Fahndung zum Erfolg führen. Dass ein Fahndungsaufruf auch Rückschlüsse auf Familienmitglieder ermögliche, liege in der Natur der Sache und sei unvermeidlich. Die Redaktion habe aber nur solche Fakten mitgeteilt, die ohnehin allgemein öffentlich zugänglich seien. Trotzdem habe die Redaktion die Beschwerde zum Anlass genommen, künftig noch genauer zu überprüfen, ob in solchen Fällen weniger detailliert berichtet werden könne, um Familienmitglieder nicht mehr als nötig zu belasten. Außerdem stehe der Artikel inzwischen nicht mehr online. - Der Beschwerdeausschuss spricht eine öffentliche Rüge aus, weil die Berichterstattung den in Ziffer 8 des Pressekodex festgeschriebenen Schutz der Persönlichkeit verletzt hat. Dass die Redaktion die Namen der Verwandten genannt hat, ist nicht durch ein öffentliches Interesse gedeckt. Wenn Familienangehörige nichts mit dem eigentlichen Gegenstand der Berichterstattung zu tun haben, ist die Nennung ihres Namens in der Regel unzulässig. Eine Ausnahme von dieser Regelung ist im konkreten Fall nicht erkennbar, so dass hier eine deutliche Verletzung des Persönlichkeitsschutzes vorliegt.
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Eine Boulevardzeitung berichtet online über einen Autounfall, bei dem der 83-jährige Fahrer im Auto eingeklemmt wurde. Ein Foto zeigt, wie ein Rettungssanitäter den im Autowrack sitzenden Unfallfahrer versorgt, dessen Gesicht verpixelt ist. Im Beitrag heißt es: „Es ist ein Bild, das zu Herzen geht: Ein Retter hält die Hand eines Verunglückten, der in seinem Auto eingeklemmt ist. Er spricht ihm Mut zu. Obwohl er weiß, dass er dem Mann nicht mehr helfen kann. Wenig später ist der Unfallfahrer tot.“ - Die Beschwerdeführerin kritisiert, dass die Redaktion das teilweise verpixelte Foto eines sterbenden Unfallopfers zeige. Die Redaktion missachte damit die Menschenwürde und den Schutz der Persönlichkeit. - Die Zeitung weist die Vorwürfe zurück. Das Opfer sei auf dem Foto vollständig unkenntlich gemacht worden. Der „keineswegs reißerisch, sondern einfühlsam formulierte Beitrag“ dokumentiere einen „Moment großer Menschlichkeit in der Arbeit von Rettungskräften“. Es gehe in dem Artikel nicht um die Person des anonymisierten Opfers, sondern um die berührende Menschlichkeit und Warmherzigkeit, die der Retter dem Opfer zuteilwerden lasse, um ihm in den letzten Momenten seines Lebens Hoffnung und Geborgenheit zu vermitteln. Die Berichterstattung zeige, welch schweren und zugleich wichtigen Job die Rettungskräfte verrichteten. Ohne Zweifel bestehe daran ein öffentliches Berichterstattungsinteresse. - Der Beschwerdeausschuss spricht eine öffentliche Rüge aus. Ausschlaggebend hierfür ist das Foto in Verbindung mit der Überschrift „Sanitäter hält die Hand des sterbenden Opfers“. Dadurch werden die Leserinnen und Leser dazu eingeladen, am Moment des Sterbens teilzuhaben. Trotz der Verpixelung ist diese Darstellung mit dem Schutz der Menschenwürde nach Ziffer 1 des Pressekodex nicht vereinbar und geht über die Grenzen des öffentlichen Interesses hinaus. Auch mit Blick auf die Gefühle der Angehörigen des Opfers war die Darstellung zu beanstanden. Das nachvollziehbare Anliegen der Redaktion, die bedeutsame Arbeit der Rettungskräfte zu dokumentieren, muss bei dem Foto gegenüber der Achtung vor der Menschenwürde zurückstehen.
