Entscheidungen finden

Wie hat der Presserat entschieden?

Rüge, Missbilligung oder Hinweis, wie hat der Presserat entschieden? Hier können Sie online in der Spruchpraxis des Presserats eine Auswahl an Beschwerdefällen von 1985 bis heute recherchieren.

Bitte beachten: Im Volltext abrufbar sind nur Entscheidungen mit den Aktenzeichen ab 2024, z.B. 0123/24/3-BA!
Sie müssen dazu immer das volle Aktenzeichen eingeben, also 0123/24/3-BA.

Nach detaillierten Richtlinien (z.B. 8.1) können Sie erst ab den Fällen aus 2024 recherchieren. Ältere Fälle werden nur unter der entsprechenden Ziffer (z.B. 8) angezeigt.

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Entscheidungsjahr
7055 Entscheidungen

Nicht allein an Rechtsbegriff gebunden

Eine Boulevardzeitung titelt “Mosis Mörder – Die Geliebte spricht über die Tatnacht”. Die Zeitung berichtet über den Auftritt der Frau vor Gericht und schreibt: “Gestern sagte im Mosi-Prozess die Freundin Maria G. des Mörders Herisch A. aus”. Der Beschwerdeführer – ein Leser der Zeitung – moniert eine Verletzung der Ziffer 13 des Pressekodex. Auch wenn der Angeklagte ein Geständnis abgelegt habe, bestehe noch keine rechtskräftige Verurteilung. Somit liege eine Vorverurteilung vor. Er schaltet den Deutschen Presserat ein. Die Zeitung hat zu dieser Beschwerde keine Stellungnahme abgeben. (2005)

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Leichenfotos

Unter dem Titel „Wand aus Wasser“ beschreibt ein Nachrichtenmagazin die Jahrhundertkatastrophe rund um den Indischen Ozean. Der Beitrag ist mit verschiedenen Fotos aus dem Katastrophengebiet illustriert. Ein Foto zeigt 17 aufgedunsene, teilweise nackte Leichen am Strand von Khao Lak. Persönliche Merkmale sind nicht zu erkennen. Die Unterzeile lautet: „Szenen aus der biblischen Endzeit“. Auf einem anderen Bild sind Thailänder mit Mundschutz zu sehen, die in Takua Pa bei der Identifizierung von Angehörigen durch ein Labyrinth von Särgen gehen. Die Leichen sind allesamt nicht erkennbar. Es sind lediglich herausragende Extremitäten zu erkennen. Das Bild trägt den Vermerk „Tote und Tote, überall Tote“. Eine Leserin des Magazins wendet sich an den Deutschen Presserat. Mit der Wiedergabe der Bilder werde eindeutig gegen die Würde des Menschen verstoßen. In Gesprächen mit zahlreichen Personen habe sie erfahren, dass ihre Empörung über die unangemessene sensationelle Darstellung der Opfer von vielen Menschen geteilt werde. Dass es angemessenere Möglichkeiten gäbe, das unermessliche Leid der Opfer der Flutkatastrophe deutlich zu machen, ohne die Würde der Getöteten zu verletzen, beweise die Zeitschrift in der selben Ausgabe mit dem Foto einer Inderin, die mit ausgestreckten Händen im Sand des Strandes kauert. Neben der Trauernden ragt der Arm eines Toten ins Bild. (Diese Foto wurde inzwischen als „Welt-Presse-Foto“ des Jahres 2004 ausgezeichnet.) Das Justitiariat des Magazins rechtfertigt in seiner Stellungnahme die Veröffentlichung der Fotos mit einem außergewöhnlichen Interesse der Öffentlichkeit an Informationen über ein Jahrhundertereignis. Das Phänomen des Tsunami sei bis dahin außer in Fachkreisen weitestgehend unbekannt gewesen, sodass jeder entsprechenden Bildberichterstattung eine überragende nachrichtliche, informative und dokumentarische Bedeutung zukomme. Das Foto von Khao Lak zeige eindringlich die bisher nicht gekannte, unvorstellbare Kraft einer Flutwelle, die alles zu Spülmaterial gemacht habe, was sie erfasst habe. Das Bild erlaube weder eine Identifizierung noch sei es sensationslüsternd oder herabwürdigend. Das Foto aus Takua Pa habe vorwiegend nachrichtlichen Charakter. Es zeige die verzweifelte Aufgabe der Überlebenden, ihre toten Verwandten zu finden und zu identifizieren. Der direkte Blick aus der Nähe auf die Opfer in den Särgen sei vom Fotografen vermieden worden. Solche Bilder führten dem Betrachter eindringlich vor Augen, dass bei der Suche und Bergung von Opfern keiner der bisher normalen Maßstäbe galt. Dem Verständnis von Traumatisierungen und schweren psychischen Schäden von Heimgekehrten seien entsprechende Bilder sicher förderlich. Insgesamt, so das Justitiariat, hätten solche Bilder auch zu einer bislang einzigartigen Welle der Solidarität und Spendenbereitschaft geführt. (2005)

