Wie hat der Presserat entschieden?
Rüge, Missbilligung oder Hinweis, wie hat der Presserat entschieden? Hier können Sie online in der Spruchpraxis des Presserats eine Auswahl an Beschwerdefällen von 1985 bis heute recherchieren.
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7055 Entscheidungen
In großer Schlagzeile verkündet eine Boulevardzeitung, dass sich ein 16-jähriges Mädchen im Wald erhängt hat. Sie teilt den Leserinnen und Lesern den Vornamen, den Anfangsbuchstaben des Familiennamens, das Alter und den Wohnort der Betroffenen mit. Detailliert wird geschildert, wie sich das Mädchen an dem Ast eines Baumes erhängt hat. Das Waldstück, in dem die Tat geschah, wird im Bild gezeigt. Das Mädchen habe mit Freunden Urlaub im Süden machen wollen. Laut Staatsanwaltschaft seien die Tickets schon gekauft gewesen. Doch die Mutter habe den Urlaub gestrichen. „Ich kann doch einem so jungen Mädchen nicht erlauben, ohne Eltern in den Urlaub zu fliegen“, solle sie gesagt haben. Der Ortsvorsteher der Gemeinde, in dem die Familie wohnt, beschwert sich bei der Zeitung und beim Deutschen Presserat. Seiner Meinung nach weist die Zeitung der Mutter des Mädchens die Schuld an der Selbsttötung zu. Die Mitarbeiter der Zeitung hätten Familie, Freunde und Bekannte des Mädchens tagelang verfolgt, um mit aller Gewalt Stoff für eine Geschichte zu bekommen. Das angebliche Zitat der Mutter sei falsch. Sie habe sich nie so geäußert, sondern vielmehr erklärt, dass sie nicht mit der Presse reden wolle. Weiterhin sei auch die Darstellung nicht korrekt, dass das Mädchen nach einem Streit mit Tränen in den Augen zur Oma gegangen sei. Sie habe ihre Großmutter an besagtem Tag überhaupt nicht gesehen. Die Chefredaktion entgegnet, die Mutter des Opfers habe sich gegenüber einem Redakteur des Blattes genauso wie wiedergegeben geäußert. Sie habe erklärt, dass sie ihrer Tochter doch nicht hätte erlauben können, ohne Eltern in Urlaub zu fahren. Die Aussage, dass die Reise in die Türkei gehen sollte, sei dem Mitarbeiter des Blattes durch die Mutter eines weiteren Reiseteilnehmers bestätigt worden. Die Chefredaktion sieht keinen Anlass, an der Richtigkeit der Darstellung des Redakteurs zu zweifeln. Eine Verfolgung der Familie oder der Freunde des Opfers sei der Chefredaktion nicht bekannt. Dass die Großmutter sich mit ihrer Enkelin vor der Tat getroffen habe, sei der Akte der Staatsanwaltschaft zu entnehmen. Die Großmutter sei nach dem Suizid von der Polizei befragt worden und habe die in dem Beitrag wiedergegebenen Aussagen über die Umstände des Zusammentreffens mit ihrer Enkelin und die dabei ausgesprochene Ankündigung eines Suizids auch in dieser Form gemacht. (2004)
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Eine Regionalzeitung meldet, dass der Vorstand eines großen Verkehrsbetriebs der Region intern unter Beschuss stehe. Während den Mitarbeitern immer mehr finanzielle Opfer abverlangt würden, bekämen „unsere Direktoren sehr hohe Prämien für Einsparungen aller Art“, heiße es in einem allerdings nicht unterzeichneten Offenen Brief an den Oberbürgermeister und die Parteien im Stadtrat. Ein Vorstandsmitglied koste einschließlich üppiger Ruhestandsbezüge um die zwei Millionen Euro im Jahr. In dem Brief werde die Frage aufgeworfen, ob es nicht an der Zeit sei, statt mit drei nur noch mit zwei Vorstandsherren auszukommen. Diese Anregung stoße beim Vorsitzenden des Aufsichtsrates durchaus auf Verständnis. Wenn es nach ihm gegangen wäre, dann würde es heute in dem Unternehmen einen Arbeitsdirektor nicht geben. Zum ersten Mal habe der Aufsichtsratsvorsitzende auch signalisiert, dass sich das Unternehmen grundlegend verändern müsse. Ein Vertreter der Unternehmenskommunikation legt die Veröffentlichung