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In einer Kolumne eines Online-Sportportals setzt sich der Autor dafür ein, den erfolgreichen FC-Bayern-Mittelstürmer Mathys Tel in Deutschland einzubürgern, damit er in der Nationalmannschaft spielen kann. Eine Textpassage lautet: „Das Gute vorweg: Tel ist gar kein reinrassiger Franzose, seine Eltern stammen von der Karibik-Insel Guadeloupe, einem Übersee-Department.“ – Der Beschwerdeführer kritisiert diese Textpassage. Sie verstoße gegen die Menschenwürde und diskriminiere Franzosen mit Migrationshintergrund unter Verwendung einer der Rassenlehre angelehnten Sprache. – Der Verlag entgegnet, dass die Wortwahl „reinrassig“ für sich genommen in Deutschland aus historischen Gründen kritisch zu sehen sein möge. Aber hier werde das Adjektiv erkennbar anders gemeint verwendet, mit keinerlei Bezügen etwa zu nationalsozialistisch-rassistischem Gedankengut. Das Wort werde lediglich als Synonym für „gebürtig“ oder auch „waschecht“ eingesetzt. Nicht gemeint sei hingegen die Zugehörigkeit zu einer „Franzosen-Rasse" im Sinne einer ausgrenzenden „Rassenlehre“. Im Gegenteil: Der Autor schwärme von dem Fußballer und schlage seine Einbürgerung vor. Außerdem müsse der satirische Charakter des Artikels berücksichtigt werden. Es handele sich um eine überspitzte, aber mitnichten ausgrenzend-diskriminierend gemeinte Meinungsäußerung. Um jegliche Missverständnisse von vornherein zu vermeiden, sei die unbedachte Formulierung bereits wenige Stunden nach ihrer Publizierung geändert worden. - Der Beschwerdeausschuss beschließt einstimmig eine öffentliche Rüge wegen der Formulierung „reinrassiger Franzose“, die die Herkunft des Fußballspielers beschreibt. Seine Zuordnung zu einer Rasse stellt eine Diskriminierung dar und verletzt die Ziffer 12 des Pressekodex, nach der niemand wegen seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden darf. Die Kolumne überschreitet damit die Grenzen der Meinungsfreiheit.
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„Um 20.10 Uhr hatten sie den Mädchen-Killer“: Unter dieser Schlagzeile berichtet eine Boulevardzeitung online über die Festnahme eines Landwirts, der eine Schülerin erstochen und eine weitere Frau schwer verletzt haben soll. Die Polizei hatte mit einem Foto nach ihm gefahndet. In dem Beitrag wird der Festgenommene mit Vornamen, abgekürztem Nachnamen, Wohnort, Alter, Beruf und Ehrenamt als Hauptfeuerwehrmann beschrieben. Bebildert ist der Artikel mit zwei Porträtfotos, auf denen lediglich die Augenpartie mit schwarzen Balken verdeckt wurde. - Der Beschwerdeführer sieht in der Überschrift einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung, denn bisher habe weder ein gerichtliches Verfahren die Schuld bewiesen noch der Verdächtige ein Geständnis abgelegt. - Bei der Vorprüfung des Falles erweitert der Presserat wegen der beiden Fotos das Verfahren auf einen möglichen Verstoß gegen den Persönlichkeitsschutz. - Die Zeitung weist die Vorwürfe zurück. Die Redaktion habe sprachlich hinreichend deutlich zwischen Verdacht und erwiesener Schuld unterschieden. Dies lasse sich schon an der Dachzeile der Überschrift erkennen: „Andreas B. soll Mara-Sophie (†17) getötet haben.