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Werbung für einen Politiker

Eine Lokalzeitung veröffentlicht auf ihrer ersten Seite neben dem Titel den folgenden Text: “Die SPD verspricht eine Elite-Uni, um von ihren Kürzungen im Hochschulbereich abzulenken. Das ist zynisch!” Unter dem Text befindet sich die E-Mail-Adresse eines heimischen Bundestagsabgeordneten. Ein Leser des Blattes beschwert sich beim Deutschen Presserat. Er ist der Ansicht, dass die Anzeige für den Leser nicht als Werbung erkennbar sei. Sie sei nicht als solche gekennzeichnet. Auf der gegenüberliegenden Seite des Titels befinde sich ein Hinweis auf eine redaktionelle Veröffentlichung in ähnlicher Größe und Form. Die Anzeige enthalte zur Kennzeichnung des Auftraggebers lediglich eine Internetadresse, die keine Rückschlüsse auf die Parteizugehörigkeit des Auftraggebers zulasse. Der Slogan in der letzten Zeile lege nahe, dass der Autor diese Anzeige in seiner Eigenschaft als Abgeordneter der CDU aufgegeben habe. Das Internet sei aber ein Medium, das längst nicht allen Lesern zugänglich sei, vor allem Senioren nicht. Für diese Bürger sei es unter Umständen nicht möglich, diesen Zusammenhang zu erkennen. Deshalb müsse bei politischer Werbung die Einhaltung der werberechtlichen Regelungen besonders aufmerksam beachtet werden. Die Chefredaktion der Zeitung ist der Meinung, dass die beanstandete Anzeige als solche erkennbar sei. Dafür spreche die Platzierung rechts neben dem Zeitungsartikel, die Gestaltung und die Autorenschaft des bekannten Politikers. Um Missverständnisse künftig auszuräumen, werde man aber in Absprache mit der Anzeigenleitung von der nächsten Schaltung an den Werbecharakter durch den Hinweis “Anzeige” deutlich machen. (2004)

