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Wie hat der Presserat entschieden?

Rüge, Missbilligung oder Hinweis, wie hat der Presserat entschieden? Hier können Sie online in der Spruchpraxis des Presserats eine Auswahl an Beschwerdefällen von 1985 bis heute recherchieren.

 

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Auch Fragen können Persönlichkeitsrechte verletzen

Eine Boulevardzeitung berichtet über einen jungen Mann, der in einer Kleinstadt vor seinem Haus von Anwohnern gefunden wurde und wenig später im Krankenhaus verstarb. Die Polizei stehe vor einem Rätsel, schließe aber einen Verkehrsunfall sowie direkte Gewalteinwirkung durch Dritte aus; „ein Sturzgeschehen ist wahrscheinlich“. Die Zeitung stellt dazu Fragen: „Doch wie stürzte er? Mit dem Fahrrad, das gefunden wurde? Oder ist er aus dem Fenster gestürzt? Ist deshalb der Rollladen am Haus halb abgerissen? Und wieso fällt man einfach aus dem Fenster? Haben eventuell Drogengeschäfte etwas damit zu tun? Musste [Vorname und abgekürzter Nachname] fliehen?“ Ein Anwohner habe der Zeitung berichtet, dass die Mutter des Toten ihm das Haus besorgt habe, „weil sie gehofft hatte, dass er hier von den Drogen loskommt“. Der Artikel enthält noch weitere persönliche Details, zum Beispiel, dass er adoptiert gewesen sei und in einer anderen (namentlich genannten) Stadt aufgewachsen sei. Zu dem Beitrag gehören auch Fotos vom Haus und der Straße sowie ein großes, stark verpixeltes Bild des Mannes, auf dem er mit einer Pillenkapsel in der Hand zu sehen ist. - Der Beschwerdeführer kritisiert, dass die Redaktion gegen mehrere Ziffern des Pressekodex verstoßen habe. Sie habe den Persönlichkeitsschutz verletzt, denn aus der Summe der persönlichen Angaben und Abbildungen könnten Ortskundige den Verstorbenen identifizieren. Mit der Frage nach Drogengeschäften habe sie seine Ehre und die Unschuldsvermutung verletzt. Außerdem hätte sich die Redaktion bei ihren Schilderungen zurückhalten müssen, weil der Mann vielleicht drogenkrank gewesen sei und ein Suizid nicht gänzlich ausgeschlossen werden könne. Insgesamt handele es sich um eine unangemessen sensationelle Darstellung. - Die Zeitung weist alle Vorwürfe zurück. Ein Verstoß gegen den Persönlichkeitsschutz liege nicht vor, denn zum einen sei der Nachname des Opfers abgekürzt und sein Foto bis zur Unkenntlichkeit verpixelt worden, und zum anderen sei die Nachricht vom Tod des Mannes in dem kleinen Ort schon allgemein bekannt gewesen. Es sei keinesfalls Schutzzweck des Pressekodex, bereits bekannte Informationen „quasi zu unterdrücken“; dies liefe sonst auf eine erhebliche, vorzensurähnliche Einschränkung der Pressefreiheit hinaus. Auch eine Ehrverletzung oder Kriminalisierung liege nicht vor. Mit der Frage „Haben eventuell Drogengeschäfte etwas damit zu tun?“ werde nicht die Behauptung einer Straftat aufgestellt. Im Übrigen habe der junge Mann selber das Foto mit der Drogenkapsel in der Hand in einem Social-Media-Kanal gepostet. Auch die Richtlinien zur Zurückhaltung bei Erkrankungen und Selbsttötungen seien nicht verletzt worden. Denn es gebe keinerlei objektive Anhaltspunkte dafür, dass hier überhaupt eine psychische Erkrankung oder ein Suizid vorgelegen hätten. Auch sei die Berichterstattung nicht unangemessen sensationell. Sie erwähne nur die Fakten und frage, was angesichts dieser Sachlage vorgefallen sein könnte. - Der Beschwerdeausschuss erklärt die Beschwerde für teilweise begründet und spricht eine öffentliche Rüge aus. Der Verstorbene ist zumindest für ein lokales Umfeld identifizierbar. Durch die im Artikel gestellten Fragen wird der Leserschaft suggeriert, der junge Mann sei in illegale Drogengeschäfte verwickelt gewesen, die zu dem Todessturz geführt hätten. Hierfür liegen jedoch keine ausreichenden Anknüpfungstatsachen vor. Zudem berichtet die Redaktion über zahlreiche weitere persönliche Details, die in keinem erkennbaren Zusammenhang mit dem Fall stehen (zum Beispiel die Adoption). Insoweit überwiegen die schutzwürdigen Interessen des Opfers das Informationsinteresse der Öffentlichkeit; deshalb liegt hier ein Verstoß gegen den Persönlichkeitsschutz nach Ziffer 8 des Pressekodex vor. Außerdem hat die Redaktion gegen Ziffer 9 verstoßen, denn die Behauptung, dass eventuell Drogengeschäfte etwas mit dem Sturz zu tun hätten, und die damit einhergehende Suggestion, das Opfer sei in illegale Drogengeschäfte verwickelt, sind geeignet, den Mann in seiner Ehre zu verletzen. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet: Die Ausschussmitglieder können keine unangemessene Darstellung von Gewalt, Brutalität und/oder Leid erkennen.