dem Deutschen Presserat vor und moniert, dass die Zeitung ein anonymes Schreiben zur Grundlage ihrer Berichterstattung gemacht habe. Die Belegschaft wisse angeblich nichts von einem solchen Brief. Die Zeitung habe beim Unternehmen auch nicht gegenrecherchiert. Der Beschwerdeführer kritisiert ferner die Verwendung von Aussagen des Aufsichtsratsvorsitzenden, die dieser nicht oder nicht mit dieser Bedeutung gemacht habe. Als Beispiel nennt er die angebliche Auffassung des Zitierten, das Unternehmen müsse sich grundlegend verändern, und fügt ein Schreiben des Betroffenen bei, in dem dieser seine Aussage relativiert. Zudem sei es nicht richtig, dass es – wie in dem Artikel wiedergegeben – einen Arbeitsdirektor nicht geben würde, wenn es nach dem Willen des Aufsichtsratsvorsitzenden gegangen wäre. Dies sei falsch, da der Vorsitzende vor drei Jahren selbst für die Wiederwahl des Stelleninhabers gestimmt habe. Der Chef vom Dienst der Zeitung teilt in seiner Stellungnahme mit, dass der in dem Artikel zitierte Brief tatsächlich existiere und auch seine Adressaten erreicht habe. Die Tatsache, dass er anonym gewesen sei, sei in dem Artikel erwähnt worden. Der Beschwerdeführer behaupte, mit Bezug auf den Brief würden unbegründete Behauptungen und Beschuldigungen veröffentlicht. Dies sei jedoch nicht richtig, da die in dem Brief enthaltenen Informationen nicht verfälscht, sondern nur ergänzt worden seien. Korrekt sei, dass auch der Aufsichtsratsvorsitzende des Unternehmens für die Verlängerung des Vertrages des Arbeitsdirektors gestimmt habe. Es sei aber auch richtig, dass der Vorsitzende im Vorfeld der Wahl versucht habe, den Vorstand auf zwei Personen zu verkleinern. Dies unterschlage der Beschwerdeführer. Die Aussage, dass sich das Unternehmen grundlegend verändern müsse, und der Brief, den der Aufsichtsratsvorsitzende der Lokalredaktion übermittelt habe und der auch der Beschwerde beigefügt worden sei, seien einer gesonderten Betrachtung wert . Zuerst werde dementiert, dann werde die eigene Person kritisch analysiert, dann befinde sich der Verkehrsbetrieb mitten in einem Veränderungsprozess. So werde, was zunächst dementiert worden sei, dann doch Realität. Dies sei ein gelungenes Beispiel für politischen Schreibstil. (2004)
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In einem Kommentar, der u.a. zum Ausgang der Landtagswahlen im Saarland Stellung nimmt, schreibt eine Regionalzeitung: „Dass Oskar Lafontaine charakterlich gesehen ein Lump ist, hat sich herumgesprochen – nicht mal ein PDS-Anhänger würde noch ein Auto von ihm kaufen.“ Diese Formulierung veranlasst eine Leserin zu einer Beschwerde beim Deutschen Presserat. Dass Oskar Lafontaine Emotionen wachrufe, sei nicht neu und müsse wohl hingenommen werden. Aber es gelte Grenzen zu beachten. Die Bezeichnung „charakterlich ein Lump“ liege außerhalb dieser Grenze. Lafontaine sei einer der ganz wenigen Politiker aus der Mitte, die Alternativen zu der gemeinsamen Linie der Volksparteien einschließlich der Grünen aufzeigten. Werde er mundtot gemacht, sammele sich alle Kritik bei den Extremen. Das sollten auch Leute bedenken, die ihn nicht mögen. Der Bezeichnung „Lump“ seien bereits etliche vergleichbare Benennungen des Saarländers in der Zeitung vorausgegangen, darunter „Saar-Napoleon“, „Populist“ und „Kameradenschwein“. Die Chefredaktion der Zeitung räumt ein, dass es sich hier in der Tat um eine harte Meinungsäußerung handele. Allerdings habe man sich zu der Formulierung berechtigt gefühlt, da – wie in dem Kommentar auch erwähnt – Lafontaine seine Partei schnöde im Stich gelassen habe, Geld mit seiner Stimmungsmache gegen die alten Mitstreiter verdiene und seine politische Meinung so oft wechsele, wie es die politische Windrichtung erfordere. Man habe Lafontaine aber auch gegen Vorwürfe der SPD in Schutz genommen, er sei an dem Ergebnis der Landtagswahl im Saarland schuld. Insgesamt ist die Chefredaktion der Ansicht, dass es sich noch um eine zulässige Meinungsäußerung handele. Eine politische Person, die sich derart in den Mittelpunkt des Interesses rücke, müsse sich auch die am Schluss der Beschwerde zitierten Ausdrücke gefallen lassen. Jedoch sei der Autor darauf hingewiesen worden, bei der Wahl solcher Bezeichnungen künftig Zurückhaltung zu üben. (2004)