“ Aus der Unterzeile lasse sich entnehmen, dass der Bauer erst geflüchtet und dann gefasst worden sei. Dachzeile, Schlagzeile und Unterzeile würden als Einheit gelesen. Auch im Beitrag seien mehrfach die Begriffe „soll“ oder „mutmaßlich“ verwendet worden. Von verfrühter Schuldzuweisung könne keine Rede sein. Bei der Bebilderung habe die Redaktion ein zuvor von der Polizei veröffentlichtes Fahndungsfoto verwendet. Das Aussehen des Tatverdächtigen sei also nicht durch die Zeitung, sondern durch die Polizei publik gemacht worden. Trotzdem habe die Redaktion nach Ende der Fahndung das bereits allseits bekannte Foto anonymisiert; mehr pressemäßige Sorgfalt sei nicht zu verlangen. Dabei hätte in diesem Fall sogar voll identifizierend berichtet werden dürfen, denn das öffentliche Interesse an der Berichterstattung habe die schutzwürdigen Belange des Betroffenen überwogen. Die Taten hätten bundesweit für großes Entsetzen gesorgt, nahezu jedes Medium habe darüber berichtet. Insofern sei auch das Regelbeispiel einer außergewöhnlichen, schweren Straftat erfüllt. - Der Beschwerdeausschuss spricht eine öffentliche Rüge aus. Zum einen hat die Redaktion gegen den Schutz der Persönlichkeit nach Ziffer 8 des Pressekodex verstoßen. Denn auf den Fotos ist der Mann erkennbar. Ein öffentliches Interesse an einer identifizierbaren Darstellung bestand zwar während der Fahndung, aber nicht mehr nach der Festnahme. Hier lag auch kein überwiegendes öffentliches Interesse an einer identifizierbaren Abbildung vor. Zum anderen bewertet der Ausschuss die Überschrift „Um 20.10 Uhr hatten sie den Mädchen-Killer“ als Vorverurteilung des identifizierbaren Tatverdächtigen nach Ziffer 13 des Pressekodex. Denn mit dem Begriff „Killer“ wird eine festgestellte Schuld unterstellt. Der Ausschuss sieht hier keine Unterscheidung zwischen Verdacht und erwiesener Schuld gegeben. Der Gesamteindruck, der durch die Schlagzeile entsteht, überlagert den Eindruck der Dachzeile und der Unterüberschrift.
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Eine Boulevardzeitung berichtet online über die Verurteilung einer Apothekerin zu zwei Jahren Haft auf Bewährung wegen fahrlässiger Tötung und unterlassener Hilfeleistung. Die Pharmazeutin hatte einer jungen Schwangeren ein verunreinigtes Glukose-Präparat verkauft. Die Schwangere und ihr ungeborenes Kind starben an den Folgen der Vergiftung. Die Redaktion zeigt die „Apothekerin des Todes“ im Foto. Über die Augenpartie ist ein Balken gelegt. Im Beitrag wird sie mehrfach mit Vornamen und abgekürztem Nachnamen erwähnt. Auch die Apotheke, in der sie als Filialleiterin tätig war, wird genannt und mit Foto abgebildet. Der Ehemann der Verstorbenen wird ebenfalls per Foto gezeigt. Sein Gesicht ist grob verpixelt. - Die Beschwerdeführerin sieht Verstöße gegen die Pressekodex-Ziffern 8 (Schutz der Persönlichkeit) und 13 (Unschuldsvermutung). Mit wenig Rechercheaufwand finde man den vollständigen Namen der Angeklagten heraus. - Bei der Vorprüfung des Falles beschränkt der Presserat das Verfahren auf mögliche Verstöße gegen Ziffer 8, erweitert es aber um das Foto des Witwers. - Die Zeitung bestreitet die Identifizierbarkeit der Apothekerin. Dank des Augenbalkens und des abgekürzten Nachnamens sei sie nur für diejenigen erkennbar, die sie sowieso schon gekannt hätten. Dabei hätte die Presse hier sogar voll identifizierend berichten dürfen, denn es bestehe ein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse, das die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen deutlich überwiege. Dafür spreche zunächst, dass keine Zweifel an der Schuld der geständigen Apothekerin