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Redaktion hätte abwertende Nutzerkommentare löschen müssen

Unter einem Online-Beitrag über die Linken-Spitzenkandidatin zur Europawahl 2024 veröffentlicht eine überregionale Tageszeitungsredaktion verschiedene Leser-Kommentare. Darin heißt es unter anderem: „Naja, ohne Schnurrbart wäre sie ansehnlicher.“ „Diese Postkommunisten gehören auf den Müllhaufen der Geschichte, wie die braune Brut der AfD.“ „Erstmal rasieren.“ „Die Frau (...) sollte zuerst einmal ihre Dreads abschneiden, denn laut Narrativ der Linken ist diese Frisur ja kulturelle Aneignung.“ „Ein BH wäre auch nicht verkehrt.“ - Der Beschwerdeführer kritisiert die Veröffentlichung der Kommentare. Kritik an diesen diffamierenden, beleidigenden Beiträgen sei dagegen nicht veröffentlicht worden. - Der Digital-Chefredakteur bestreitet, dass die Redaktion Hetze dulde. Mit immensem Moderationsaufwand und mithilfe Künstlicher Intelligenz versuche sie täglich, bis zu 30.000 Nutzerkommentaren Herr zu werden. Dabei würden Fehler gemacht, und auf die werde selbstverständlich reagiert. Allerdings gehörten Diskussionen über Moderations-Entscheidungen nicht in den Kommentarbereich, sondern müssten per Mail geführt werden. So stehe es in den verlinkten Regeln am Eingang des Kommentarbereichs. Dementsprechend seien in diesem Fall die kritischen Kommentare zur Moderation gelöscht worden. Zu den beanstandeten Kommentaren schreibt der Chefredakteur: Da sei sicher nicht jeder besonders geschmackvoll, aber Beleidigungen könne er darin beim besten Willen nicht erkennen. - Der Beschwerdeausschuss spricht eine öffentliche Rüge aus. Die Nutzerkommentare beziehen sich auf das äußere Erscheinungsbild der Politikerin und ihre körperlichen Merkmale. Diese abwertenden Äußerungen, die jede Sachebene der politischen Diskussion verlassen, überschreiten die Grenze zur Schmähkritik und sind dazu geeignet, die Frau in ihrer persönlichen Ehre nach Ziffer 9 des Pressekodex zu verletzen. Außerdem hat die Redaktion gegen Ziffer 2 verstoßen. Demnach tragen Redaktionen Verantwortung auch für die von Nutzern beigesteuerten Inhalte. Die Redaktion hätte die abwertenden Kommentare löschen müssen, nachdem sie davon erfahren hat.

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Schleichwerbung für Hautcreme samt Apotheken-Bestellnummer

