Geschichte des Pressekodex

Der Presserat hat das ethische Regelwerk für die journalistische Arbeit erstmals 1973 aufgestellt. Der Pressekodex wird seither regelmäßig fortgeschrieben. Diese Chronik bietet einen Überblick über die wichtigsten Stationen.

1956: Die Grundlage

Grundlage für die Behandlung von Beschwerden des Deutschen Presserats waren seit der Gründung im Jahr 1956 zunächst die "Richtlinien für die publizistische Arbeit nach Empfehlungen des Deutschen Presserats". Diese waren jedoch häufig nicht allgemeingültig formuliert, da sie sich in der Regel an konkreten Fällen orientierten. In der Praxis sah dies damals so aus: Eine Beschwerde wurde behandelt und als Ergebnis entstand eine Richtlinie, die sich auf diesen einen Fall bezog. Da sich im Laufe der Zeit einige Arten von Beschwerden wiederholten, kam der Gedanke auf, die Richtlinien allgemeingültiger und abstrakter zu formulieren.

1967: Die Idee

1967 schlug der Verleger Johannes Binkowski einen "Leitfaden für gutes journalistisches Verhalten" vor – die Geburtsstunde des heutigen Pressekodex. Der Kodex sollte danach zum einen als Grundlage für die Beurteilung von Fällen dienen, zum anderen das Ansehen der deutschen Presse wahren und die Berufsethik der Journalisten widerspiegeln. Da es damals noch keinerlei Erfahrungen gab, wie ein solcher Kodex erarbeitet werden soll, orientierten sich die Presserats-Mitglieder an den bestehenden Ehrenkodizes im Ausland.

1973: Der Pressekodex tritt in Kraft

Die Beratungen zogen sich mehrere Jahre hin, und es wurden verschiedene Entwürfe erarbeitet. Wichtigste Punkte waren die von der Verfassung garantierte Meinungs- und Informationsfreiheit, die journalistische Sorgfaltspflicht und das Zeugnisverweigerungsrecht. Die "Kommission zur Bearbeitung des Pressekodex" leitete 1972 schließlich den Journalisten- und Verlegerorganisationen einen Kodexentwurf zu. Die lange Phase der Ausarbeitung war nötig, damit eine große Mehrheit der Presseorgane und Mitglieder des Deutschen Presserats hinter dem Kodex stehen und sich mit seinen Regeln identifizieren konnte.

Der Kodex trat im September 1973 in Kraft. Die seit der Gründung bestehenden "Richtlinien für die publizistische Arbeit nach Empfehlungen des Deutschen Presserats", sollten mit der Verabschiedung des Kodex allerdings keineswegs außer Kraft gesetzt werden. Sie wurden später in den Kodex integriert und sind bis heute Hilfestellung zu seiner praktischen Anwendung.

1976-78: Fälle, die den Kodex veränderten

1976 erfolgte die erste größere Änderung im Pressekodex. Vorausgegangen war eine Beschwerde von grundsätzlicher Bedeutung. Der damalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes bemängelte die Berichterstattung mehrerer Zeitungen über die Gerichtsentscheidungen zur Diätenbesteuerung. Die Blätter hatten die Gerichtsentscheidung bereits vor deren offizieller Verkündung veröffentlicht. Auch der Deutsche Richterbund und die Justizpressekonferenz Karlsruhe setzten sich für eine entsprechende Änderung des Pressekodex ein: „Über Entscheidungen von Gerichten soll nicht ohne schwerwiegende Rechtfertigungsgründe vor deren offizieller Bekanntgabe berichtet werden“. Diese Änderung in der damaligen Ziffer 12 (heute Ziffer 13) wurde mit großer Mehrheit vom Presserat beschlossen.

Folgende Beispiele zeigen, dass es immer aktuelle Ereignisse waren, die den Presserat dazu veranlassten, den Pressekodex zu verändern.

1976 erregte die „Generals-Affäre“ großes Aufsehen und führte dazu, eine zusätzliche Ziffer in den Kodex aufzunehmen. Vier Journalisten hatten politische Äußerungen zweier Luftwaffengeneräle aus einem Hintergrundgespräch veröffentlicht.  Die betroffenen Generäle wurden aufgrund des Artikels in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Der Presserat nahm die Journalisten zwar in Schutz, beschloss aber, den Kodex um eine Ziffer zu ergänzen, die Ziffer 5. In dieser geht es darum, Informanten ohne deren Zustimmung nicht preiszugeben.