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Foto eines Sterbenden

Unter der Überschrift “Hier stirbt ein Fußballstar” veröffentlicht eine Boulevardzeitung ein Farbfoto des 24-jährigen ungarischen Nationalstürmers Miklos Feher, der in der 90. Minute des Spiels seines Clubs Benfica Lissabon gegen Vitoria Guimaraes tot zusammengebrochen war. Die Aufnahme zeigt das Gesicht des Toten: Seine Augen starren ins Leere. Im Blattinnern wird das Bild in noch größerer Aufmachung wiedergegeben. Eine Regionalausgabe des Blattes zeigt das Foto mit der eingeklinkten Schlagzeile “Hier stirbt Herthas Hoffnung”. Im Text von Gesamt- und Regionalausgabe wird erwähnt, dass der junge Ungar der Wunschstürmer von Hertha BSC Berlin gewesen sei. Die Veröffentlichung des Fotos löst sieben Beschwerden beim Deutschen Presserat aus. Alle Beschwerdeführer monieren, dass das Foto eines unmittelbar sterbenden Menschen unter den genannten Überschriften veröffentlicht wurde. Das Sterben als wohl letzten intimen Moment im Leben eines Menschen öffentlich zu machen, sei ein Verstoß gegen die Menschenwürde. Ein sterbender Mensch habe Anspruch, nicht das Objekt reißerischer Berichterstattung zu sein. Es könne nicht angehen, dass der Tod eines Menschen für eine Steigerung der Auflage missbraucht werde, stellt eine Leserin zu der Veröffentlichung in der Regionalausgabe fest. Es sei dabei anscheinend nicht mehr um den Menschen selbst, sondern nur noch um seine Funktion als “Herthas Hoffnung” gegangen. Das Foto sollte wie in anderen Printmedien allein als Dokumentation verstanden und entsprechend verwendet werden. Die Rechtsabteilung des Verlages hält die Berichterstattung in Wort und Bild auf Grund der besonderen Umstände des Vorfalles für gerechtfertigt. Die Veröffentlichung sei weder reißerisch noch sensationslüstern und stelle auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in die Intimsphäre des Betroffenen dar. Der Fußballer habe sich zum Zeitpunkt seines Zusammenbruchs nicht in den Grenzen seiner geschützten Intimsphäre bewegt. Die Beschwerdeführer verkennen nach Ansicht der Rechtsabteilung, dass der Sportler während eines im Fernsehen öffentlich übertragenen Fußballspiels zusammengebrochen und später an den Folgen eines Herzversagens gestorben sei. Die Bilder dieses tragischen Unfalls seien kurze Zeit später durch alle Medien gegangen. Die Presse handele in Erfüllung ihres öffentlichen Informationsauftrages, wenn sie über den unerwarteten Tod eines bekannten Sportlers in dieser Form berichte. (2004)

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Fotografiert mit Zustimmung

Eine Elterninitiative fordert die Sicherung eines von Grundschülern genutzten Zebrastreifens. Die Zeitung am Ort berichtet über eine Sitzung des Verkehrsausschusses, in der über die Anregung der Eltern diskutiert worden ist. Es geht um die Frage, ob der Übergang verlegt werden kann, ob eine Ampel installiert oder eine Mittelinsel angelegt werden sollte. Die Zeitung teilt mit, dass die Elternforderung auf tönernen Füßen stehe, die Polizei der Elterninitiative widerspreche und es Zweifel an den vorgelegten Beweisen gebe. Zitiert wird ein Kommunalpolitiker, der gesehen haben will, wie die siebenjährige Tochter des Sprechers der Initiative über den Zebrastreifen hin und her geschickt worden sei. Vermutungen, viele der 700 Strafanzeigen seien auf diese Weise getürkt worden, widerspricht laut Zeitung die Mutter des Kindes. Ein Foto zeigt Mutter und Tochter an besagtem Zebrastreifen. Vier Wochen später berichtet die Zeitung erneut über den Streit, der inzwischen auch Juristen beschäftige. So fordere jetzt die beschuldigte Frau den heimischen Verkehrspolitiker unter Androhung einer Vertragsstrafe auf, die Behauptung zu unterlassen, sie habe ihre Tochter mehrfach über den Zebrastreifen hin und hergeschickt, um möglichst viele Autofahrer anzeigen können. Der maßgebliche Betreiber der Elterninitiative, Ehemann der zitierten Frau, Vater des angeblich über den Zebrastreifen hin und hergeschickten Kindes, wendet sich an den Deutschen Presserat. Er sieht in der Berichterstattung der Zeitung eine Vielzahl falscher Behauptungen. Zudem kritisiert er die Veröffentlichung des Bildes seiner Tochter und die Nennung des vollen Namens. Auch hält er den Inhalt zweier Leserbriefe, welche die Zeitung zu dem Vorgang veröffentlicht hat, für unwahr und ehrverletzend. Die Rechtsabteilung der Zeitung weist den Vorwurf einer falschen Berichterstattung als unzutreffend zurück. Die Zeitung habe stets korrekt das wiedergegeben, was sie bei ihrer Recherche erfahren habe. Schließlich habe sie dem Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben, in einem dreispaltigen Leserbrief unter der Überschrift „Ich bleibe bei meiner Darstellung“ seine Sicht der Dinge darzulegen. Auf Grund ihrer Aktionen in der Elterninitiative und ihrer vielfältigen Auftritte sei die Familie des Beschwerdeführers im Ort so prominent, dass man die Nennung ihres Namens für gerechtfertigt halte. Dies gelte auch für die Veröffentlichung des Bildes, welches die Ehefrau des Beschwerdeführers mit der gemeinsamen Tochter am Zebrastreifen zeige. Beide hätten gegen das Fotografiertwerden und eine Veröffentlichung des Bildes nichts einzuwenden gehabt. (2004)