Unter der Überschrift „Natürliche Power gegen Falten“ berichtet eine Frauenzeitschrift über eine spezielle „Anti-Aging-Pflanze“ namens Hohowi. Wer nach einer sinnvollen Alternative zu Botox & Co. suche, werde beim Hohowi-Wüstenstrauch fündig. Nach der Darstellung seiner Eigenschaften erwähnt die Redaktion eine bestimmte Creme, lobt ihre Wirkung und nennt auch ihre Pharmazentralnummer für den Kauf in der Apotheke. - In der Beschwerde an den Presserat heißt es, bei dem Artikel handele es sich um eine Produktempfehlung im redaktionellen Stil, die nicht als Werbung gekennzeichnet sei. - Nach Ansicht des Verlags ist die Presse berechtigt, über gesundheitliche, medizinische und wissenschaftliche Themen frei zu berichten. Dabei dürfe sie auch redaktionelle Empfehlungen aussprechen und beispielhaft Produkte nennen, die in den Kontext der Berichterstattung passten. Der beanstandete Artikel sei journalistisch unabhängig, allein mit Blick auf das begründete Informationsinteresse an Gesundheitsthemen entstanden. Die Zeitschrift sei dafür nicht bezahlt worden und habe auch keine geldwerten Vorteile erhalten. Dass der Verlagskonzern auch bezahlte Anzeigen für das Produkt veröffentliche, ändere an dieser Bewertung nichts. Anzeigenvermarktung und Redaktion gehörten zu verschiedenen Gesellschaften des Konzerns. - Der Beschwerdeausschuss beschließt eine öffentliche Rüge wegen eines schweren Verstoßes gegen das Gebot zur strikten Trennung von Werbung und Redaktion (Ziffer 7 des Pressekodex). Redaktionelle Veröffentlichungen, die auf Unternehmen bzw. deren Erzeugnisse hinweisen, dürfen nicht die Grenze zur Schleichwerbung überschreiten. In dem beanstandeten Artikel wird ein Produkt namentlich erwähnt, ohne dass hierfür ein hinreichendes anzunehmendes Leserinteresse erkennbar wird, zum Beispiel in Form eines relevanten Alleinstellungsmerkmals. Ebenso fehlt eine redaktionelle Einordnung, etwa ein Vergleich mit ähnlichen Produkten. Nach ständiger Spruchpraxis des Presserats – gerade auch zu Artikeln über freiverkäufliche Kosmetikprodukte – ist der mit einer solchen Hervorhebung verbundene werbliche Effekt strikt zu vermeiden. Im beanstandeten Beitrag überschreitet die Redaktion hingegen deutlich die Grenze zur Schleichwerbung.

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Wer scharf kritisiert wird, muss Gelegenheit zur Stellungnahme bekommen