1978 veränderte eine weitere Beschwerde den Kodex: Die Redaktion der Zeitschrift "Emma", der Deutsche Frauenrat und rund 1200 Frauen reichten Beschwerde ein. Anlass waren Fotos von Frauen, die die Zeitschrift "Stern" veröffentlicht hatte und die als diskriminierend und sexistisch empfunden wurden. Der Presserat entschloss sich, die Beschwerde abzulehnen. Grund hierfür war: Es gab schlichtweg noch keine entsprechende Ziffer im Pressekodex. Der Presserat nahm jedoch eine entsprechende Ergänzung in Ziffer 12 vor, in der es um die Diskriminierung verschiedener Gruppen geht.

1990: Neue Richtlinien für Interviews, Recherche und Rügenabdruck

1989 bildete der Presserat eine Richtlinienkommission. Grund hierfür war die zunehmende Anzahl an Fällen, in denen es um Namensnennungen in der Berichterstattung ging. Ziel war es, die Richtlinien neu zu formulieren. Die Änderungen, die die Richtlinienkommission im Februar 1990 vorstellte, betrafen  darüber hinaus weitere Punkte: Interview, Recherche, Diskriminierung und Rügenabdruck. Zudem wurde der Diskriminierungstatbestand in Ziffer 12 auf "soziale Gruppen" erweitert und das Wort "rassisch" durch "ethnisch" ersetzt.

Im gleichen Jahr wurden auch die Nummern der "Richtlinien für die publizistische Arbeit nach Empfehlungen des Deutschen Presserates" an die Ziffern der "Publizistischen Grundsätze (Pressekodex)" angeglichen. Dieser Schritt sollte den Zusammenhang zwischen beiden verdeutlichen und außerdem klarstellen, dass die Richtlinien als praktische Hilfestellung Teil des Pressekodex sind.

1995: Kodex-Novelle zu 50 Jahren Presserat

1995 wurde durch konkrete Beschwerdefälle erneut der Bedarf nach einer Änderung des Pressekodex deutlich. Ein Jahr später wurde eine Neufassung des Kodex vorgestellt. Diese fasste die Persönlichkeitsrechte, die vorher in mehreren Ziffern fixiert waren, gesammelt unter Ziffer 8, zusammen. Elf Jahre später folgte die nächste große Novelle.

2006 übergaben die Presseratsmitglieder im Rahmen der Feier zum 50-jährigen Bestehen den novellierten Kodex an Bundespräsident Horst Köhler. In die Überarbeitung flossen Erkenntnisse aus der Arbeit der Beschwerdeausschüsse, aktuelle Entwicklungen innerhalb der Presse sowie externer Sachverstand ein. So wurde der in Ziffer 7 festgehaltene Trennungsgrundsatz im Hinblick auf Veröffentlichungen über Eigenmarketingaktionen erweitert. Das in Ziffer 13 festgehaltene Vorverurteilungsverbot wurde im Hinblick auf ein vorliegendes Geständnis eines Tatverdächtigen konkretisiert. Bezüglich Interviews wird durch die überarbeitete Richtlinie 2.4 nun klar, dass eine Autorisierung aus presseethischer Sicht nicht zwingend notwendig ist.

2001: Datenschutz integriert

2001 erweiterte der Presserat seine Zuständigkeit auf den Redaktionsdatenschutz. Hintergrund: Nachdem der Presserat 1999 massiv Kritik am Entwurf zum Bundesdatenschutzgesetz geübt hatte, schlug Bundesinnenminister Otto Schily eine Selbstverpflichtung für den Datenschutz in Redaktionen vor. Da für den Deutschen Presserat diese Aufgabe eine deutliche Erweiterung bedeutete, mussten Kodex und Richtlinien auch entsprechend aktualisiert werden. Dies geschah 2001. Unter anderem wurde die Präambel des Pressekodex wegen des Redaktionsdatenschutzes um einen zusätzlichen Absatz ergänzt, in dem es nun heißt:

"Die Regelungen zum Redaktionsdatenschutz gelten für die Presse, soweit sie personenbezogene Daten zu journalistisch-redaktionellen Zwecken erhebt, verarbeitet oder nutzt. Von der Recherche über Redaktion, Veröffentlichung, Dokumentation bis hin zur Archivierung dieser Daten achtet die Presse das Privatleben, die Intimsphäre und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Menschen."