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Fotomontage

Unter Hinweis auf Planungen der Kieler Landesregierung zeigt eine Boulevardzeitung ein großformatiges Foto vom Timmendorfer Strand, in das sie eine lange Reihe von Riesen-Windrädern montiert hat. So wie auf dieser Montage könnte es bald an der Lübecker Bucht aussehen, stellt das Blatt in der Bildunterzeile fest. Und in der Schlagzeile wird die Frage gestellt: „Würden Sie da noch Urlaub machen?“. Der Landesverband Hamburg des Bundesverbandes Windenergie sieht in der Darstellung eine verzerrende Berichterstattung und schaltet den Deutschen Presserat ein. Die Energiewende sei zu wichtig, als dass unsachgemäßer Journalismus – ohne vorherige Kontakte zu Fachleuten – die Bevölkerung verunsichere. Die Rechtsabteilung des Verlages stellt dazu fest, dass der Artikel die Sorgen beliebter Tourismusorte an der Ostseeküste aufgreife, durch die Errichtung von Windkraftwerken an der Küste Umsatzeinbußen zu erleiden. So sei z.B. der Timmendorfer Bürgermeister der Ansicht, dass eine solche Anlage nicht in ein Urlaubsgebiet gehöre. Der Bürgermeister von Dahme habe sich dahingehend geäußert, dass die Windräder vom Strand aus zu sehen seien, und die Frage gestellt, wie die Landesregierung der Stadt so etwas vor die Nase setzen könne. Diese Diskussion habe die Redaktion aufgegriffen und im Rahmen einer Fotomontage aufgezeigt, wie es in der Lübecker Bucht bald aussehen könnte. Die Montage sei nicht nur als solche gekennzeichnet, es werde auch aufgezeigt, dass es in Timmendorf so aussehen könnte, nicht jedoch so aussehen müsse. Auf Nachfrage des Presserats teilt die Rechtsabteilung mit, dass es sich nicht mehr genau feststellen lasse, ob die Redaktion bei der Erstellung der Fotomontage das genaue Planungsvorhaben zu der Windkraftanlage unter Berücksichtigung der Gesetze von Optik und Perspektive zu Grunde gelegt hat. Man vermute aber, dass dies geschehen sei, denn nicht umsonst hätten sich die Bürgermeister von Timmendorf und Dahme entsetzt über das Projekt gezeigt. (2003)

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Fotoretusche

Eine Lokalzeitung berichtet über den Besuch der Frauen-Union des Kreises in einem Seniorenzentrum der Region. Dem Beitrag ist ein dreispaltiges Foto beigestellt, dass die Gäste bei einem Rundgang durch das Haus mit Senioren und der Leiterin des Zentrums zeigt. Der Bürgermeister der Stadt beklagt sich beim Deutschen Presserat, dass der Kandidat der CDU für die anstehende Bürgermeisterwahl, der sich an der Führung durch das Zentrum beteiligt hatte, aus dem Foto wegretuschiert worden sei. Als Beweis fügt er eine Veröffentlichung in der Konkurrenzzeitung vom selben Tag mit dem selben Foto bei, auf dem der Betroffene zu sehen ist. Die Zeitung teilt mit, dass sie seit Jahresbeginn einen neuen Eigentümer habe und der bis dahin tätige Chefredakteur in Urlaub sei. Dieser werde seine Stellungnahme später abgeben. (2003)