Eine Tageszeitung berichtet in mehreren Beiträgen über einen Sorgerechtsstreit nach einer Trennung der Eltern. Es geht dabei um einen Zehnjährigen. In den Beiträgen wird eine namentlich genannte Diplom-Psychologin kritisiert. Als gerichtlich beauftragte Gutachterin hatte sie dem Familiengericht mit Erfolg empfohlen, dass der Junge gegen seinen Willen seinen Lebensmittelpunkt beim Vater haben solle. Die Zeitung zitiert die Vorwürfe der Mutter, wonach der Vater sie während ihrer Beziehung geschlagen und vergewaltigt habe. Sogar die Rechtsanwältin des Mannes habe dessen frühere Gewalt eingeräumt, finde allerdings, dass die Vergangenheit „irgendwann einmal ruhen“ müsse. Doch für die Mutter, so die Zeitung, „bleibt die vergangene Gewalterfahrung gegenwärtig“. Die vom Familiengericht beauftragte Gutachterin mache ihr das zum Vorwurf, „dreht einen Strick draus“. In ihrem Gutachten schreibe sie: „Die Mutter hat die vergangene Paarbeziehung nicht ausreichend bewältigt“. Sie sei nur eingeschränkt erziehungsfähig, während der Vater ein stabiles und positives Verhältnis zu dem Jungen habe. Die Zeitung zitiert auch aus einem Gegengutachten, das die Mutter bei einem Professor für angewandte Psychologie angefordert habe. Er nehme das Gutachten der Diplom-Psychologin „nach Strich und Faden auseinander“ und halte sie für nicht ausreichend qualifiziert, um den Auftrag des Gerichts zu erfüllen. – Die kritisierte Psychologin beschwert sich beim Presserat darüber, dass die Zeitung gegen die Sorgfaltspflicht und gegen das Persönlichkeitsrecht verstoßen habe. Die Berichterstattung basiere ausschließlich auf den Angaben der Mutter. Die Aussage, dass deren Ex-Mann sie geschlagen und vergewaltigt habe, sei nicht belegt. Dadurch entstehe ein völlig falsches Bild. Außerdem seien Zitate aus dem Gutachten aus dem Zusammenhang gerissen worden. So werde die Sicht des Journalisten bestätigt, dass die Mutter Opfer einer unfähigen Sachverständigen geworden sei. Die Empfehlung, dem Willen des Kindes nicht zu folgen, sei ausführlich im Gutachten begründet worden. Die Gründe hierfür seien glücklicherweise nicht publik gemacht worden. Das hätte dem Kind großen Schaden zugefügt, so die Beschwerdeführerin. – Der Chefredakteur erläutert in seiner Stellungnahme, dass dem Verfasser der Beiträge sämtliche Gerichtsentscheidungen zu dem Sorgerechtsstreit, zahlreiche weitere Dokumente der beteiligten Stellen sowie die beiden widerstreitenden Gutachten vorgelegen hätten. Der Redakteur habe sorgfältig gearbeitet, eher Tausende als Hunderte Seiten gesichtet, ausgewertet, dargestellt und, wo es ihm nötig erschienen sei, bewertet oder Wertungen Dritter wiedergegeben. Dass die Zeitung die Gutachterin nicht um eine Stellungnahme gebeten habe, begründet der Chefredakteur damit, dass eine Anfrage nur Alibicharakter gehabt hätte. Denn die Gutachterin betone selbst, dass Kindschaftssachen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden sollten. Es sei eindeutig, dass sie keine Fragen zum konkreten Fall beantwortet hätte. Alle interessierenden Fragen habe sie bereits in ihrem rund hundertseitigen Gutachten beantwortet, das der Redakteur intensiv gelesen habe. – Der Beschwerdeausschuss bescheinigt der Zeitung, dass der Redakteur sorgfältig recherchiert hat. Seine Tatsachenbehauptungen sind vom Sachverhalt gedeckt, und für seine Meinungsäußerungen gibt es hinreichend tatsächliche Anknüpfungspunkte. Unter diesem Aspekt liegt also kein Sorgfaltsverstoß nach Ziffer 2 des Pressekodex vor. Dennoch spricht der Ausschuss eine öffentliche Rüge aus, denn die Zeitung hätte der Gutachterin eine Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen. Die massive Kritik an ihrer Qualifikation ist geeignet, ihre Reputation und ihre berufliche Existenz zu gefährden. Insoweit wäre es nach Ziffer 2 zwingend notwendig gewesen, sie vorab hiermit zu konfrontieren. - Bereits in der Vorprüfung des Falles hatte der Presserat festgestellt, dass die Zeitung den Namen der Gutachterin nennen durfte und somit nicht gegen Ziffer 8 (Schutz der Persönlichkeit) verstoßen hat. Denn über Personen, die an der Rechtspflege beteiligt sind, darf in der Regel identifizierend berichtet werden, wenn sie ihre Funktion ausüben.

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Überschrift suggeriert einen nicht vorhandenen Kausalzusammenhang

„DHL übernimmt türkischen Paketdienst – sofort werden Mitarbeiter wegen Fehlverhaltens entlassen“: Unter dieser Überschrift berichtet das Onlineportal eines großen Zeitungsverlags über die beschlossene, aber noch nicht endgültig vollzogene Übernahme eines türkischen Paketdienstleisters durch die DHL. „Doch direkt zum Start der Übernahme“, so das Portal weiter, „kam es zu einem unschönen Zwischenfall mit drastischen Konsequenzen“: Ein Video zeige drei Mitarbeiter der türkischen Firma dabei, wie sie Pakete rücksichtslos in ihr Lieferfahrzeug werfen. Nachdem das Video in den sozialen Medien für Aufruhr gesorgt habe, seien die drei entlassen worden, wie das türkische Unternehmen kurz danach mitgeteilt habe. - Der Beschwerdeführer kritisiert, die Überschrift suggeriere einen Zusammenhang zwischen der Entlassung und der geplanten Übernahme durch DHL. Dieser Zusammenhang bestehe nicht, denn die Freigabe durch die türkische Kartellbehörde stehe noch aus. Es handele sich um einen bloßen zeitlichen Zufall. – Das Onlineportal entgegnet, die Überschrift dürfe nicht losgelöst vom Kontext des Artikels bewertet werden. Der Artikel berichte von zwei Sachverhaltskomplexen, nämlich der geplanten Übernahme und der Entlassung. Auch wenn zwischen beiden Ereignissen keine kausale Beziehung bestehe, so liege doch ein zeitlicher Zusammenhang vor. In dem Artikel werde aber eindeutig erwähnt, dass noch ein letzter Schritt bis zur Übernahme fehle. Dadurch werde zweifelsfrei klargestellt, dass DHL nichts mit der Entlassung zu tun habe. Allein aus der Überschrift ergebe sich zudem, dass die Entlassungen nicht wegen der anstehenden Firmenübernahme, sondern „wegen Fehlverhaltens" erfolgten. – Der Beschwerdeausschuss spricht eine öffentliche Rüge aus, denn die Redaktion hat gegen die journalistische Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex verstoßen. Die Überschrift suggeriert einen zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang zwischen der Übernahme des Paketdienstleisters und den Entlassungen, vor allem durch die Formulierung „sofort“. Erst im Text wird korrekt dargestellt, dass zum Zeitpunkt der Kündigungen die Übernahme noch nicht vollzogen war und die Kündigungen aufgrund von Fehlverhalten erfolgten. Die verkürzte Überschrift hätte vor der Veröffentlichung sorgfältiger geprüft werden müssen.