bestünden. Auch wenn sie die Tat offenbar nicht mit direktem Vorsatz begangen habe, so handele es sich doch um eine außergewöhnlich schwere Tat, die zu besonders schwerem Leid geführt habe. Die Tat sei folglich als „besonders“ einzustufen. In solchen Fällen erlaube der Pressekodex eine identifizierende Berichterstattung. Wegen des großen öffentlichen Interesses habe die Zeitung wegen ihrer Chronistenpflicht darüber berichten müssen. Zum Schutz der Betroffenen habe die Redaktion eine sehr zurückhaltende Form der, wenn überhaupt, Identifizierbarmachung gewählt. Dass man die Frau anhand dieser Angaben durch eine einfache Internetrecherche identifizieren könne, falle nicht in den Einfluss- und Verantwortungsbereich der Redaktion. Anderenfalls dürften Zeitungen im Internet-Zeitalter nur noch komplett neutralisierte Texte veröffentlichen, in denen noch nicht einmal der Ort des Prozesses erwähnt werden dürfte. Die Redaktion habe versucht, einen Mittelweg zu gehen. Hinzu komme, dass die Frau in einem hochsensiblen Tätigkeitsbereich einen irreversiblen Fehler begangen habe. Die Presse habe die unerlässliche Aufgabe, die Öffentlichkeit auch über den Namen der Apotheke zu informieren, damit jeder Leser selbst entscheiden könne, ob er seine Medikamente künftig lieber woanders kaufe. Dies gelte umso mehr, als die verurteilte Apothekerin kein Berufsverbot erhalten habe. Über den Ehemann der Getöteten äußert sich die Gerichtsreporterin so: „Mit dem Witwer waren wir während des Prozesses immer wieder im Gespräch, zu Beginn stellte er in Aussicht, dass er nach der Urteilsverkündung offen mit uns reden möchte. Das tat er dann nicht, daher haben wir ihn sehr stark gepixelt.“ Dabei hätte auch über ihn durchaus identifizierend berichtet werden dürfen, denn durch seine Gespräche mit der Redakteurin habe er sich selbst in den Fokus der Presseberichterstattung begeben. Außerdem sei er ebenso wie die Apothekerin in der lokalen Öffentlichkeit schon vor dem Artikel bekannt gewesen. - Der Beschwerdeausschuss beschließt einstimmig eine öffentliche Rüge wegen Verstößen gegen den Persönlichkeitsschutz nach Ziffer 8. Die Apothekerin ist auf dem Foto trotz des Augenbalkens erkennbar. An ihrer Identifizierbarkeit besteht kein überwiegendes öffentliches Informationsinteresse. Zwar ist der Tod der Schwangeren und ihres Ungeborenen tragisch. Jedoch stellt die fahrlässige Tötung und unterlassene Hilfeleistung, für die das Gericht eine Bewährungsstrafe aussprach, keine „außergewöhnlich schwere oder in ihrer Art und Dimension besondere Straftat“ dar, wo laut Pressekodex eine Identifizierung ausnahmsweise erlaubt wäre. Damit sind vielmehr Taten wie beispielsweise Attentate, Amokläufe oder Massenmorde gemeint. Erschwerend kommt hinzu, dass die Zeitung die Apotheke namentlich genannt und im Foto gezeigt hat. Der Beschwerdeausschuss sieht in dieser Form der identifizierenden Berichterstattung eine soziale Zusatzbestrafung in Form eines Medienprangers. Auch den Ehemann des Opfers halten die Ausschussmitglieder wegen des Fotos für identifizierbar. Laut Pressekodex sind Fotos von Angehörigen in der Regel unzulässig. Daran ändert sich auch nichts durch den Umstand, dass der Mann während des Prozesses mit der Redakteurin sprach und in Aussicht stellte, nach der Urteilsverkündung offen mit ihr zu reden. Dass er dies nicht tat, zeigt gerade, dass er letztlich kein Interesse daran hatte, in die Öffentlichkeit zu treten.