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Kritik am Oberbürgermeister

Eine Regionalzeitung berichtet über Aufbruchstimmung im Ort, seitdem der frühere Oberbürgermeister abgewählt worden sei. Wenn der Gemeinderat in den nächsten Wochen die Pläne für ein exklusives Einkaufszentrum absegne, sei die Stadt endgültig in der Zukunft angekommen. Der unrühmlich abgewählte frühere Rathauschef habe einen der Investoren einfach vor die Tür gesetzt. Die Zeitung erläutert das Projekt und zählt weitere Maßnahmen auf, mit denen der neue Oberbürgermeister das Bild der Stadt aufpolieren wolle. Zum Schluss geht der Autor des Beitrags noch einmal auf das Wirken des Amtsvorgängers ein, den die Bürger regelrecht aus der Stadtverwaltung gejagt hätten, um nun Ruhe vor ihm zu haben. Der Betroffene, der schwer krank sei, wolle jedoch nicht aus der städtischen Dienstvilla ausziehen. Nach dem Willen des Gemeinderats solle er nun herausgeklagt werden. Wiederholt sei er nach seiner Abwahl aufgefordert worden, den Rathausschlüssel, den Dienstlaptop und den Fernsehapparat zurückzugeben. Weil im Rathaus Bücher im Wert von 3.300 Euro fehlen, habe die Polizei das Haus des früheren Oberbürgermeisters durchsucht. Der Kreisvorsitzende einer Grauen-Partei kritisiert in einer Beschwerde beim Deutschen Presserat die seiner Meinung nach ehrverletzende Berichterstattung. Die Zeitung habe den früheren Oberbürgermeister öffentlich madig gemacht und gepriesen, dass er nicht mehr im Amt sei. Der Ex-OB habe ihm telefonisch eine eigene Darstellung der Sachverhalte gegeben. So habe die Zeitung inzwischen einem Rechtsanwalt gegenüber eingeräumt, dass die öffentliche Darstellung, er sei schwer krank, nicht auf den Erkenntnissen der Redaktion, sondern auf Hinweisen des Amtsnachfolgers beruhe. Die Behauptung könne nicht mehr aufrecht erhalten werden. Entgegen der Darstellung in der Presse habe der frühere Oberbürgermeister seinen Rathausschlüssel umgehend an seine bisherige Sekretärin zurückgegeben. Die Polizei habe bei ihm drei Bücher abgeholt, diese aber später wieder zurückgegeben. Nach Ansicht des Beschwerdeführers hätte die Zeitung gemäß der journalistischen Sorgfaltspflicht vorher überprüfen müssen, ob die veröffentlichten Behauptungen korrekt sind. Dies habe sie aber nicht getan und statt dessen den Ex-OB öffentlich diffamiert. (2004)