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Schleichwerbung für Schönheitschirurgin, Dirndl-Designerin und trägerlosen BH

Eine Boulevardzeitung berichtet online darüber, wie sich zwei TV-Prominente als Vorbereitung auf das nächste Oktoberfest bei einer Münchner Schönheitschirurgin operieren lassen. Die Behandlung und das Angebot der Ärztin werden ausführlich und positiv beschrieben. Der Artikel enthält zudem Hinweise auf eine Dirndl-Designerin und einen BH-Hersteller. - Der Beschwerdeführer sieht in der Veröffentlichung Schleichwerbung. - Die Zeitung entgegnet, die Berichterstattung sei in einer für Promi- und Boulevardthemen angemessenen Art und Weise erfolgt. Der Beitrag sei ausschließlich unter redaktionellen Gesichtspunkten entstanden, und die Zeitung habe dafür weder Geld noch geldwerte Leistungen erhalten. Ein allenfalls vorhandener Werbeeffekt sei durch ein begründetes öffentliches Interesse hinreichend gedeckt. Bei ihrer umfassenden Vorberichterstattung zum diesjährigen Oktoberfest habe das Leute-Ressort auch darüber berichten wollen, wie sich Promis auf die Wiesn vorbereiten. Das massive öffentliche Interesse an diesen Themen drücke sich auch in den Suchanfragen bei Google aus. Im konkreten Fall habe sich die Redaktion an eine regionale Prominente gewandt. Dabei habe der Reporter erfahren, dass sie und ihr prominenter Verlobter sich einer kleineren Schönheits-OP unterziehen wollten. Er habe die beiden begleiten dürfen. Bei dem Termin habe der Reporter wissen wollen, wieso unter dem Dirndl der Frau kein BH zu erkennen sei. Die zitierte Antwort: „Meinen BH von (…) sieht man nicht. Er ist trägerlos und hat in der Mitte keine Verbindungsstelle. Bei Rückenfrei oder Dirndl mit Spitzenblusen ist das ein echter Wiesn-Geheimtipp." Dies stelle eine überwiegend sachliche Beschreibung dar, ohne typisch werbliche Elemente. Außerdem enthalte der genannte BH offensichtlich ein Alleinstellungsmerkmal. Dass in einem weiteren Zitat auch der Name der Dirndl-Designerin erwähnt wurde, sei in einem rein sachlichen Zusammenhang ohne einen werblichen Charakter erfolgt. Als Nachrichtenwert komme noch hinzu, dass die Designerin ebenfalls Promi-Status genieße. Auch hinter der Berichterstattung über die Schönheits-OPs stehe ein entsprechender Nachrichtenwert, denn solche Eingriffe erlebten alljährlich vor dem Oktoberfest einen Nachfrage¬schub, und das Thema stoße auf großes öffentliches Interesse. Die Zeitung habe darüber sachlich berichtet, ohne übertrieben anpreisende Ausführungen. Bei einer vergleichbaren Berichterstattung über Schönheits-Operationen während der Corona-Pandemie habe der Presserat die Nennung des Operateurs nicht beanstandet. Nach Ansicht der Zeitung würde es einer ungerechtfertigten Beschränkung der Presse gleichkommen, wenn sie nur noch ohne jegliche namentliche Nennung des Arztes über Schönheits-Operationen berichten dürfte. - Der Beschwerdeausschuss spricht eine öffentliche Rüge aus, denn der Bericht verletzt die in Ziffer 7 des Pressekodex festgeschriebene klare Trennung von Redaktion und Werbung. Zwar dürften die Vorbereitungen von Prominenten auf das Oktoberfest zumindest bei einem Teil der Leser auf Interesse stoßen, so dass eine Berichterstattung darüber grundsätzlich nicht zu beanstanden ist. Im konkreten Fall wird jedoch die Grenze zur Schleichwerbung deutlich überschritten. Die ausführliche Vorstellung der Schönheitschirurgin und ihrer Behandlungsmethoden sowie die Hinweise auf eine konkrete Dirndl-Designerin und einen bestimmten BH – für dessen Hersteller die Trägerin als Testimonial tätig ist – sind nicht mehr durch ein öffentliches Interesse gedeckt.