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Das Onlineportal eines großen Zeitungsverlags berichtet darüber, dass ein Pfarrer in seiner Kirche mit Klimaschutzaktivisten der „Letzten Generation“ diskutiert und sie dabei heimlich „ausgetrickst“ habe: Er habe Sicherheitskräfte engagiert, um mögliche Beschädigungen durch die „Klima-Kleber“ zu verhindern. - Der Beschwerdeführer kritisiert eine falsche und irreführende Darstellung. Die Sicherheitskräfte seien nicht engagiert worden, um die Kirche vor den Aktivisten zu schützen, sondern zum Schutz vor möglichen Übergriffen durch Bürger, die mit dem Ansinnen des Pfarrers, den gesellschaftlichen Dialog aufrecht zu halten, nicht übereinstimmen. Zwei Tage später habe die Redaktion den Beitrag zwar überarbeitet, aber die Falschmeldung dabei nicht ausreichend richtiggestellt. - Die Zeitung räumt einen Irrtum ein. Der Autor habe den Pfarrer so, wie zunächst geschrieben, verstanden, als dieser ihn über die Anwesenheit des bis dahin unauffälligen Sicherheits¬dienstes informiert habe. Nach der Veröffentlichung habe sich dann die Kirchengemeinde bei der Redaktion gemeldet, um klarzustellen, dass es sich um ein Missverständnis gehandelt habe. Die Redaktion habe darauf umgehend reagiert und den Beitrag berichtigt. Die überarbeitete Fassung sei mit der Kirche abgestimmt und von dieser freigegeben worden. Trotz des bedauerlichen Missverständnisses sei ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten nicht ersichtlich. Von einer vorsätzlichen Täuschung könne hier keine Rede sein. - Der Beschwerdeausschuss spricht eine öffentliche Rüge aus. Die von der Redaktion eingeräumte falsche Darstellung wurde in der Überschrift besonders hervorgehoben („Letzte Generation in NRW: Pfarrer diskutiert mit Klima-Klebern – und trickst sie SO heimlich aus“). Damit hat die Redaktion sehr deutlich gegen die in Ziffer 2 des Pressekodex definierte journalistische Sorgfaltspflicht verstoßen. Nach einem Hinweis auf den Fehler hat sie die Veröffentlichung zwar bearbeitet und den Sachverhalt korrekt dargestellt. Allerdings wäre es dabei aus pressethischer Sicht auch notwendig gewesen, die Leser darüber zu informieren, dass die erste Berichterstattung fehlerhaft war. Dies hätte den Anforderungen der Ziffer 3 (Richtigstellung) entsprochen. Da kein solcher Hinweis erfolgt ist, liegt auch hier ein gravierender Verstoß gegen den Pressekodex vor.
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Eine Tageszeitung berichtet zum wiederholten Mal über einen langwierigen Streit zwischen einer Nationalparkverwaltung und einem Verein von Tier- und Naturschützern. Der Verein hatte 2021 den Vorwurf erhoben, im Nationalpark würden in der Schonzeit Gämsen geschossen, um damit Bartgeier-Junge zu füttern. Die Parkverwaltung bestritt dies und klagte erfolgreich gegen diese Behauptung. Als der Verein nun mit seiner Berufung vor dem Oberlandesgericht (OLG) scheitert, berichtet die Lokalzeitung darüber ausführlich und zitiert dabei aus einer Pressemitteilung des Nationalparkleiters: Er habe sich gegen eine „grobe Unwahrheit“ des Vereins gewehrt. Dessen Vorsitzende wolle die einstimmige OLG-Entscheidung aber nicht hinnehmen und weiter durch die Instanzen gehen. Bei einer erneuten Niederlage werde es für den Verein und seine Mitarbeiterin teuer. „Ob das dafür erforderliche Geld des Vereins hier im Sinne der Vereinssatzung verwendet worden ist, kann aus guten Gründen bezweifelt werden“, heißt es laut Zeitung in der Nationalpark-Mitteilung. „Der unter dem Deckmantel des Naturschutzes agierende Verein und seine Unterstützer haben nicht verstanden, dass wir im Nationalpark keine klassische Jagd betreiben“, so der Nationalparkleiter. „Der Verein bezweckt mit seinen Aktivitäten trotz der in einigen Bereichen des Schutzgebiets ohnehin schon sehr hohen Wildbestände einen weiteren Populationsanstieg des Schalenwildes. Dies gefährdet das ökologische Gleichgewicht im Nationalpark und die Gesundheit des