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Unfallschilderung

Eine Boulevardzeitung berichtet von einem neuerlichen S-Bahn-Drama und behauptet, die Deutsche Bahn wolle das Unglück vertuschen. Eine 75-jährige Rentnerin sei mit einem Bein zwischen einer sich schließenden Tür der S-Bahn hängen geblieben und von dem Zug mitgeschleift worden. Die Zeitung zitiert in diesem Zusammenhang den Bahnsprecher, der entgegen der polizeilichen Ermittlungen behauptet habe: „Die Frau ist mit ihrem Fuß zwischen Bahnsteig und Zug geraten. Die Fahrerin hat das selbst bemerkt und ihr geholfen. Gefahren ist der Zug nicht, die Frau wurde nicht mitgeschleift“. Drei Tage später schildert die Zeitung unter der Überschrift „Münchhausen von der S-Bahn“, wie der Bahnsprecher ein Zugunglück „einfach aus der Welt gelogen“ habe. Die Version des Bahnsprechers sei völlig frei erfunden. Die Bahn bekomme das Problem der automatischen Türen anscheinend nicht in den Griff. Der Zug habe die arme Frau 15 Meter mitgeschleift. Falsch sei auch die Behauptung des Sprechers, die Bahn habe die Polizei über den Vorfall informiert. Die Einsatzzentrale der Polizei sei vielmehr von der Feuerwehr informiert worden, die ihrerseits den Notruf eines Sanitäters auf dem S-Bahnhof empfangen habe. In einer Beschwerde beim Deutschen Presserat beanstandet der Konzernsprecher der Bahn, dass sein Kollege fälschlicherweise der Lüge bezichtigt werde. Laut Auskunft der Polizeibehörden sei die Polizei um 14.11 Uhr von der Bahn zum Unfallort gerufen worden. Die Redaktionsleitung der Zeitung teilt in ihrer Stellungnahme mit, dass die Aussage des Bahnsprechers schon zum Unfallhergang falsch gewesen sei. Er habe erklärt, dass der Fuß des Opfers zwischen Zug und Bahnsteig geraten sei und die Fahrerin der Frau in dieser misslichen Lage geholfen habe. Eine Nachfrage bei der Polizei habe jedoch ergeben, dass zweifelsfrei der Fuß der Rentnerin in der Tür der S-Bahn eingeklemmt gewesen und die Frau vom anfahrenden Zug mitgeschleift worden sei. Diese Aussagen des Pressesprechers seien daher definitiv falsch. Weiterhin habe er erklärt, dass die S-Bahn die Polizei über den Vorgang informiert habe. Die Recherche der Redaktion habe jedoch ergeben, dass die Erstinformation über den Unfall um 14.05 Uhr von der integrierten Rettungsleitstelle der Feuerwehr eingegangen sei. Als der Anruf der Bahn dann sechs Minuten später erfolgt sei, sei die Polizei schon unterwegs gewesen. Die Angaben des Bahnsprechers seien also auch in diesem Punkt fehlerhaft. Die Zeitung halte es für ihre Pflicht, die Leser über eine solche fehlerhafte Aufklärungspolitik zu informieren. Der Begriff „Münchhausen“ sei mit seiner plakativen boulevardesken Darstellungsweise zulässig. Er stehe im Volksmund für einen liebenswerten Geschichtenerzähler, der es mit der Wahrheit nicht so genau nehme. Dies treffe im vorliegenden Fall genau den Punkt. Der Presserat recherchiert auch seinerseits. Er erfährt auf Anfrage beim zuständigen Polizeipräsidium, dass am besagten Tag um 14.11 Uhr bei der Notrufzentrale der Polizei ein Notruf des Betriebsleiters der S-Bahn mit der Mitteilung eingegangen sei, in der S-Bahn sei eine Person verletzt worden. Die Polizei habe dem Anrufer mitgeteilt, dass sie schon verständigt und bereits im Einsatz sei. Der erste Anruf sei um 14.04 Uhr bei der Notrufzentrale eingegangen. Er sei von der „Integrierten Leitstelle – Feuerwehr, Rettungsdienste“ getätigt worden. Wer angerufen habe, wisse man nicht mehr. Der Anrufer sei jedoch ein Sanitäter gewesen. Die zuständige Staatsanwaltschaft teilt dem Presserat den von Polizeibeamten ermittelten Sachverhalt mit. Danach wurde festgestellt, dass die 75-jährige Frau auf Grund ihres Alters nicht schnell genug aus der S-Bahn aussteigen konnte. Dabei seien ihr rechter Fuß und möglicherweise auch ihr rechter Arm eingeklemmt worden. Das Warnsignal im Führerhaus der S-Bahn habe nicht aufgeleuchtet, da Fuß und Arm der Frau nur etwa fünf bis sechs Zentimeter Durchmesser hatten. Als die S-Bahn dann losgefahren sei, sei die Frau gestürzt, wodurch ihr Arm aus der geschlossenen Tür befreit und sie dann mit dem rechten eingeklemmten Fuß von der S-Bahn mitgezogen worden sei. Zeugen hätten den Vorfall bemerkt und die Lokführerin auf den Vorfall aufmerksam gemacht, so dass diese eine Schnellbremsung habe einleiten können. In dem Polizeibericht ist ferner vermerkt, die Lokführerin habe während der Unfallaufnahme ausgesagt, sie sei vor ihrer Abfahrt aus dem Zug ausgestiegen und habe geprüft, ob alle Türen geschlossen seien. Beim Einsteigen in die Führerkabine habe die Warnleuchte für offene Türen nicht geblinkt. Ihrer Vermutung nach habe noch jemand von außen trotz geschlossener Türen einsteigen wollen, habe sich am Türgriff festgehalten und sei auf dem schmalen Türvorsprung mitgefahren. Dabei sei dieser Passagier mit den Füßen vom Türvorsprung zwischen Bahnsteig und S-Bahn geraten. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft weist in einem begleitenden Schreiben darauf hin, dass sich der ermittelte Sachverhalt und die Aussage der Lokführerin somit nicht decken. Nach seiner Ansicht könne jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Bahnsprecher bei seiner Stellungnahme gegenüber der Zeitung auf die Aussagen der Zugführerin bezogen habe und von deren Richtigkeit ausgegangen sei. (2003)