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Eine Lokalzeitung berichtet am 8. September 2004 über eine Kunstausstellung im Museum. Gezeigt werden Werke einer westfälischen Malerin. Das Blatt lobt die Symbolkraft ihrer Bilder. Die Künstlerin male, wie es im 15. bis 17. Jahrhundert üblich gewesen sei. Auf einem Ei-Tempera-Fundament würden in bis zu 20 Schichten Ölfarben aus feinstem Steinmehl in handwerklicher Sorgfalt aufgetragen. Eines betrübe allerdings: Die versprochenen Kunstwerke des spanischen Malers Dali seien einzig als Kunstdrucke zu sehen, die lieblos in Wechselrahmen aufgehängt seien. Die Galerie, welche die Veranstaltung organisiert habe, hätte sich besser dazu durchringen sollen, die Künstlerin alleine in den Mittelpunkt der Ausstellung zu rücken. Auch wenn dann der große Name Dalis weggefallen und vielleicht weniger Interessierte zur Eröffnung gekommen wären. Doch das wäre ehrlicher gewesen, schließt die Kritik. Fünf Tage später veröffentlicht das Blatt einen Kurzbeitrag, in dem mitgeteilt wird, dass es sich bei den ausgestellten 14 Dali-Grafiken doch um Originale handelt. Die Kunstagentur, welche die Ausstellung organisiert hat, bezeichnet in ihrer Beschwerde beim Deutschen Presserat die erste Veröffentlichung als ärgerlich und hinderlich. Es sei falsch, dass in der Ausstellung keine Original-Kunstwerke von Dali zu sehen gewesen seien. Man habe die Zeitung am Tage des Erscheinens der Kritik auf diesen Fehler aufmerksam gemacht. Auf Nachfrage habe die Redaktion nachrecherchiert und erkannt, dass der erste Bericht falsche Angaben enthalten habe. Die Korrektur sei dann nicht am darauf folgenden Samstag, sondern erst am Montag danach erschienen. Damit sei die Chance verhindert worden, am letzten Wochenende, an dem die Ausstellung noch geöffnet war, weitere Interessenten anzusprechen. Der Chefredakteur der Zeitung weist den Vorwurf zurück, die Zeitung habe einen größeren Besuch der Veranstaltung aus der Region verhindert. Die Ausstellung sei dreimal im Blatt angekündigt worden, und zwar am 24. August, 2. und 4. September. Die von der Redaktion mit der Kritik beauftragte Journalistin sei examinierte Kunsthistorikern. Zudem habe sie ein abgeschlossenes Zeitungsvolontariat. Die Redaktion hätte daher davon ausgehen können, dass sie über die Veranstaltung sachkundig, auch im Hinblick auf die Werke von Salvador Dali, berichten würde. Als der Galerist die Redaktion auf die fehlerhafte Darstellung hingewiesen habe, habe man sich entschuldigt und angeboten, dass die zuständige Ressortleiterin die Ausstellung besucht und erneut berichtet. Dieser Artikel sei am 13. September erschienen. Kunstinteressierte Leser seien dabei darauf hingewiesen worden, dass die Bilder noch bis zum 19. September zu sehen seien. Die Redaktion sei davon ausgegangen, dass damit die Angelegenheit erledigt worden sei. Die Beschwerde beim Presserat verwundere sie daher. (2004)