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Getötete „Sex-Sklavin“ ist keine Person des öffentlichen Lebens

Unter dem Titel „Sex-Sklavin (37) erstochen" berichtet eine Boulevardzeitung online über eine Frau, die über ein in der Sadomaso-Szene beliebtes Portal einen Mann kennengelernt, ihn geheiratet und 2022 mit ihm einen „Sklavenvertrag" geschlossen habe. Als sie sich von ihm trennte, soll der „Herr“ seine „Sklavin" ermordet haben. Zu dem Beitrag gehörten ein zunächst unverpixeltes Foto der Getöteten und ein Foto des verdächtigten Ehemannes. Es zeigt ihn mit einem Hund posierend. Seine Augenpartie ist mit einem schwarzen Balken verdeckt. - Ein Beschwerdeführer sieht die Ehre des Opfers verletzt, da die Frau als Sexsklavin betitelt wird. Dieser Begriff sei negativ besetzt und würdige das Opfer herab. Ein weiterer Beschwerdeführer kritisiert, dass die Frau unverpixelt gezeigt wurde. - Der Presserat beschränkt das Verfahren in der Vorprüfung des Falles auf mögliche Verstöße gegen den Persönlichkeitsschutz nach Ziffer 8 des Pressekodex, erweitert es aber auf die Abbildung des mutmaßlichen Täters. - Die Zeitung bestreitet einen Verstoß gegen Persönlichkeitsrechte. Sie habe die Identität des Opfers besonders geschützt: Der Name sei abgekürzt und das Foto verpixelt worden, zumindest später. Dabei wäre sogar eine identifizierende Berichterstattung zulässig gewesen, meint die Zeitung und beruft sich dabei auf Richtlinie 8.2 des Pressekodex, wonach Name und Foto eines Opfers veröffentlicht werden dürfen, wenn es sich dabei „um eine Person des öffentlichen Lebens handelt“. Nicht nur Bürgermeister oder Fußballtrainer seien öffentliche Personen, meint die Zeitung, sondern auch solche, die anderweitig in den Fokus der Öffentlichkeit gerieten. Im vorliegenden Fall gehe es um einen vergleichsweise kleinen Ort. Die Identität des Opfers einer derart bizarren und ungewöhnlichen Straftat werde sich dort bereits wie ein Lauffeuer herumgesprochen hoben, noch bevor die Zeitung berichtet habe. Deshalb sei eine Ent-Anonymisierung des Opfers durch die Berichterstattung schon denklogisch nicht (mehr) möglich gewesen. Um die Angehörigen nicht erneut leiden zu lassen, habe die Redaktion extra kein Foto der bereits Ermordeten verwendet, sondern ein neutrales Bild, das die Frau selbst in Social-Media-Kanälen veröffentlicht habe. Versehentlich sei das Foto wohl für kurze Zeit unverpixelt gezeigt worden. Die Redaktion bitte dafür um Entschuldigung, habe diesen kleinen presseethischen Fehler aber umgehend korrigiert. Außerdem habe sie die Überschrift später neutralisiert, indem sie die Bezeichnung „Sex-Sklavin“ durch „Sanitäterin“ ersetzt habe. Sollte der Presserat die Beschwerden trotzdem für begründet halten, sollte er zumindest auf die Verhängung einer Maßnahme verzichten. - Der Beschwerdeausschuss beschließt einstimmig eine öffentliche Rüge wegen Verstößen gegen den Persönlichkeitsschutz sowohl hinsichtlich des Opfers als auch des mutmaßlichen Täters. Wegen der Veröffentlichung des zunächst unverpixelten Opferfotos war die Frau für die breite Öffentlichkeit - und nicht nur für das lokale Umfeld - identifizierbar. Im Übrigen halten die Ausschussmitglieder das Opfer auch auf dem später verpixelten Foto für noch erkennbar. Auch der mutmaßliche Täter ist trotz Augenbalkens aufgrund seiner Gesichtszüge und Körpergestalt identifizierbar. Die Zeitung hat auch keine tragfähigen Argumente dafür vorgetragen, dass es sich bei den beiden um sogenannte Lokalprominenz handele, was eine identifizierende Berichterstattung hätte rechtfertigen können. Dass die beiden durch den Todesfall zum Gesprächsstoff in der Stadt geworden sind, reicht dafür nicht aus.