2013: Eigene Richtlinie für Opferschutz

Im Jahr 2013 hat der Deutsche Presserat seine Regeln zum Schutz der Persönlichkeit überarbeitet (Ziffer 8). Insbesondere die ethischen Regeln für die Straftäter- und Opferberichterstattung wurden novelliert. Die neue Fassung hat das Plenum am 13. März 2013 beschlossen. Neu ist, dass es nun getrennte Richtlinien zur Opfer- und Täterberichterstattung gibt.

Die Veränderungen im Einzelnen: Bei der Berichterstattung über Straftäter sieht die Ziffer 8 mit Richtlinie 8.1 (Kriminalberichterstattung) künftig eine Gleichrangigkeit zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit einerseits und den Persönlichkeitsrechten des Täters andererseits vor. Hier muss der Journalist stets abwägen. Damit dies leichter gelingt, hat der Presserat Kriterien eingeführt, die den Praktikern die Frage beantworten soll, wann identifizierend berichtet werden darf: Zum Beispiel bei außergewöhnlich schweren oder in ihrer Art und Dimension besonderen Straftaten oder wenn eine schwere Tat in aller Öffentlichkeit geschehen ist.

2014: Digitalisierung im Blick

2014 steht der Pressekodex im Zeichen der Digitalisierung. Die Mitglieder des Presserats haben eine Arbeitsgruppe gebildet. Ziel ist es, den Kodex mit Blick auf die Anforderungen der Online-Berichterstattung zu überarbeiten. Online-spezifische Veröffentlichungsformen wie Kommentarfunktionen unter Artikeln sind noch nicht im Kodex berücksichtigt. Im März 2015 verabschiedet das Plenum eine neue Richtlinie im Bereich der Journalistischen Sorgfaltspflicht (Ziffer 2 des Kodex). Richtlinie 2.7 "Nutzerbeiträge (User-Generated Content)" bezieht sich auf die von Nutzern zugelieferten Beiträge. Deutlich wird: Die Redaktion steht in der Verantwortung, die publizistischen Grundsätze sicher zu stellen. Im Zuge der Kodexreform modifiziert der Presserat auch Ziffer 3 (Richtigstellung). Die Richtlinie 3.1 (Anforderungen) erhält einen Zusatz, der Richtigstellungen bei Online-Artikeln regelt. Auch die Leserbriefrichtlinie (2.6) wird mit Blick auf Online verändert. Wie mit der Veröffentlichung von Online-Kommentaren unter Nicknames in der Printausgabe umzugehen ist, ist nun im Kodex festgeschrieben. Eine weitere "Online-Anpassung" erfolgt im März 2016. Der Presserat hat seine Anforderungen hinsichtlich des Abdrucks von Rügen in Online-Medien konkretisiert. Künftig ist vorgesehen, dass Redaktionen ihre Leser 30 Tage lang über die Rüge in ihrem Internetangebot informieren.

2017: Neue Richtlinie zur Herkunftsnennung von Straftätern

2017 ändert das Plenum des Presserats die Richtlinie 12.1, bei der es um die Nennung der Herkunft von Verdächtigen und Straftätern geht. Im Wortlaut stellt die Richtlinie nun statt auf einen begründbaren Sachbezug vor allem auf ein begründetes öffentliches Interesse ab, das für eine Erwähnung der Zugehörigkeit eines Tatverdächtigen vorliegen muss. Zur Debatte stand die Richtlinie 12.1 vor allem seit der Silvesternacht 2015 in Köln, in der es rund um den Kölner Dom zu zahlreichen Übergriffen von meist nordafrikanischen Männern auf Frauen kam. Im Mai 2017 gibt der Presserat Leitsätze mit konkreten Beispielen heraus, die Redaktionen bei der Entscheidung helfen sollen, wann sie die Herkunft nennen können oder nicht.

Chronik zum Download

PDF: Chronik des Presserats