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Unter der Überschrift “Hoher Anspruch, leere Säle” gibt eine Regionalzeitung in ihrer Stadtausgabe die Kritik zahlreicher “Kulturmacher” an der “elitären Politik” der städtischen Kulturreferentin wieder. Die Kulturbürgermeisterin habe kein persönliches Interesse an guter Breitenkultur, sondern lebe in einem Elfenbeinturm. Zu viele Millionen würden in Image-Projekte wie Textilmuseum oder Kunstzentrum gesteckt. Doch die Welt biete mehr. Die Stadt sei längst multikulti. Kunst als Integrationshilfe sei gefragt, auf der Straße, in ungewöhnlichen Formen, für alle Generationen. Kultur als Spaßfaktor. Doch für offene Projekte im sozio-kulturellen Sektor fehle das Geld. Und wohl das Verständnis. Ein einflussreicher Stadtrat nenne die Kulturpolitik der Referentin schwammig. Und ein erfahrener Szenekenner klage, sie rede von Frieden, doch sie säe Unfrieden. Viele Kritiker wollten unerkannt bleiben. “Wer aufmuckt, muss bluten”, sage einer. Ein Leser äußert sich kritisch gegenüber dem Deutschen Presserat. Es sei nicht mit der Sorgfaltspflicht vereinbar, wenn ausschließlich Bezug auf anonyme Informanten genommen werde. Stil und Eindruck des Beitrages seien unseriös. Er werde hellhörig, wenn Intellektualität als etwas Negatives dargestellt werde. Der Chefredakteur der Zeitung betont, Grundlage des Beitrages sei eine ausführliche Recherche in der Kulturszene gewesen. Alle Gesprächspartner seien zwar bereit gewesen zu informieren, wollten ihren Namen aber auf keinen Fall in der Zeitung veröffentlicht haben. Sie hätten offenbar Repressalien von Seiten der Kulturreferentin befürchtet. (2004)
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Unter der Überschrift “Das perverse Geständnis von Jessicas Killer” schildert eine Boulevardzeitung den Mord an einem sechsjährigen Mädchen. Dem Beitrag sind zwei Bilder des Opfers beigestellt. Eines davon zeigt das tote Kind im offenen Sarg mit seiner Lieblingspuppe im Arm. Im Text gesteht der mutmaßliche Täter, das “vorbestrafte Monster”, wie ihn die Zeitung nennt, Einzelheiten seiner Tat. Eine Leserin stößt sich daran, dass in dem Artikel detailliert Quälereien beschrieben werden, die absolut nichts mit objektiver Berichterstattung zu tun hätten. Sie beschwert sich beim Deutschen Presserat. Mit dem Bild des Mädchens im Sarg werde das Opfer in seiner Würde verletzt und die Hinterbliebenen würden erneut belastet. Die Rechtsabteilung des Verlages erklärt in ihrer Stellungnahme, die Berichterstattung über Fälle von Kindesmissbrauch stoße auf ein öffentliches Informationsinteresse. Eltern würden dadurch sensibilisiert, ihre Kinder durchgehend zu beaufsichtigen und sie auf Gefahren hinzuweisen. Diese Auffassung, gerade im Hinblick auf eine detaillierte und realistische Berichterstattung, werde auch von der Mutter des getöteten Kindes geteilt. Die Veröffentlichung sei in Absprache mit ihr und ihrer Anwältin erfolgt. Die Mutter habe das strittige Foto auch ins Internet gestellt und gebe dazu detailliert Auskunft über die an ihrer Tochter begangenen Straftat. Darüber hinaus trete sich regelmäßig im Fernsehen auf, um über das Unglück zu berichten. Die Mutter habe sich bei der Redaktion im Anschluss an die Berichterstattung für den Beitrag bedankt. Von einer Verletzung presseethischer Grundsätze könne also keine Rede sein. (2004)
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Unter der Schlagzeile “Heute weinen alle Eltern – Terroristen schossen den fliehenden Schülern in den Rücken” dokumentiert eine Boulevardzeitung am 4. September 2004 das Geiseldrama in Beslan in Südrussland. Der Beitrag enthält viele Fotos, die Soldaten im Einsatz, verletzte Kinder und Helfer bei der Rettung der Opfer zeigen. Im Text wird das Geschehen minutiös geschildert. Die Klasse 6 eines Gymnasiums und deren Religionslehrerin wenden sich mit einer Beschwerde an den Deutschen Presserat: “Uns stört, dass die Zeitung zu große Fotos auf die Titelseite setzt, die zu brutal, gewalttätig