Wildes“, so der Nationalparkleiter. - Der Beschwerdeführer kritisiert, dass die Zeitung gegen den Grundsatz verstoßen habe, immer auch die Gegenseite anzuhören: Die Nationalparkleitung habe sich äußerst kritisch und zudem spekulierend über den Verein geäußert, ohne dass dieser dazu Stellung nehmen konnte. - Die Zeitung verweist in ihrer Entgegnung darauf, dass sie über die Streitigkeiten zwischen dem Verein und dem Nationalpark von Anbeginn berichtet habe. Dabei habe sie zunächst vor allem die Vorwürfe des Vereins ausführlich dargestellt. Immer wieder habe sie Äußerungen von beiden Seiten aufgegriffen. Die Standpunkte beider Konfliktparteien seien dem interessierten Leser nach jahrelanger gerichtlicher Auseinandersetzung hinlänglich bekannt. - Der Beschwerdeausschuss erkennt in dem strittigen Bericht keinen Verstoß gegen die in Ziffer 2 des Pressekodex festgeschriebene journalistische Sorgfaltspflicht und erklärt die Beschwerde einstimmig für unbegründet. Der Tatsachenkern des Artikels betrifft den Ausgang eines Gerichtsverfahrens. Dabei legt die Redaktion die Quelle ihrer Informationen offen, nämlich eine Pressemitteilung des Nationalparks. Der Leserschaft wird damit hinreichend transparent gemacht, dass hier die erfolgreiche Prozesspartei Aussagen über die Gegenpartei macht. Da die kritischen Zuschreibungen als Meinungsäußerungen einer Konfliktpartei im Nachgang eines längeren Rechtsstreits erkennbar sind, musste die Redaktion nicht zwingend eine Stellungnahme des Vereins einholen.
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Eine Tageszeitung veröffentlicht einen Leserbrief, der sich kritisch mit der AfD befasst. Darin fordert er mehr Zivilcourage: „Den Mund aufmachen, auch und gerade am Stammtisch und beim Metzger und in den Familien. Das kann (notwendigerweise) Folgen haben. Die AfD entlarven, indem man ihre Aussagen und ihr Programm bloßstellt […] Es geht nur durch öffentliche Diskussion und Aufdeckung ihrer Lügen!“ Der Beschwerdeführer weist darauf hin, dass der Leserbriefverfasser kein gewöhnlicher Bürger sei, sondern ein langjähriger Stadtrat. Ohne diese Funktion kenntlich zu machen, fordere er die Öffentlichkeit eindringlich dazu auf, seine politische Konkurrenz für ihn zu bekämpfen. Der Redaktion sei die politische Tätigkeit des Verfassers bekannt. Aber trotz des explizit parteipolitischen Inhalts und der aggressiven, an die Öffentlichkeit gerichteten parteipolitischen Forderungen habe die Zeitung den parteipolitischen Hintergrund nicht kenntlich gemacht. Die Redaktion erläutert in ihrer Stellungnahme, dass der Leserbrief auf einer Zeitungsseite erschienen sei, in der nur Zuschriften zu überregionalen Artikeln abgedruckt würden.
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In einer Tageszeitungskolumne schreibt ein freier Mitarbeiter über ein Telefonat, das er als Interessent für einen Hauskauf mit einer Inserentin geführt habe. Das Gespräch wird anhand von Zitaten nachgezeichnet. Es geht dabei um die Weigerung der Eigentümerin, das von ihr zum Kauf angebotene sanierungsbedürftige Haus komplett besichtigen zu lassen. Sie wolle dem Interessenten nur den Keller und das Erdgeschoss zeigen, nicht aber das Obergeschoss, denn: „Das ist alles zu privat.“ Der Ehemann der Eigentümerin beschwert sich darüber, dass der Journalist sich als Interessent ausgegeben habe, aber offenbar lediglich die Eigentümerfamilie diffamieren wolle. Er habe drei sehr „sonderbare“ und unfreundliche Telefonate geführt. Augenscheinlich habe er den letzten Anruf mitgeschnitten, denn er habe daraus in seinem Artikel zitiert. Bei einem weiteren Telefonat, diesmal mit dem Ehemann und späteren Beschwerdeführer, habe dieser erfahren, dass der Journalist gar kein Haus suche. Der Chefredakteur entgegnet, die Kontaktaufnahme zwischen dem freien Mitarbeiter und der Verkäuferfamilie sei weder im Auftrag noch mit Wissen der Redaktion zustande gekommen.
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