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Testbericht

Eine Testzeitschrift behandelt das Thema “Vaterschaftstests”. Sie hat ihrerseits die Labore getestet, die solche Untersuchungen durchführen und Abstammungsgutachten anfertigen. Das Ergebnis sei erschütternd. Von elf Laboren erhielten neun das Gesamturteil “ungenügend”. Die Arbeit eines Labors wurde als befriedigend bezeichnet. Ein anderes wurde nicht bewertet. Bewertet wurden die Gutachten von einem Wissenschaftler, der Laborleiter eines Instituts für Blutgruppenforschung und gleichzeitig Vorsitzender der Interessengemeinschaft der Sachverständigen für Abstammungsgutachten ist. Die beiden Geschäftsführer des Labors, das nicht bewertet worden ist, beschweren sich beim Deutschen Presserat und weisen darauf hin, dass der in der Zeitschrift als neutral und unabhängig dargestellte Gutachter in Wirklichkeit nicht nur Laborleiter, sondern auch Gesellschafter eines privaten Instituts sei, das wie die untersuchten Unternehmen seit Jahren in scharfem Wettbewerb stehe. Die Zeitschrift gebe also dem Gesellschafter und Laborleiter des privatwirtschaftlich tätigen Instituts Gelegenheit, sich auf der Basis zweifelhafter moralischer Vorstellungen und falscher wissenschaftlicher Aussagen ungehindert selbst zu inszenieren, seine Mitbewerber herabzusetzen und sich damit einen erheblichen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Der Markt für Anbieter von Vaterschaftsbegutachtungen teile sich in zwei Gruppen. Die eine bestehe aus Anbietern, die sich in der Interessengemeinschaft der Sachverständigen für Abstammungsgutachten in Deutschland organisiert hätten. Labore, die diesem Verein nicht angehören, bildeten die andere Gruppe. Bemerkenswert sei vor diesem Hintergrund, dass ausschließlich solche Labore der Testung unterzogen worden seien, die nicht der Vereinigung angehörten. Das Test-Design sei so gewählt worden, dass alle teilnehmenden Labore, also Mitbewerber des Testers, die nicht seinem Verein angehörten, weder mit “sehr gut” noch mit “gut” bewertet werden konnten. Denn obwohl es keine gesetzliche Regelung gebe, die es Privatleuten verbiete, einen Vaterschaftstest in Auftrag zu geben, bewerte es die Zeitschrift negativ, wenn ein solcher privater Auftrag ohne Identitätsnachweise angenommen worden sei. Ebenso werde es negativ bewertet, wenn der Test ohne Einbeziehung der Mutter erfolgt sei. Laut Urteil des Landgerichts München I bestehe jedoch ein anerkennenswertes Interesse des möglichen biologischen Vaters, die Abstammung durch einen wenig belastenden heimlichen Test klären zu lassen. Dieser sei folgerichtig zulässig. Den aus diesen Testkriterien resultierenden negativen Beurteilungen liege somit eine rein subjektive moralische Haltung zu Grunde. Die Rechtsvertretung der Zeitschrift hält die Beschwerde für unbegründet, da nach der ständigen Rechtsprechung aller einschlägig befassten Obergerichte und des BGH die Auswahl der Sachverständigen sich an den Kriterien der Sachkunde zu orientieren habe. Die Redaktion habe sich durch Recherche im Internet mit den publizierten Sachverständigen befasst und daraus den genannten Laborleiter ausgewählt. Es sei nicht erkennbar, inwieweit die Redaktion damit ein Auswahlverschulden treffen könne. Der Redaktion liege fern, in den Wettbewerb irgendwelcher Labors eingreifen zu wollen. (2003)

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