und beängstigend sind. Die Kinder sind verstört und werden von Reportern belästigt, andauernd befragt und fotografiert. Die Kinder und auch die bedrohten Erwachsenen benötigen Hilfe und keine Reporter, die ihr großes Leiden fotografieren. Das Privatleben der Kinder wird gestört, der private Bereich muss aber geschützt werden, besonders wenn es sich um eine derartige Angst- und Gefahrensituation handelt. Großes Leiden, verblutende, schwer verletzte Kinder sollten nicht farbig riesengroß zur Schau gestellt werden.” Der Chefredakteur der Zeitung erklärt, in seinen Augen seien die Fotos über das Geiseldrama keine unangemessen sensationelle Darstellung, wie sie Ziffer 11 des Pressekodex verbiete. Als Begründung fügt er an, dass der seit Jahren andauernde Tschetschenienkrieg bislang schätzungsweise 200.000 Zivilisten das Leben gekostet habe und die Verbrechen weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit begangen würden, weil Russland eine unabhängige Berichterstattung nicht zulasse. Das Geiseldrama in der Schule der südrussischen Stadt Beslan als Ausriss des lang anhaltenden Tschetschenienkrieges sowie des international wachsenden Terrorismus habe weltweit Entsetzen und eine umfangreiche Diskussion über die Umgangsweise des russischen Präsidenten mit dem Tschetschenienkrieg ausgelöst. Nach dem Geiseldrama seien drei Journalisten verhaftet worden. Man habe ihnen teilweise untersagt, sich öffentlich zu dem Vorfall zu äußern. Seine Zeitung, betont der Chefredakteur, habe sich seit jeher einer zensierten Berichterstattung widersetzt. Kriege und terroristische Anschläge seien grausam, eine Zensur der Berichterstattung jedoch unangemessen. Immer wieder würden Journalisten und Fotografen versuchen, den Einschränkungen der Pressefreiheit entgegenzuwirken und unter Einsatz ihres Lebens wahrhaftig über humanitäre Katastrophen zu berichten. Die umfangreiche Berichterstattung aller Medien in Wort und Bild rund um das Geiseldrama habe die Grausamkeit dieses Attentats der Öffentlichkeit erst in ihrem wahren Ausmaß nahe gebracht. Die Aussagen einiger Opfer in den deutschen Medien hätten nicht nur den russischen Präsidenten Putin zu einer öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Krieg in Tschetschenien und dem Umgang mit der Pressefreiheit in Russland gezwungen, sie hätten in Zusammenhang mit der umfangreichen Berichterstattung einen weit reichenden erfolgreichen Aufruf aller Medien ermöglicht, die Opfer und deren Familien in Beslan zu unterstützen. Der Chefredakteur will nicht in Abrede stellen, dass die beanstandeten Fotografien Kinder abschrecken. Man sei sich bewusst, dass auch Kinder zu den Medienkonsumenten zählen. Aus diesem Grunde wäge die Redaktion in jedem einzelnen Fall ab, ob die Veröffentlichung eines Gewaltfotos gegen Ziffer 11 des Pressekodex verstoße. Gleichwohl sei sie der Auffassung, dass Kinder heute im Zeitalter des international wachsenden Terrorismus zwangsläufig mit Gewalt in den Medien konfrontiert werden. Die Beurteilung nach Ziffer 11 dürfe von daher nicht ohne Berücksichtigung dieser Entwicklung erfolgen. Zeitungen seien darüber hinaus primär Informationsträger, welche nicht dazu dienten, nur die schönen Seiten der Welt zu zeigen, sondern den Auftrag hätten, wahrheitsgemäß und umfassend zu berichten. Dass einige Personen mitunter daran Anstoß nähmen, lasse sich dabei nicht vermeiden. Wie das Bundesverfassungsgericht im Benetton-Urteil klarstelle, sei ein “vom Elend der Welt unbeschwertes Gemüt der Bürger kein Belang, zu dessen Schutz das Grundrecht der freien Meinungsäußerung eingeschränkt werden” dürfe. Im übrigen habe kein weiterer Leser der Zeitung an der dieser Beschwerde zu Grunde liegenden Berichterstattung Anstoß genommen.