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Neben dem Tatverdächtigen auch seine Familienmitglieder identifizierbar gemacht

Das Onlineportal eines Nachrichtenmagazins informiert ausführlich über die Polizeifahndung nach einem namentlich genannten 42-Jährigen, der eine Jugendliche getötet und eine Erwachsene schwer verletzt haben soll. Unter dem Titel „Mädchen (17) tot, Frau verletzt - was wir über den gesuchten Landwirt wissen“ beschreibt die Redaktion den Gesuchten und erwähnt dabei auch, dass er bereits wegen Gewaltdelikten vorbestraft sei. Etwa die Hälfte des Artikels befasst sich detailliert mit dem Bauernhof, den der Gesuchte offenbar gemeinsam mit seiner Familie betreibt. Dort würden auch Weihnachtsbäume verkauft sowie Weihnachtsmärkte veranstaltet. Die Familienmitglieder werden dabei mit vollem Namen genannt. - Der Beschwerdeführer beanstandet eine Verletzung des Persönlichkeitsschutzes der Familienmitglieder. Sie würden identifizierbar, obwohl kein öffentliches Interesse bestehe, das ihren Persönlichkeitsschutz überwiege. - Die Redaktion erwidert, dass es wegen der Fahndung gerechtfertigt gewesen sei, alle vorliegenden Informationen zu dem Gesuchten zu verbreiten. Es sei nie möglich, im Vorhinein sicher zu beurteilen, welche Einzelheiten für die Fahndung relevant werden könnten. Wenn der Verdächtige beispielsweise gegenüber einem Dritten Angaben zu seinem Beruf oder seinen Familienverhältnissen mache, könne dieser Dritte vielleicht eine Verbindung zum Fahndungsaufruf herstellen und die Fahndung zum Erfolg führen. Dass ein Fahndungsaufruf auch Rückschlüsse auf Familienmitglieder ermögliche, liege in der Natur der Sache und sei unvermeidlich. Die Redaktion habe aber nur solche Fakten mitgeteilt, die ohnehin allgemein öffentlich zugänglich seien. Trotzdem habe die Redaktion die Beschwerde zum Anlass genommen, künftig noch genauer zu überprüfen, ob in solchen Fällen weniger detailliert berichtet werden könne, um Familienmitglieder nicht mehr als nötig zu belasten. Außerdem stehe der Artikel inzwischen nicht mehr online. - Der Beschwerdeausschuss spricht eine öffentliche Rüge aus, weil die Berichterstattung den in Ziffer 8 des Pressekodex festgeschriebenen Schutz der Persönlichkeit verletzt hat. Dass die Redaktion die Namen der Verwandten genannt hat, ist nicht durch ein öffentliches Interesse gedeckt. Wenn Familienangehörige nichts mit dem eigentlichen Gegenstand der Berichterstattung zu tun haben, ist die Nennung ihres Namens in der Regel unzulässig. Eine Ausnahme von dieser Regelung ist im konkreten Fall nicht erkennbar, so dass hier eine deutliche Verletzung des Persönlichkeitsschutzes vorliegt.