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In einem Beitrag unter der Überschrift „US-Ärzte folterten im Horror-Knast“ berichtet eine Boulevardzeitung, amerikanische Armee-Ärzte hätten die Folterknechte im „Horror-Knast“ Abu Ghraib offenbar unterstützt. Die Militärmediziner sollen Methoden für Zwangsverhöre entwickelt und notwendige Hilfe verweigert haben. Totenscheine von Gefangenen sollen gefälscht und Beweise für Folterungen vertuscht worden sein. Ärzte sollen auch selbst Gefangene misshandelt haben. Ein britisches Fachmagazin berufe sich mit diesen Behauptungen auf Regierungsdokumente und beeidigte Aussagen von Soldaten und Häftlingen. Der Artikel ist illustriert mit dem Foto einer Leiche. Das Folteropfer ist in Folie eingewickelt. Das Gesicht ist deutlich erkennbar. Ein Leser hält die Veröffentlichung des Fotos für schamlos und beschwert sich beim Deutschen Presserat. Die Identität des Mannes sei deutlich erkennbar, da sein Gesicht nicht mit einem Augenbalken abgedeckt worden sei. Der Tote werde nach seiner Folterung noch einmal missbraucht und schutzlos vorgeführt. Zudem diene das Foto nicht der Darstellung oder Verifizierung der These des Textes, dass amerikanische Armeeärzte die Folterknechte offenbar unterstützten. Der Geschäftsführer des Verlages kann in der Veröffentlichung des Fotos keinen Verstoß gegen den Pressekodex erkennen. Es werde keine Folterszene mit Opfern, sondern vielmehr das tote Opfer als grausame Folge der Folter gezeigt. Das öffentliche Interesse an einer Berichterstattung auch in dieser Form sei groß, denn nur eine realistische Darstellung könne zur Aufklärung beitragen und die Menschen wachrütteln. Ein Verzicht auf dieses fotografische Dokument hieße, die Zeitgeschichte zu verfälschen. Die Grenze der unangemessen sensationellen Darstellung von Gewalt sei demnach nicht überschritten. Auch ein Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex sei nicht gegeben, da es sich um ein Dokument der Zeitgeschichte handele, das einem herausragenden Informationsinteresse der Öffentlichkeit begegne. Die Foltervorgänge in Abu Ghraib seien nicht ein gewöhnliches Verbrechen, sondern vielmehr ein globales Aufsehen erregendes zeitgeschichtliches Ereignis. Da das Folteropfer nicht zu erkennen sei, liege auch keine Verletzung der Menschenwürde vor. Unter dem rechten, zudem geschwollenen Auge des Folteropfers klebe ein Pflaster. Der Mann sei auf dem Kopf liegend dargestellt, so dass die typischen Gesichtszüge verfremdet seien und das Gesicht keinen natürlichen Ausdruck zeige. Darüber hinaus würden keine Lebensumstände oder gar der Name des Opfers bekannt. Der Abgebildete sei nicht identifizierbar und somit als Opfer nicht seiner Würde beraubt. (2004)
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Eine Regionalzeitung meldet unter der Überschrift „Anklage wegen Untreue“, mit keinem einzigen städtischen Unternehmen habe sich die Staatsanwaltschaft öfter befassen müssen als mit den Verkehrsbetrieben. Im jüngsten Ermittlungsverfahren habe sich der Verdacht ergeben, dass es Betriebsratsmitgliedern mit SPD- und Gewerkschaftsbuch besser gehe als „normalen“ Mitarbeitern. Mit dem Hinweis, man könne alle Belege schnell beibringen, habe die Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige wegen des Verdachts der Untreue zum Nachteil des Unternehmens vorliegen. Genannt seien gleich vier Namen mit ladungsfähigen Anschriften. Drei Tage später teilt die Zeitung ihren Leserinnen und Lesern unter Bezugnahme auf die Erstveröffentlichung unter der Überschrift „Keine Anklage wegen Untreue“ mit, ihre Meldung bedürfe der Richtigstellung. Es sei keine Anklage wegen Untreue erhoben, sondern lediglich eine Strafanzeige wegen Untreue gestellt worden. Die Unternehmenskommunikation der Gesellschaft bekundet dem Deutschen Presserat, es sei falsch, dass gegen das Unternehmen Anklage wegen Untreue erhoben worden sei. Weiterhin sei es nicht korrekt, dass der Staatsanwaltschaft zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Beitrages eine Strafanzeige wegen des Verdachts der Untreue vorgelegen habe. Dies habe der Sprecher der Staatsanwaltschaft gegenüber dem Anwalt der Verkehrsbetriebe betont. Zudem sei die Behauptung, mit keinem einzigen Unternehmen müsse sich die Staatsanwaltschaft öfter befassen, nicht zur Veröffentlichung in einem nachrichtlichen Artikel geeignet. Wenn überhaupt, könne man sie höchstens als Meinung äußern. Auf Anfrage teilt die zuständige Staatsanwaltschaft dem Presserat mit, dass bei ihr zum Zeitpunkt der Veröffentlichung eine anonyme Anzeige zum Thema des Artikels vorgelegen habe. Es stimme, dass in den letzten Jahren eine Reihe von Ermittlungsverfahren gegen Mitarbeiter des Unternehmens oder im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Verkehrsbetriebe im weitesten Sinne geführt worden seien. Der Chef vom Dienst der Zeitung räumt ein, dass die Überschrift der Erstveröffentlichung falsch gewesen sei. Der Fehler sei Folge eines bedauerlichen redaktionellen Versehens gewesen. Aus dem Inhalt des Artikels ergebe sich aber eindeutig, dass keine Anklage, sondern eine Strafanzeige wegen des Verdachts der Untreue gemeint sei. Zum Zeitpunkt der Berichterstattung habe tatsächlich eine Anzeige vorgelegen. Dies habe der Sprecher der sehr großen örtlichen Staatsanwaltschaft zu diesem Zeitpunkt noch nicht gewusst. Die Äußerung des Autors über die Häufigkeit der Ermittlungsverfahren enthalte Elemente eines zulässigen Werturteils. (2004)
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Ein Wirtschaftsmagazin macht einem möglichen Kunden ein Angebot zum Kauf von redaktionellen Beiträgen. So soll ein ganzseitiger Artikel 1.000 Euro und ein redaktioneller Beitrag über zwei Seiten 1.700 Euro kosten. Ein Beitrag auf der Website des Magazins ist für 500 Euro erhältlich. Die Anzeigenberaterin bietet in ihrem Schreiben auch Kombinationen an. Eine Seite Text in der Printausgabe mit einem zusätzlichen Online-Beitrag ist für 1.300 Euro zu haben. Zwei Seiten in der Printausgabe mit zusätzlichem Online-Beitrag werden für 1.800 Euro gefertigt. Die Geschäftsführerin eines Landesverbandes des DJV sieht in diesem Angebot einen dreisten Verstoß gegen Ziffer 7 des Pressekodex und führt Beschwerde beim Deutschen Presserat. Der Chefredakteur des Magazins entschuldigt sich für den unkorrekten Vorgang. Von nun an werde man in jedem Fall entgeltliche Veröffentlichungen eindeutig kennzeichnen. PR-Texte werde man künftig mit dem Zusatz „Anzeige“ versehen. (2004)
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