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Foto eines Sterbenden verletzt die Menschenwürde

Eine Boulevardzeitung berichtet online über einen Autounfall, bei dem der 83-jährige Fahrer im Auto eingeklemmt wurde. Ein Foto zeigt, wie ein Rettungssanitäter den im Autowrack sitzenden Unfallfahrer versorgt, dessen Gesicht verpixelt ist. Im Beitrag heißt es: „Es ist ein Bild, das zu Herzen geht: Ein Retter hält die Hand eines Verunglückten, der in seinem Auto eingeklemmt ist. Er spricht ihm Mut zu. Obwohl er weiß, dass er dem Mann nicht mehr helfen kann. Wenig später ist der Unfallfahrer tot.“ - Die Beschwerdeführerin kritisiert, dass die Redaktion das teilweise verpixelte Foto eines sterbenden Unfallopfers zeige. Die Redaktion missachte damit die Menschenwürde und den Schutz der Persönlichkeit. - Die Zeitung weist die Vorwürfe zurück. Das Opfer sei auf dem Foto vollständig unkenntlich gemacht worden. Der „keineswegs reißerisch, sondern einfühlsam formulierte Beitrag“ dokumentiere einen „Moment großer Menschlichkeit in der Arbeit von Rettungskräften“. Es gehe in dem Artikel nicht um die Person des anonymisierten Opfers, sondern um die berührende Menschlichkeit und Warmherzigkeit, die der Retter dem Opfer zuteilwerden lasse, um ihm in den letzten Momenten seines Lebens Hoffnung und Geborgenheit zu vermitteln. Die Berichterstattung zeige, welch schweren und zugleich wichtigen Job die Rettungskräfte verrichteten. Ohne Zweifel bestehe daran ein öffentliches Berichterstattungsinteresse. - Der Beschwerdeausschuss spricht eine öffentliche Rüge aus. Ausschlaggebend hierfür ist das Foto in Verbindung mit der Überschrift „Sanitäter hält die Hand des sterbenden Opfers“. Dadurch werden die Leserinnen und Leser dazu eingeladen, am Moment des Sterbens teilzuhaben. Trotz der Verpixelung ist diese Darstellung mit dem Schutz der Menschenwürde nach Ziffer 1 des Pressekodex nicht vereinbar und geht über die Grenzen des öffentlichen Interesses hinaus. Auch mit Blick auf die Gefühle der Angehörigen des Opfers war die Darstellung zu beanstanden. Das nachvollziehbare Anliegen der Redaktion, die bedeutsame Arbeit der Rettungskräfte zu dokumentieren, muss bei dem Foto gegenüber der Achtung vor der Menschenwürde zurückstehen.

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„Reinrassig“ ist diskriminierend

In einer Kolumne eines Online-Sportportals setzt sich der Autor dafür ein, den erfolgreichen FC-Bayern-Mittelstürmer Mathys Tel in Deutschland einzubürgern, damit er in der Nationalmannschaft spielen kann. Eine Textpassage lautet: „Das Gute vorweg: Tel ist gar kein reinrassiger Franzose, seine Eltern stammen von der Karibik-Insel Guadeloupe, einem Übersee-Department.“ – Der Beschwerdeführer kritisiert diese Textpassage. Sie verstoße gegen die Menschenwürde und diskriminiere Franzosen mit Migrationshintergrund unter Verwendung einer der Rassenlehre angelehnten Sprache. – Der Verlag entgegnet, dass die Wortwahl „reinrassig“ für sich genommen in Deutschland aus historischen Gründen kritisch zu sehen sein möge. Aber hier werde das Adjektiv erkennbar anders gemeint verwendet, mit keinerlei Bezügen etwa zu nationalsozialistisch-rassistischem Gedankengut. Das Wort werde lediglich als Synonym für „gebürtig“ oder auch „waschecht“ eingesetzt. Nicht gemeint sei hingegen die Zugehörigkeit zu einer „Franzosen-Rasse" im Sinne einer ausgrenzenden „Rassenlehre“. Im Gegenteil: Der Autor schwärme von dem Fußballer und schlage seine Einbürgerung vor. Außerdem müsse der satirische Charakter des Artikels berücksichtigt werden. Es handele sich um eine überspitzte, aber mitnichten ausgrenzend-diskriminierend gemeinte Meinungsäußerung. Um jegliche Missverständnisse von vornherein zu vermeiden, sei die unbedachte Formulierung bereits wenige Stunden nach ihrer Publizierung geändert worden. - Der Beschwerdeausschuss beschließt einstimmig eine öffentliche Rüge wegen der Formulierung „reinrassiger Franzose“, die die Herkunft des Fußballspielers beschreibt. Seine Zuordnung zu einer Rasse stellt eine Diskriminierung dar und verletzt die Ziffer 12 des Pressekodex, nach der niemand wegen seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden darf. Die Kolumne überschreitet damit die Grenzen der Meinungsfreiheit.

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